Botschafter der Versöhnung 2. Kor. 6,1-10 Predigt am 6.3.2022

 Liebe Gemeinde,

ich finde es nicht leicht, in diesen Tagen als Pfarrer die frohe Botschaft zu verkündigen. Jeden Morgen schaue ich in die Nachrichten und wünschte mir, dass es dort heißt, was ich gleich noch aus dem Predigttext vorlesen werde: „Jetzt ist die willkommene Zeit, heute ist der Tag des Heils!“ Frieden! Versöhnung! Der Aufbau beginnt und alle Völker packen mit an! Die Russen zuerst!!!!

Aber so ist es eben nicht. Es ist keine willkommene Zeit. Es ist Kriegszeit. Es ist kein Tag des Heils in Sicht. Kein Frieden. Nur Zerstörung, Flucht, Tod und die atomaren Drohungen eines Wahnsinnigen gegenüber der ganzen Welt. Ich merke, wie mein halbwegs heiles Weltbild zerbricht. Die Ordnungen der Völkergemeinschaft geraten ins Wanken. Das globale Wirtschaftssystem bricht auseinander. Der ukrainische Weizen wird auch in den armen Ländern Afrikas fehlen und zu noch mehr Hunger führen. Keiner weiß genau, wie es weitergehen kann. Ich merke, wie wütend ich bin auf diesen Kriegstreiber in Moskau, dem – obwohl er sogar Mitglied seiner orthodoxen Kirche ist - jeder Anstand abhanden gekommen zu sein scheint. Ich bin zornig über die Lügen, die er verbreiten lässt, die bösen Gerüchte, die iniziert werden. Ich merke, wie sich in mir Unwohlsein regt, wenn mir Russen auf der Straße begegnen. Gleich frage ich mich, auf welcher Seite die wohl stehen? Das Urvertrauen ist gestört. Stattdessen: Misstrauen. Was tun? Ich bekomme viele Friedensbildchen über whatsapp. Ich kann damit ehrlich gesagt nichts anfangen, aber ich sehe in ihnen den Ausdruck der gleichen Ohnmacht, die ich auch empfinde. Sogar Pazifisten sehen ein, dass es in diesen Tagen und wohl auch in der Zukunft eine Wehrhaftigkeit braucht. Die Ukraine wäre schon lange verloren, wenn die Ukrainer sich nicht mit unglaublichem Mut, der scheinbaren Übermacht entgegen stellen würden. Nein, es ist nicht leicht, in diesen Tagen die frohe Botschaft Jesu Christi zu predigen!

 

Und dann hören wir einen Abschnitt aus dem 2. Korintherbrief mit der Überschrift: "Botschafter der Versöhnung!" Paulus schreibt im Satz vor dem Predigtabschnitt: "So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns, so bitten wir nun an Christi statt: Lasst Euch versöhnen mit Gott!“. Und dann: 

„Als Mitarbeiter aber ermahnen wir Euch, dass ihr nicht vergeblich die Gnade Gottes empfangt. Denn Gott spricht durch den Propheten Jesaja: Ich habe dich zur willkommenen Zeit erhört und habe dir am Tag des Heiles geholfen. Siehe, jetzt ist die willkommene Zeit, jetzt ist der Tag des Heiles!“

Widerspruch regt sich in mir: „Heute? Tag des Heils? Schaut Euch um! Ihr Mitarbeiter Gottes. Ihr Theologen in den Predigtkomissionen, die ihr uns heute so einen Text zum Predigen zumutet! Keine Ahnung habt ihr!


Aber unbeirrt redet Paulus weiter: 

 

„Und wir geben in nichts irgendeinen Anstoß, damit dieser Dienst nicht verlästert werde.“

 

Und dann berichtet Paulus von den ganzen zwiespältigen Erfahrungen, die er selber gemacht hat: Von den Herausforderungen, die einen Menschen in seiner Gesinnung, in seiner Denkrichtung, durchaus aus dem Ruder werfen könnten:

 

„sondern in allem erweisen wir uns als Diener Gottes: in großer Geduld, in Bedrängnissen, in Nöten, in Ängsten, in Schlägen, in Gefängnissen, in Aufruhr, in Mühen, im Wachen, im Fasten, in Lauterkeit, in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit, im Heiligen Geist, in ungefärbter Liebe, in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, mit den Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken, in Ehre und Schande; in bösen Gerüchten und guten Gerüchten, als Verführer und doch wahrhaftig; als die Unbekannten und doch bekannt; als die Sterbenden, und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten und doch nicht getötet; als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die nichts haben und doch alles haben.“

 

Paulus kennt die Anfechtungen im Leben, die auch den Glauben an den "lieben Gott", an die immer vorhandene "Liebe Jesu Christi", an die "friedensschaffende Kraft des Heiligen Geistes" herausfordern. Trotz seiner persönlichen oft bösen Erfahrungen hält Paulus seine Einstellung aufrecht, dass er mit seinen Mitarbeitern Botschafter der Versöhnung Jesu Christi ist und bleibt.

 

Paulus schreibt an die in sich sehr zerstrittene christliche Gemeinde in Korinth. Und er sieht bei den Christen dort die Gefahr, dass die Gnade Gottes vergeblich empfangen sein könnte. Wenn man nicht mehr Christus im Blick hat, sondern nur eigene Gefühle und eigene Interessen, die eigenen Vorstellungen, die eigene Denkweise, bei der es kein links und rechts mehr gibt, dann wird es problematisch.

 

Wir hören diese Bibelworte in der Passionszeit. Wir erinnern uns an Jesu Leidensweg. Nicht um in Traurigkeit und Frustration, in Ohnmacht oder Wut gegenüber den Gewaltbereiten, über die scheinbare immer wieder erwachende Übermacht des Bösen zu vergehen, sondern um uns daran zu erinnern, dass Jesus mit seinem Weg zum Kreuz uns frei machen wollte, von aller Sünde, von allem also, was uns von Gott trennt. Wenn Ohnmacht, Feigheit oder Wut und Zorn unser Denken bestimmen, sind wir von Gott getrennt. Dann sind wir nicht mehr frei; dann leben wir in der Sünde, um es fromm auszudrücken. Dann gehen wir innerlich auch kaputt. Dann ist kein Tag des Heils.

Der Apostel Paulus steht also heute an diesem Sonntag, ich betone: an diesem Sonntag! vor mir und vor Euch. Mit mahnendem Zeigefinger und gleichzeitig einladender Stimme. Ich sehe Paulus nach seinen Worten in die Augen und sage: Ich weiß nicht, ob ich heute schon bereit bin, angesichts dieses Krieges, das Wort "Versöhnung" in den Mund zu legen. Und trotzdem ahne ich, dass Du Paulus, Recht hast. Ohne Versöhnung wird es keinen Frieden geben. Und wo, wenn nicht in den christlichen Kirchen, kann der Versöhnungsprozess beginnen? Wir leben in der Fastenzeit. Fasten heißt nicht Verzicht um des Verzichtes willen. Fasten heißt, verzichten, damit wir unser Leben an Jesus ausrichten. Fasten heißt nicht, etwas tun müssen. Fasten heißt, den Versuch zu unternehmen, sich auf das wesentliche zu konzentrieren. Fasten heißt: Wieder klar denken und glauben können. Wieder die Nähe Gottes spüren und leben zu wollen. 

 

Es ist zumindest keine schlechte Nachricht, wenn der Apostel Paulus das den Christen in Korinth und uns hier zutraut. Und was keine schlechte Nachricht ist, sollte dann doch eine gute Nachricht sein.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus Amen!

 

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