Predigt am 23.10.22 zu Mk.2,1-12 Was Sündenvergebung und Heilung verbindet

Die Heilung eines Gelähmten und die Vollmacht zur Sündenvergebung

21 Und nach etlichen Tagen ging er wieder nach Kapernaum; und es wurde bekannt, dass er im Hause war.

 

2 Und es versammelten sich viele, sodass sie nicht Raum hatten, auch nicht draußen vor der Tür; und er sagte ihnen das Wort.

 

3 Und es kamen einige, die brachten zu ihm einen Gelähmten, von vieren getragen.

 

4 Und da sie ihn nicht zu ihm bringen konnten wegen der Menge, deckten sie das Dach auf, wo er war, gruben es auf und ließen das Bett herunter, auf dem der Gelähmte lag.

 

5 Da nun Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gelähmten: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.

6 Es saßen da aber einige Schriftgelehrte und dachten in ihren Herzen:

7 Wie redet der so? Er lästert Gott! Wer kann Sünden vergeben als Gott allein?

8 Und Jesus erkannte alsbald in seinem Geist, dass sie so bei sich selbst dachten, und sprach zu ihnen: Was denkt ihr solches in euren Herzen?

9 Was ist leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben, oder zu sagen: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin?

10 Damit ihr aber wisst, dass der Menschensohn Vollmacht hat, Sünden zu vergeben auf Erden – sprach er zu dem Gelähmten 

11 Ich sage dir, steh auf, nimm dein Bett und geh heim 

12 Und er stand auf und nahm sogleich sein Bett und ging hinaus vor aller Augen, sodass sie sich alle entsetzten und Gott priesen und sprachen: Wir haben solches noch nie gesehen.

 Liebe Gemeinde,

Im Februar diesen Jahres berichtete der Spiegel von einem erstaunlichen Erfolg Schweizer Wissenschaftler an der Technischen Hochschule Lausanne. Mit Hilfe von Elektroden gelang es ihnen, dass Querschnittsgelähmte wieder eine Teilstrecke laufen konnten. Einer von ihnen war der Italiener Michel Roccati. Er hatte einen Motorradunfall. Mit Hilfe der neuen Technik und einem Rollator und viel Training konnte er 500 Meter am Stück laufen und Treppen rauf und runter steigen. Er sagt: „Die ersten Schritte waren unglaublich – ein Traum wurde wahr!“

 

Allerdings warnen Wissenschaftler auch. Es sind bestimmte Voraussetzungen für einen solchen Erfolg nötig. Das Wunder für alle gibt es nicht. Eine baldige Lösung für Querschnittsgelähmte zeichne sich leider noch nicht ab.

 

Trotzdem werden Behinderte Hoffnung bekommen. Wenn Krankheiten geheilt werden, wenn Blinde sehen, Taube hören oder Lahme wieder gehen können, dann wecken solche Wunder  Träume: Auf Heilung oder zumindest auf Erleichterung, auf mehr Teilhabe am Leben. Da versucht man doch hinzukommen, sucht man Kontakt. So ging es auch dem Behinderten, von dem die Bibel im heutigen Predigttext erzählt. Jesus heilt in Kapernaum. Das spricht sich rum.

 

Jesus kann auch begeisternd predigen. Bei ihm ist im wahrsten Sinne die Hütte voll. Keiner ist bereit beiseite zu rücken, als der Gelähmte von seinen Freunden herangetragen wird. Das Wort Inklusion war schon immer ein Fremdwort. Da steigen die Freunde des Gelähmten sprichwörtlich Jesus und seinen Anhängern aufs Dach. Sie decken es auf, Schmutz fällt herunter. Ein Skandal. Und dann lassen sie ihren gelähmten Freund einfach herunter.

 

Die Geschichte erzählt keine Einzelheiten, aber ich stelle mir vor, dass es da sehr laut geworden ist. Was geht hier vor? Wer erlaubt sich hier die Predigt zu stören? Wir wollen keine Behinderten hier unter uns haben usw.

Behinderte wurden versteckt. Oder sie verstecken ihre Behinderung selber, so gut es geht. Ich weiß wovon ich rede. Behinderung ist eben nicht normal.  Damals galten als unrein. Die Leute sagten: Irgendetwas musste es im Leben gegeben haben, dass Gott den Menschen mit einer Behinderung straft. Noch immer sagen wir: Warum straft Gott mich so?, wenn etwas ganz und gar nicht rund läuft. Oder: Womit habe ich das verdient?

 

Und nun fällt der Dreck vom Dach auf die, die nicht behindert sind, die normal sind, die sich für rein halten. Den Freunden und dem Gelähmten ist das egal. Hauptsache, der Weg ist frei für eine Begegnung mit Jesus, dem Prediger der heilsamen Worte; - dem, der auf Worte Taten folgen lässt.

 

Doch dann kommt diese sonderbare Reaktion von Jesus: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben!

Was ist das für eine Reaktion auf die Sehnsucht nach Heilung? Was mag das auslösen?

