unverschämtes Evangelium Predigt zu Rö. 1,13-17 am 22.1.2023

13 Ich will euch aber nicht verschweigen, Brüder und Schwestern, dass ich mir oft vorgenommen habe, zu euch zu kommen – wurde aber bisher gehindert –, damit ich auch unter euch Frucht schaffe wie unter andern Heiden. 14 Griechen und Nichtgriechen, Weisen und Nichtweisen bin ich es schuldig; 15 darum, soviel an mir liegt, bin ich willens, auch euch in Rom das Evangelium zu predigen.16 Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht[1] alle, die glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen. 17 Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben;[2] wie geschrieben steht: »Der Gerechte wird aus Glauben leben.«


Liebe Gemeinde,

Es war an einem Silvesterabend. Meine Frau und ich hatten das erste Mal eine Gruppenskireise gebucht. Wir waren im Zillertal. Tagsüber konnten wir Skifahren und am Abend sollte es eine Silvesterparty geben, mit Essen und Tanz…Neben mir am Tisch saßen 2 jüngere Frauen. Meine eine Nachbarin fragte mich, was ich denn so beruflich machen würde. Ich sagte: „Ich bin Pfarrer!“ Darauf wendete sie sich ab und sagte: „Ach Du schei….“ Für sie schien der Abend gelaufen. Sie hatte ein festes Bild von Christenmenschen, erst recht von einem Pfarrer vor Augen: Der Pfarrer ist eine Spaßbremse, der kann nur von Lebenskrisen und Tod erzählen oder fromm daherreden. Für sie hätte der Abend  kaum schlimmer kommen können. Aber warum sollte ich mich schämen, Pfarrer zu sein? Nein, ich schäme mich des Evangeliums nicht.

 

Aber was ist das eigentlich: „Evangelium“? Frohe Botschaft oder gute Nachricht übersetzt man meistens. Vom Evangelium spricht die griechische Übersetzung des Alten Testamentes, wenn dem König ein militärischer Sieg verkündet werden konnte. Als der Kaiser Augustus geboren wurde schrieb man in den römischen Kalender, dass die Geburt des Kaisers ein Evangelium, eine Heilsbotschaft, für die ganze Welt sei. Das Neue Testament dreht im Lukasevangelium diese Sicht um: Es begab sich aber zu der Zeit des Kaisers Augustus: Die Geburt von Jesus Christus ist die frohe Botschaft die allem Volk verkündet werden soll.

Wir haben eben in der Lesung gehört, wie der römische Hauptmann das Evangelium Jesu erfahren hat: Er der ausländische Besatzungssoldat bittet Jesus um Heilung für seinen gelähmten Knecht. Aber er schämt sich auch: „Ich bin es nicht wert, dass du zu mir in mein Haus kommst.“ Jesus heilt trotzdem. Für ihn spielen soziale oder nationale Grenzen keine Rolle. Jesus legt einen nicht auf die Vergangenheit oder die Rollen fest, die uns zugedacht werden oder die wir selber uns zulegen. Vor Jesus muss sich keiner schämen. Das ist Evangelium.

Das Gleiche erfährt der Zöllner Zachäus, der unbeliebt ist, weil er angeblich korrupt ist. Aus dieser Rolle kommt er einfach nicht raus. Auf einen Baum verkriecht er sich, um von der Ferne Jesus zu sehen. Doch das Evangelium sagt, dass Jesus ihn sieht und zu sich ruft. „Ich will bei Dir heute einkehren!“ Die Leute tuscheln: „was ist das für einer, der bei einem Zöllner einkehrt?“ Jesus legt den Mann nicht fest. Er ermöglicht neuen Lebensraum, neue Perspektiven. Dafür ist Jesus sich nicht zu schade. Der Zöllner ergreift die Chance zu einem Neuanfang. Er muss sich nicht mehr schämen. Das ist Evangelium.

Saulus war einer, der wusste, was man als frommer Mensch zu tun hatte: Es gibt nur einen Gott. Und der fordert das Einhalten von den 613 Geboten und Vorschriften der Tora. Fasten, Beten, koscher Essen,… Du sollst, du musst! Wer dagegen verstößt, muss mit Konsequenzen rechnen. Erst ein besonderes Erlebnis in Damaskus hat Saulus die Augen geöffnet. Vom Christenverfolger wurde er zum Christusver-künder. Auch das ist Evangelium, wenn man sich traut, dem Leben eine neue Richtung zu geben, wenn man darauf vertraut, dass Gott die Schuld auf sich nimmt und Fehler verzeiht. Saulus wird zum Paulus. Er sollte sich eigentlich schämen, wegen seiner brutalen Vergangenheit und seiner Lust an Bestrafung. (Die Apostelgeschichte berichtet davon…) Aber Paulus geht den neuen Weg, steht zu seiner Vergangen-heit und lernt, dass allein der Glaube an das Evangelium Jesu Christi frei macht: Gottes Gerechtigkeit klagt schon an. Es ist nicht egal, wie man lebt und was man tut oder sträflich vernachlässigt hat. Aber im Glauben an Gottes Güte, kann ich auch sagen: Jesus Christus nimmt das alles auf, wofür ich mich schäme. Er spricht mich tatsächlich frei. Ich kann aufrecht gehen, muss mich nicht quälen mit Gedanken in schlafloser Nacht. Evangelium heißt frei sein oder zumindest frei werden! 

