Abrams Segen: Predigt zu 1.Mose 12,1-4 am 17.7.2022

 Wart ihr schon einmal in Harran? 

Nein? Ihr wisst nicht einmal was oder wo das ist? Harran liegt an der syrisch-türkischen Grenze im wilden Kurdistan. Harran muss man nicht kennen. Es gibt dort keinen Flughafen und keine Autobahn, es gibt keinen See oder einen Strand, kein Kino und keinen Lidl oder Aldi. Nur ein paar Ausgrabungen. Im Internet kann man bienenkorbähnliche Bauten bestaunen. Es soll auch eine Universität gegeben haben. Immerhin ist Harran wohl ein Ort, der schon vor 5000 Jahren besiedelt war. Harran liegt an alten antiken Handelswegen. Eines Tages jedenfalls hatte Terach, der Sohn von Noah, die Idee, sich eine neue Zukunft aufzubauen. Er machte sich auf aus der Stadt Ur in Babylonien. Wir wissen nicht, warum Terach auf diese Idee gekommen ist. Ur lag am Meer, etwa dort wo heute die irakische Hafenstadt Basra liegt. Ur war groß und hatte etliches zu bieten. Heute wohnen da mehr als eine Million Einwohner. Aber Terach wollte mit seiner Familie nach Kanaan. Durch die arabische Wüste wäre es am Kürzesten gewesen, aber wer lässt sich schon gerne in die Wüste schicken? Also zog Terach mit seinem Sohn Abram und seinem Neffen Lot am Fluss Euphrat entlang nach Norden (um die große Wüste herum) und kam so nach Harran. Dort ist er geblieben. Kein Aldi, kein Lidl, kein Kino, keinen Strand. Das hätte er auch in Massenbach haben können; meiner ehemaligen Gemeinde. Da gab es auch nichts, keinen Bäcker und keine Bank mehr, nur den Aldimarkt und unsere Kirche. Trotzdem wohnten da Leute, genauso wie in Harran. Sie hatten sich dort nett eingerichtet. Ein Haus, meistens die Familie in der Nähe, einen Garten. Viel mehr schienen die Leute auch in meiner ehemaligen Gemeinde nicht zu wollen. Wir hatten in der Kirchengemeinde viel unternommen, um die Leute aus ihren Häusern zu locken und zusammen zu bringen; wir dachten, die Kirche müsse doch in einem Ort, wo es sonst nichts gibt, die Chance bieten, Besonderes und Zusammenhalt zu erleben. Ich träumte von einem Café, von einem Dorfladen, ich plante große Veranstaltungen, um aus dem unbekannten Dorf einen Namen zu machen. Aber die meisten Leute zogen nicht mit. Sie waren zufrieden mit dem, was sie hatten. Große Veränderungen schienen unheimlich. Wie vor 50 Jahren wurde im Winter fleißig mit Holz geheizt. Die Luft war voll Feinstaub. Im Winter fiel das Atmen schwer. Immer wieder kam es bei Starkregen zu Überschwemmungen. Ein geplantes Rückhaltebecken konnte nicht gebaut werden, weil ein alter Bauer sich weigerte, einen Teil seines Bodens der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Bloß keine Veränderungen im Leben! So war das und die Leute nahmen es hin. Wenn man nicht zu hohe Erwartungen hat, dann kann man da leben: In Massenbach und in Harran und anderswo. Terach, Abram und Lot lebten so in Harran mit ihren Familien. Terach starb dort. Abram und Lot fanden es völlig normal, in Harran zu bleiben. Doch Gott war mit diesem Leben nicht einverstanden. Gott hat andere Pläne mit seiner Schöpfung und allem, was darauf lebt, als dass sich die Menschen irgendwie durchwurschteln und sich in ihre Einfamilienhäuser oder Wohnungen verkriechen. Und so redete Gott mit Abram:

„Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zu einem großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen und verfluchen, die dich verfluchen; In dir sollen gesegnet sein, alle Geschlechter auf Erden. – da zog Abram aus, wie der Herr zu ihm gesagt hatte und Lot zog mit ihm. Abram aber war 75 Jahre alt als er aus Harran zog.“

Diesen letzten Zusatz mit der Altersangabe ist nicht mehr Teil des heutigen Predigtextes. Ich finde ihn aber wichtig. Denn mit 75 Jahren ist man doch im Ruhestand, egal ob in Massenbach, in Harran, in Frankfurt oder sonstwo. In dem Alter zieht man doch nicht einfach um! Die meisten Ziele hat man in dem Alter entweder erreicht oder wird sie nicht mehr erreichen. Abrams Frau Sarai zum Beispiel hatte keine Kinder bekommen können. Mit 75 Jahren muss man sich doch damit arrangieren und nicht krampfhaft versuchen, eine Elternschaft anzustreben, oder?