 

Enttäuschung? Sicherlich auch. Aber vielleicht auch ein Freispruch: Behinderungen haben nichts mit Schuld zu tun, sondern mit Unglück. Jesus fragt nicht nach dem Warum und Vorher. Er sagt dem ehemaligen Motorradfahrer Michel Roccati nicht: wärst Du nicht Motorradgefahren oder wärest Du vorsichtiger gefahren, wärst Du jetzt auch nicht querschnittsgelähmt. Das weiß Roccati doch schon längst und macht es sich vielleicht selbst zum Vorwurf. Freispruch: Deine Sünden sind dir vergeben. Es steht nichts zwischen Dir und Gott. Frag nicht, was man hätte tun oder vermeiden können im Leben. Wenn es etwas zu bekennen gibt, dann sag es Gott. Er ist an deiner Seite. Das ist Sündenvergebung. Du bist vollwertig auch mit Behinderung. In einem deutschen Fernsehspot sagt eine Rollstuhlfahrerin: Nicht ich bin das Problem sondern diese verdammte Treppe, die nicht behindertengerecht ist. Wenn jemand schuldig ist, dann diejenigen, die Behinderten keinen Weg bahnen. Jeder Mensch ist vollwertig, vollwertig zumindest für Gott! Gilt das auch unter uns Menschen? 

 

Damit wird der Blick ein anderer: Nicht der mitleidige Blick der scheinbar Normalen auf die Menschen mit Behinderungen, sondern der kritische Blick auf die, die scheinbar normal sind. Diesen Blickwechsel vollzieht auch die Geschichte des Predigttextes. Mit einem Mal geht es gar nicht um den Gelähmten, sondern um die Schriftgelehrten. Diejenigen, die sich mit der Bibel gut auskennen. Diejenigen, die jeden Buchstaben der Bibel nutzen, um daraus Regeln abzuleiten. Behinderungen passen nicht in das normale System. Die Verantwortungen dafür überlassen sie den Betroffenen und den Angehörigen. Die Schriftgelehrten denken: Behinderte sind selbst verantwortlich, sie haben selber Schuld und selbst wenn man nicht von Schuld reden mag: Behinderte müssen selber ihr Leid tragen. Gott hat ja alles gut gemacht. Das Ungute, das Unheile muss eine andere Ursache haben. Für sie ist es deshalb Gotteslästerung, wenn Jesus den Behinderten einfach so bedingungslos von aller Schuld freispricht. Sündenvergeben kann nur Gott allein. 

 

Dem widerspricht keiner, - auch Jesus nicht. Der Evangelist Markus erzählt diese Geschichte wohl deshalb, um deutlich zu machen, dass Jesus kein Mann inhaltsleerer frommer Worte ist. Er ist von Gott beauftragt, er ist ein Teil dieses Gottes. An ihm wird erkennbar wie Gott auch das Krumme und nichtperfekte liebt und wertschätzt. Jesus predigt mit Vollmacht, wie es heißt. Sündenvergebung hat Folgen, heilsame Folgen im Leben der Menschen. Jesus sagt: „Damit ihr aber wisst, dass der Menschensohn Vollmacht hat, Sünden zu vergeben – sprach er zu dem Gelähmten: Steh auf, nimm dein Bett und geh heim! – Und er stand auf, nahm sogleich sein Bett und ging heim.“

 

Endlich also auch die Heilung, die Erfüllung tiefster Sehnsüchte und Träume. Trotzdem ist für mich diese Geschichte damit noch nicht abgeschlossen. Mir bleiben noch Fragen!

Dürfen sich Behinderte eine Hoffnung machen auf Heilung? Beten, Hoffen, kräftiger Glauben? Wunder gibt es immer wieder. Aber es wäre wohl ebenfalls eine sündhafte Anmaßung, wenn ein Wunder die einzige Erwartung und Hoffnung für alle wäre. 

Wichtiger wäre doch, dass Menschen mit Einschränkungen voll am Leben teilhaben können, auch wenn Heilung im medizinischen Sinne nicht möglich ist. Gott sei Dank hat sich viel getan im Umgang mit behinderten Menschen. Leben muss möglich sein, auch wenn Behinderungen oft erhebliche Belastungen darstellen: Körperlich und seelisch und leider auch finanziell. Behinderte zahlen z.B. erheblich mehr Krankenkassenbeiträge als Gesunde. Sie kosten ja auch mehr. Es gibt Belastungen für die Menschen mit Einschränkungen, aber auch für Angehörige und Freunde. Wenn es aber so ist, dass weder Behinderte noch Angehörige Schuld an den Einschränkungen sind, wenn sie von Jesus selbst freigesprochen wurden,  ist es dann nicht die Aufgabe der Gesellschaft, die Lasten mit zu tragen, und nicht die Verantwortung allein den Betroffenen zu überlassen?

 

Jesu Worte sind heilsame Worte, sie haben Vollmacht und sie haben deshalb Folgen. Wie gesagt: für mich ist diese Geschichte noch lange nicht zu Ende! Amen!

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