Kol.3,12-17 Singt! Predigt zum Sonntag Kantate am 15.5.2022

  

12So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld; 13und ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! 14Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit.  15Und der Friede Christi, zu dem ihr berufen seid in einem Leibe, regiere in euren Herzen; und seid dankbar.16Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen. 17Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn.


Ihr Lieben,

dieser Teil des Kolosserbriefes begegnet mir vor allem bei Trauungen. In der Agende III, der Gottesdienstordnung für Trauungen, steht er als Lesungstext drin; nach der Predigt und vor dem Ja-Wort der Brautleute:

… So zieht nun als die Auserwählten Gottes…Herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld… Oft nicken die Brautleute mir dann freundlich zu. Ich weiß nie, was ihnen dabei durch den Kopf geht. Ob sie denken, ja genau so wollen wir unsere Ehe führen: Freundlich, barmherzig, geduldig. Wahrscheinlich würden sie sich das aber niemals mit diesen Worten sagen. Ich liebe Dich oder willst Du mich heiraten? Das sind in der Regel die ausschlaggebenden Worte für eine Ehe. Wer heiratet, denkt vielleicht an einen Ehevertrag oder die neue Steuerklasse; am meisten vor allem aber über die Ausrichtung der Feier und vielleicht noch die Hochzeitsreise. Das Rezept für eine gelungene Ehe ist den wenigsten so richtig vor Augen. Die Bibel aber kennt Worte, die auf Grund vielfältiger Erfahrungen mehr sagen. Der Kolosserbrief mit den heutigen Worten gehört dazu: Ein Rezept für ein gutes Miteinander! Vielleicht nicken die Brautleute ja tatsächlich dankbar bei diesen Worten, weil es genau das trifft, was man sich ja für eine Ehe wünscht.

Vielleicht nicken sie aber auch nur deshalb, weil der Pfarrer ja halt so ein bisschen moralisch zu reden hat. Ertrage einer den anderen, vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage gegen den anderen hat… In Wirklichkeit denken viele doch: Unsere Konflikte regeln wir selber. Da muss uns keiner moralische Hinweise geben. Erst Recht nicht die Kirche mit ihrem Pfarrer. – Diese Stelle im Kolosserbrief zählen wir Theologen tatsächlich zu den sogenannten Tugendkatalogen. Der Kolosserbrief gibt einige Hinweise, die wir heute hoffentlich nicht mehr unterschreiben würden. Zum Beispiel, wenn es wenig später heißt: Die Frau ordne sich dem Manne unter. Wenn ich das auch noch bei einer Trauung vorlesen würde, gäbe es vermutlich kein freundliches Nicken mehr. In unserem Textteil heute aber geht es um wichtige Richtlinien. Man stelle sich mal vor, das Gegenteil stünde da, also: Ertragt nicht den anderen, seid nicht tolerant, sondern setzt Euch mit Eurer anderen Meinung durch! Und wenn es mal Klage gibt, dann vergebt nicht, sondern denkt Euch eine gerechte Strafe für den anderen aus. Strafe muss sein! hieß es ja früher sogar in der Kindererziehung. Was uns der Kolosserbrief da in das Herz versucht zu schreiben, hat also durchaus Gewicht und ist auch heute noch gar nicht so selbstverständlich, wie man meinen könnte.

 

Der letzte Teil des heutigen Predigttextes freilich fehlt in meiner Trauagende: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit, mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern, seid dankbar in euren Herzen. Das Thema singen bei einer Trauung ist sowieso ganz schwierig geworden. Fast alle Traupaare sagen, dass sie in der Kirche keine Lieder zum Gesang mit der Hochzeitsgesellschaft wünschen. „Die können doch alle nicht singen!“, sagen die Brautleute oft. Oder sie kennen selbst schlichtweg weder Psalmen noch Kirchenlieder. Da geht der Kolosserbrief heute ins Leere…Stattdessen mieten Brautleute sich dann eine Sängerin, die irgendetwas von Helene Fischer mehr oder weniger hübsch vorträgt oder immer wieder das schmalzige „Halleluja“von Leonard Cohen; Halleluja: schließlich ist man ja in der Kirche. Dabei hat dieses Lied ausgerechnet den Ehebruch von König David zum Motiv und in einer Zeile heißt es, dass man es ja wohl nicht so mit Musik hätte…

Da gibt der Kolosserbrief doch mehr her: Lasst das Wort Christi reichlich unter Euch wohnen, singt Lobgesänge und geistliche Lieder!

Der Fairness halber sei gesagt: Der Apostel schreibt nicht an Ehepaare, sondern an die Christen und Christinnen in Kolossae an der türkischen Südküste. Vielleicht war es notwendig ihnen zu sagen, dass Christen geduldig und barmherzig miteinander sein sollen. In einer Kirchengemeinde kommen ja schon oft viele unterschiedliche Charaktere zusammen. Fromme und Liberale. Laute und Leise. Das führte und führt ja noch immer dazu, dass Kirchengemeinden oft sehr unterschiedliche Profile haben. Oft stehen sich diese Kirchengemeinden dann sogar sehr unfreundlich gegenüber, selbst wenn sie sich zum Beispiel beide evangelisch nennen: Ich hatte mal 5 Jahre das Vergnügen, 2 württembergische Kirchengemeinden in einer Stadt wieder zur Versöhnung zu bewegen nach einem 40jährigen Streit, den man vielleicht auch als Krieg bezeichnen konnte. Der Streit ging sogar vor das Gericht. Der Apostel hätte es nicht besser ausdrücken können: Ertragt einander und vergebt Euch untereinander. Wie Christus euch vergeben hat, so vergebt auch ihr. Es hat nicht viel genützt. Da darf man fragen, ob eine Kirchengemeinde sich durch Rechthaberei am Leben erhalten will oder durch das Wort Christi?

Wenn gutgemeinte Worte auf taube Ohren stoßen, bringt der Kolosserbrief doch noch eine weitere Lösung für Konflikte in der Gemeinde mit ins Spiel: Singt doch miteinander! Singt geistliche Lieder! Kantate! Das ist der Name des heutigen Sonntages. Im Chor gibt es verschiedene Stimmen. Es zählt nicht, ob du studiert hast oder eine Lehre gemacht hast. Keiner fragt nach deinem Kontostand oder ob du evangelisch oder katholisch bist. Du kannst mit einem anderen singen, auch wenn du unterschiedlicher Meinung bist. Es gibt einen Text und eine Notenpartitur. Und dann bemüht man sich trotz eventuell vorhandener Unterschiede ein halbwegs passables Gesangsergebnis zustande zu bringen. Lächeln hilft dabei übrigens. Ich mag es, wenn ein Chor nahezu perfekt singt und die Freude über die Musik auch auf den Gesichtern sichtbar wird; in einer guten Kirchengemeinde sollte man sicherlich anders als bei einem guten Chor nicht jeden Ton auf die Goldwaage legen. Das führt nicht zur Harmonie sondern eher zum Zwist. Deshalb zählt, was der Apostel der Gemeinde in Kolossae und uns sagt und was auch in meiner Trauagende nicht ausgespart wird: Über alles zieht aber an die Liebe, die das ist das Band der Vollkommenheit. Und der Friede Christi, zu dem ihr berufen seid in einem Leibe, regiere in euren Herzen; und singt Gott, seid dankbar! Aber das Selber-singen dient trotzdem einer stabilen Zukunft, mehr als immer nur Lieder zu konsumieren und andere für sich singen zu lassen. Also nochmals: Kantate! Singt!

Amen!

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