Hiob 2 Umgang mit Leiden

 Liebe Gemeinde,

Manchmal geht es von einem Tag auf den anderen, manchmal sogar in Sekunden: Alles ändert sich, stellt das Leben auf den Kopf. Ein unachtsamer Moment im Straßenverkehr. Ein Unfall. Schwere Kopfverletzungen. Querschnittsgelähmt.

Manchmal kriecht eine Krankheit auch langsam, wie eine gefährliche Schlange. Erst merkst Du es nicht, doch dann packt sie zu. Das frühere Leben bleibt nur noch eine wehmütige Erinnerung.

Der Partner stirbt und man kommt sich sogar im eigenen Haus vor wie in einem unbekannten Film. Alles ist neu obwohl alles noch wie vorher riecht.

Schließlich: Vor einem Jahr überfiel Russland die Ukraine. Die Welt ist seit dem 24. Februar 2022 nicht mehr die sie vorher war. Aufgewacht aus dem Traum der Sicherheit sind wir im Westen.

Manchmal geht es von einem Tag auf den anderen!

Wir kennen sie alle aus unserem Leben: Ereignisse, die alles auf den Kopf stellen, die uns auf eine harte Probe stellen, die auch den Glauben herausfordern. Gott, wo bist Du? Warum lässt Du so Furchtbares zu? Warum trifft das Schwere den Guten und nicht den Ruchlosen?

 

Der Umgang mit Leiden und der Frage nach dem Warum treibt die Menschen seit unendlicher Zeit um. Das Buch Hiob im ersten Testament versucht sich der schweren Frage zu nähern, warum es Leiden gibt und wie man mit Leidenserfahrungen verantwortlich umgehen kann.

Ich lese den Predigttext für den heutigen Sonntag aus Verständnisgründen in der Übersetzung der Guten Nachricht.

 

Hiob 2,1-13


1 Eines Tages kamen die Gottessöhne wieder zur himmlischen Ratsversammlung und stellten sich vor dem HERRN auf. Auch der Satan war wieder dabei. 2 Der HERR fragte ihn: »Was hast denn du gemacht?« »Ich habe die Erde kreuz und quer durchstreift«, antwortete der Satan. 3 Der HERR fragte: »Hast du auch meinen Diener Ijob gesehen? So wie ihn gibt es sonst keinen auf der Erde. Er ist ein Vorbild an Rechtschaffenheit, nimmt Gott ernst und hält sich von allem Bösen fern. Du hast mich ohne jeden Grund dazu überredet, ihn ins Unglück zu stürzen. Aber er ist mir treu geblieben.« 4 »Er hat ja keinen schlechten Tausch gemacht!«,[1] widersprach der Satan. »Ein Mensch ist bereit, seinen ganzen Besitz aufzugeben, wenn er dafür seine Haut retten kann. 5 Aber taste doch einmal ihn selber an! Wetten, dass er dich dann öffentlich verflucht?« 6 Da sagte der HERR zum Satan: »Gut! Ich gebe ihn in deine Gewalt. Aber sein Leben darfst du nicht antasten!« 7 Der Satan ging aus der Ratsversammlung hinaus und ließ an Ijobs Körper eiternde Geschwüre ausbrechen; von Kopf bis Fuß war er damit bedeckt. 8 Ijob setzte sich mitten in einen Aschenhaufen und kratzte mit einer Scherbe an seinen Geschwüren herum. 9 Seine Frau sagte zu ihm: »Willst du Gott jetzt immer noch die Treue halten? Verfluche ihn doch und stirb!« 10 Aber Ijob antwortete: »Du redest ohne Verstand wie eine, die Gott nicht ernst nimmt! Wenn Gott uns Gutes schickt, nehmen wir es gerne an. Warum sollen wir dann nicht auch das Böse aus seiner Hand annehmen?« Trotz aller Schmerzen versündigte Ijob sich nicht. Er sagte kein Wort gegen Gott.

11 Ijob hatte drei Freunde: Elifas aus Teman, Bildad aus Schuach und Zofar aus Naama. Als sie von all dem Unglück hörten, das Ijob getroffen hatte, beschlossen sie, ihn zu besuchen. Sie wollten ihm ihr Mitgefühl zeigen und ihn trösten. 12 Sie sahen ihn schon von ferne, doch sie erkannten ihn nicht. Als sie näher kamen und sahen, dass er es war, fingen sie an, laut zu weinen. Sie zerrissen ihre Kleider und warfen Staub in die Luft und auf ihre Köpfe. 13 Dann setzten sie sich neben Ijob auf die Erde. Sieben Tage und sieben Nächte blieben sie so sitzen, ohne ein Wort zu sagen; denn sie sahen, wie furchtbar Ijob litt.