Im alten Rom war das nicht so klar. Deshalb wollte Paulus unbedingt nach Rom kommen. In Rom gab es nämlich Streit in der großen jüdischen Gemeinde zwischen denen, die auf die vielen alten Regeln beharrten und denen, die sich Christen nannten. Der Streit war so offensichtlich, dass der Kaiser die Juden und Christen aus Rom verbannen wollte. Der Streit ging um die Frage, was man denn tun muss, um ein gottgefälliges Leben führen zu können. Und dieser Streit wiederholt sich immer wieder: Martin Luther hat unter der Frage gelitten: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Fasten? Pilgern? Gebete? Ein Gelübde? Erst die Paulusworte, die heute Predigttext sind, haben ihm die Augen geöffnet: nur durch den Glauben an Jesus Christus werden wir von Gott gerecht gesprochen wird. Was für eine Befreiung. Was für ein Evangelium. 

Heute interessiert die Menschen die Frage nach einem gerechten Gott meistens weniger. Mein Erlebnis aus dem Zillertal ist der beste Beweis dafür, dass es eher peinlich ist, überhaupt das Thema Glaube ins Gespräch zu bringen. Stattdessen gibt es andere Themen, die an die Stelle des Glaubens treten, über die es angesagt ist zu diskutieren: Themen, die oft mit Anerkennung in der Gesellschaft zu tun haben: „Was? Noch keine Weltreise gemacht? Musst Du unbedingt noch machen!“ oder: „Du bist zu dick!“ „ Du musst unbedingt diese Diät ausprobieren.“ „Du bist zu unsportlich!“ „ Du darfst aus Umweltgründen nicht mehr Auto fahren oder wegen des Tierschutzes kein Fleisch mehr essen!“ All das hat religiöse Dimensionen. Und zu jedem gibt es Apostel, die ihre jeweils richtige Botschaft kompromisslos in die Welt posaunen. Es gibt die Guten und die anderen sind die Bösen. Wer nicht die eigene Linie vertritt, der muss sich schämen. Oft kommt dabei ein wahrhaft missionarischer Eifer zu Tage, der leider manchmal auch Gewalt als legitimes Mittel sieht. Der alte Saulus feiert in unser angeblich so modernen Welt fröhliche Auferstehung.

Der andere, der Paulus, hält dagegen: Ich schäme mich des Evangeliums nicht, denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die glauben. Nein, es ist nicht egal wie wir leben. Es ist nicht egal, was wir unseren Kindern für eine Welt hinter-lassen. Es ist auch Gott nicht egal. Das Evangelium Jesu Christi macht uns aber frei von dem zwanghaften Versuch immer alles richtig machen zu müssen. Das schaffen wir nicht. Und wer meint die Wahrheit mit Löffeln gefressen zu haben, rettet die Welt meistens nicht, sondern knechtet sie vielmehr in Vorschriften und Zwang. Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Das Evangelium Jesu befreit dagegen. Der Gerechte wird aus Glauben leben. Gelöster können wir also nach Lösungen für unsere Sorgen und die Probleme der Welt suchen. Befreiter können wir überlegen, ob Vorschriften dem Menschen dienen oder der Mensch den Vorschriften unterworfen ist. Ich schäme mich des Evangeliums nicht, aber manchmal schäme ich mich für eine Kirche, in der Moral und Vorschriften höher stehen als Barmherzigkeit; ich schäme mich für eine Gesellschaft, in der Rassismus und Antisemi-tismus unwidersprochen am Stammtisch gesagt werden darf.

Ich schäme mich des Evangeliums nicht, das allen Menschen, unter Griechen und Nichtgriechen, Klugen und Minderbemit-telten, also grenzen- und vorurteilslos verkündet werden sollte. Die Kraft Gottes gilt zuerst den Juden und dann aber auch allen anderen. Diese Reihenfolge hält Paulus ganz bewusst fest. Wir sind alle Kinder Gottes. Wie unter Geschwistern ist es nicht immer leicht, gut miteinander klar zu kommen. Doch das Evangelium Jesu Christi uns trotz allem Versagen immer wieder dazu, das Miteinander aufs neue zu wagen. Es gibt Grund dankbar und vielleicht sogar erhobenen Hauptes zu sein, zumindest lächelnd, weil wir wissen, was Evangelium bedeutet. Freisein und Aufatmen durch einen unverschämten Glauben. Amen!

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Adios!

Regenbogen-Noah und wir. kurze Predigt zu 1.Mose 8,18-9,17

Lukas 21,25-33 Gegen den Weltuntergang