Aber Gott hatte doch noch etwas mit Abram vor. Und Abram sagt nicht nein! Kein Alter ist zu alt, als dass man keine Träume mehr haben dürfte. Kein Alter ist zu alt, als dass man Neues nicht mehr wagen dürfte oder sollte. Abram hat keine Ahnung, was Gott ihm da für ein Land zeigen will. Er begreift nur dieses: Harran ist nicht das Ziel aller Träume. Wenn Du nichts wagst im Leben, dann entsteht auch nichts Neues, vor allem entsteht ohne Risiko kein Segen!

Und so lässt Abram das Vertraute hinter sich: den Ort, das Haus, sogar Freunde. Warum? Um des großen Namens willen, den Gott ihm verspricht? Also: Aufbruch zum persönlichen Vorteil?

Oder, weil er Abram trotz der Kinderlosigkeit zu einem großen Volk machen will? So wie einige Menschen es auch gerne sähen, dass ihr Volk groß und mächtig sei; größer und mächtiger als andere! Im Fussball oder in der Wirtschaftsleistung; militärisch oder politisch. Aufbruch aus bestehenden Verhältnissen, um der Welt zu zeigen, wie mächtig man ist? Das erleben wir gerade in unsäglichem Maße! Um Missverständnissen vorzubeugen schiebt Gott deshalb noch den entscheidenden Satz hinterher: In Dir sollen alle Menschen auf der Erde gesegnet sein. Alle Menschen!!!

    Abram bricht aus Harran auf, weil er verstanden hat, was Gott will. Nach dem Streben der Menschen nach Egoismus und Macht, das in der Sintflut enden musste, soll nun eine Heilsgeschichte folgen. Die Zukunft der Menschheit soll kein Fluch, sondern Segen sein. Und damit es keinen Fluch gibt, müssen Menschen das Vertraute hinter sich lassen, Neues wagen: Aufbrechen aus der Eigenheimidylle in Harran oder Massenbach. Abram macht den Anfang. Mutig, zuversichtlich und voll Gottvertrauen. Mit Gottes Wort im Ohr und sicherlich konkreten Träumen im Herzen. Mit Gedanken daran, dass tatsächlich einmal die Menschen im Frieden segensreich zusammenleben können, weil das Gottes Wille ist, Ziel der Schöpfung, Ziel der Heilsgeschichte Gottes mit seinen Menschen., Ziel des besonderen Bundes, den er mitn Israel schließen wird. Abram hatte Zeit auf seinem Weg nachzudenken. Er wird geahnt haben, dass das friedliche Zusammenleben nur möglich sein wird, wenn alle Menschen genug zu Essen und zu trinken haben. Er wird geahnt haben, dass man dafür auch teilen muss und nicht alles für sich in Anspruch nehmen darf. Er wird gespürt haben, dass man für den Frieden zuhören können muss und nicht nur von sich selbst erzählt. Er wird geahnt haben, dass Frieden nicht billig zu haben ist, sondern Rücksichtnahme und Toleranz voraussetzt. Ein Leben in Frieden macht aber nur Sinn, wenn auch die Umwelt so ist, dass sie Zukunft hat. Abram wird gezweifelt haben, ob die Menschen wirklich zu allen Bedingungen des göttlichen Segens fähig sein werden. Böses und Fehler gehören ja auch zur Welt. Die Heilsgeschichte fängt bei Abrams Verheißung und Auszug aus Harran an und führt letztlich zu Jesus Christus, der Schuld vergibt und Menschen bis heute zur Umkehr aus verfehlten Lebenswegen ruft.

Abram darf darauf vertrauen, dass die mitgesegnet werden, die ihn segnen und seinen Weg in das gelobte Land mit unterstützen. Und er hat gehört, dass all die, die ihn und seinen Weg verfluchen, die bitteren Konsequenzen wie einen Fluch ertragen werden müssen. Abram geht voran, aber die Aufgabe ruht auf vielen Schultern. Es braucht Menschen, die mit Abram gehen und sich nicht ihm in den Weg stellen!

Deshalb fragt diese alte Geschichte auch nach uns: Segnen wir diesen mutigen Schritt von Abram? Gehen wir ihn mit? Verzichten wir auf Gewohntes, weil wir auf Segen hoffen, oder zweifeln wir, weil Verzicht angeblich nur weniger und nicht mehr sein kann? Verfluchen wir die, die mit Abram nach neuen Wegen für die Welt und die Menschen auf ihr suchen? Wir kennen alle Harran. Das ist der Ort, wo wir unser nettes Leben pflegen, unsere Urteile und Vorurteile bewahren; wo wir bleiben wollen, weil wir uns so eingerichtet haben. Und es ist der Ort, von dem wir aufbrechen können, wo Träume von einem segensreichen Leben wachsen können. Gott ruft auch Dich und mich, damit wir ein Segen sein können. Amen!

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