 

Der Beginn dieser Geschichte kommt uns fremd vor, ja schon blasphemisch: Da tagt die himmlische Ratsversammlung unter dem Vorsitz des mächtigen Göttervaters. Ich dachte: es gibt in der Bibel nur einen Gott? DEn Schöpfer Himmels und der erde, den Allmächtigen? Und nun geht es zu wie in der antiken oder germanischen Götterwelt. 

Die Göttersöhne, einer von ihnen ist Satan, sollen Rechenschaft ablegen. Was ist mit meinem treuen Diener Hiob? Fragt der Chefgott Satan. Allein das löst in mir Fragen auf: Weiß Gott nicht selber um seine Menschenkinder? Braucht er dafür andere? Offenbar merkt Gott seine Nachlässigkeit zu spät: Satan, Du hast mich bewogen, Hiob ohne Grund zu verderben! Mein Glaube an den allmächtigen Gott bekommt Risse. Gott lässt sich hinterlistig zu einer nicht gewollten Entscheidung nötigen? Und dann gibt Gott den armen Hiob dem Satan in die Hand, solange dieser ihn irgendwie noch atmen lässt. Und der Rest der Göttersöhne hört schweigend zu und erhebt keinen Einspruch gegen diese schreiende Ungerechtigkeit? Was ist das für ein Himmel? Was ist das für ein Glaube? Ist das noch mein Glaube?

Der Mensch als Spielball einer außer Rand und Band geratenen Götterwelt, in der es (un-)menschelt, in der gefeilscht und um Macht und Ehre gepokert wird und die Schöpfung muss hilflos zusehen. Verliert Hiob seinen Glauben, wenn man ihn nur genug quält? Top, die Wette gilt!

 

Wenn das der Raum der Macht ist, an den ich glauben soll, dann gebe ich schon vorher auf. Dann wäre alles Schicksal; dann bräuchte es keinen Glauben, keine Ethik, keinen Verstand. Dann ist es egal, was ich tue oder lasse. Dann bin ich eine Marionette im göttlichen Puppentheater. Warum nur steht dieser Unfug in der Bibel?

 

Er steht deshalb da, weil es die Vorstellung von vielen Kulturen ist. Die griechischen Götter um den alten Zeus ticken so, oder die Götterwelt der Assyrer und Kanaanäer. Oder der ägyptische Pharao, der sich der Einfachheit selber zum Gott gekrönt hatte. Kurzum: es ist ein ohnmächtiges Gefühl der Menschheit, dem eigenen Schicksal machtlos ausgeliefert zu sein, weil es im Himmel drunter und drüber geht. Und wenn die Dikatoren sich zu gottgleichen Wesen emporlügen, gehen dort ebenso chaotische Machtspiele ab. Warum sonst sollten Menschen leiden müssen, die doch nichts getan haben?

 

Hiob also bekommt Aussatz, nicht weil er sich mit einem Virus oder Bakterium infiziert hat, sondern weil der Satan ihn geschlagen hat. Billige Religion, die den Verstand verachtet. Mythos statt Medizin. Aussatz führte zum Ausschluss aus der Gemeinschaft. Der Juckreiz muss für Hiob unerträglich gewesen sein. Hiob schabte seine Geschwüre mit einer Schale. Er nimmt in der Asche eine Bußhaltung ein, ohne zu wissen, wofür er eigentlich büßen soll.

 

Die Reaktion der Ehefrau scheint unbarmherzig: Hältst du noch an deiner Frömmigkeit fest? Fragt sie. Fluche Gott und stirb! Sie leidet mit ihm. Wie Angehörige leiden, denn sie sind ja ebenso von dem plötzlich hereinbrechenden Übel des Angehörigen betroffen: Am Anfang pflegt man vielleicht noch gerne und aufopferungsbereit. Aber nach Jahren kann die Pflege auch zur Last werden: Kein persönlicher Freiraum mehr, kein Schlaf; keine Begegnungen mehr mit Freunden. Die Fürsorge wird zur Pflicht und oft ist man gereizt und wünscht sich ein Ende und sei es der Tod herbei. Ich will mich hüten, Hiobs Ehefrau zu verdammen. 

Vielleicht ist sie sogar theologisch hoch intelligent. Könnte es nicht sein, dass Hiobs Glaube an diese übermächtige und unbarmherzige heidnische Götterwelt von der Frau in Frage gestellt wird? Soll Hiob dem Gott fluchen, der dem Teufel freie Hand lässt? Diabolos – Durcheinanderbringer heißt das Wort übersetzt, das die griechische Übersetzung benutzt. Der Teufel muss keine Hörner und einen Pferdefuß haben. Die Durcheinanderbringer sind heute die, die die Würde des Menschen missachten, die Lügen in die Welt setzen, die Krieg mit Geschichtsfälschungen rechtfertigen, die über Leichen gehen, um ihre Macht auszubauen. Die Verschwörungstheoretiker, die Denunzianten. Ich will nicht an einen Gott glauben, der einem Hitler oder einem Putin oder anderen Menschenverächtern straffrei böse Macht gegeben hat. 

Gleichzeitig weiß ich auch, dass der Glaube an Gott eben auch nicht vor Leid bewahrt. Das Kreuz Jesu ist ein Zeichen dafür, dass der immer liebe Gott ebenso ein Wunschdenken ist, wie ein Gott, dem die Würde des Lebens egal wäre. Und gar keinen Glauben zu haben ist wie Gott fluchen und ohne Hoffnung sterben. Im Hiobbuch wird der alte Mythos in Frage gestellt und der Glaube allmählich erwachsen.

 

Bleiben zum Dritten die Freunde Hiobs. Sie kommen später im Hiobbuch nicht gut weg, aber hier machen sie das, was Freunde tun sollten und guter Seelsorge entspricht: Sie besuchen Hiob. Er ist von der Gemeinschaft ausgeschlossen, aber sie lassen ihn nicht allein. Sie setzen sich mit ihm in den Staub. Sie begegnen ihm in Augenhöhe. Sie reden nicht von oben herab und sagen: „Hast selbst Schuld!“ Und sie reden das Leiden auch nicht schön; kein: „Versuch den Sinn zu erkennen, was Gott dir mit deinem Leid sagen will.“ Sie sind erst einmal da und schweigen. Mitgehende Seelsorge sei das, hat man uns im Studium gelehrt. Nicht schneller und nicht langsamer sein, als der Mensch, der Trost braucht. Erst dann einen neuen Schritt versuchen, wenn der andere das auch will und kann. Die Freunde beobachten Hiob. Noch fehlen die Worte. Aber sie sehen, dass Hiobs Schmerz sehr groß war.

 

Hiob sagt überhaupt in diesem Abschnitt nur einmal etwas: „Haben wir Gutes von Gott empfangen und sollten das Böse nicht auch annehmen?“ Ein starker Satz!

 

Annehmen ist eine große Leistung, wenn es um schwerwiegende Ereignisse geht. Annehmen heißt nicht wegreden oder schönreden; heißt nicht andere und sei es Gott dafür verantwortlich zu machen, sondern zu versuchen, selbst mit dem Leiden umzugehen. Annehmen heißt nicht sich ausliefern und alles zu erdulden. Annehmen heißt vielmehr, trotz des Leidens die Lebenskräfte wieder zu finden; den aktiven Part zu finden,die (grammatische) Leidensform ist passiv. Die Frage nach dem Warum kostet immens viel Energie und der Ertrag ist meistens gering. Die Frage: wie kriege ich mein Leben trotz der Einschränkungen wieder in den Griff? kostet auch Energie aber sie kann eben auch Ergebnisse bringen.

 

Ein erwachsener Glaube der sich von der schicksalshaften Ergebenheit befreit kann dabei eine große Rolle spielen. Das Hiobbuch berichtet davon. Hiob fällt nicht von Gott ab. Aber er streitet mit ihm. Er will sich nicht alles gefallen lassen. Mit diesem Glauben kann ich etwas anfangen. Ich kann mit Gott reden. Ich kann ihm meine Wehmut klagen und meine Wut herausbrüllen; ich kann ihm Dank sagen und meine Fragen stellen. Ich kann schweigen und versuchen zu erahnen, was er mir sagen oder zeigen will. Ich kann zum Beispiel beten: Gott ich verstehe nicht, was das alles soll, aber ich bitte dich: Gib mir die Kraft, das Leben und den Glauben nicht zu verlieren.

Ich glaube an Gott, der mir auf Augenhöhe begegnet und - sei es am Kreuz des Todes - mir nahe bleibt.

Ich hoffe, dass mir der Glaube an den barmherzigen und gnädigen Gott bleibt. Ich wünsche Euch und mir, dass wir von Hiobsbotschaften möglichst verschont bleiben. Und wenn doch einmal alles ins Wanken gerät, dann wünsche ich uns eine Frau oder einen Mann, die oder der uns barsch dazu auffordert den Glauben an die Macht des Schicksals aufzugeben oder gute Freunde, die einen nicht im Stich lassen und einfühlend begleiten. Damit wir Leiden annehmen und das leben trotzdem gestalten. All Eure Sorgen werft auf ihn! Denn er sorgt für Euch! Amen!

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