„Wie lang soll das noch gehen?“

 

Liebe Gemeinde,

„Wir hatten in Deutschland einen langen, tristen, wolkenverhangenen Sommer! Das ging richtig auf die Seele…“ haben mir viele gesagt, bevor es nach Teneriffa in die Sonne ging. Zum Glück haben einige Menschen, und ihr gehört dazu, die Möglichkeit, dem dunklen wolkenverhangenen Himmel zu entfliehen, indem sie einen Platz im Flugzeug buchen und der Tristesse entfliehen. - Vor dem Wetter kann man fliehen, aber oftmals nicht, wenn sich der Himmel über unserem Leben verdunkelt hat, wenn die Seele von Tristesse umgeben ist:

Beispiel:

Eine befreundete Krankenschwester in leitender Funktion sagte mir am Telefon, dass sowohl das Kreiskrankenhaus als auch das Personal weit jenseits der Kapazitäten sind wegen der Coronafälle. Etliche ihrer Kollegen haben es nicht mehr ausgehalten, weil sie den Druck nicht mehr ertragen. Sie haben gekündigt, weil sie es satt hatten, immer wieder Menschen zu betreuen, die krank geworden sind und das durch eine Impfung hätten vermeiden können. Andere, die auf ihre Krebsoperation warten müssen sich gedulden. Und unsere Freundin fragt mich: Wie lange soll das noch gehen? Wann sieht man endlich wieder Licht und Hoffnung?

Oder:

Eine Frau, verheiratet, die Kinder sind aus dem Haus, fragt auch: Wie lange soll das noch gehen? Ihre Ehe ist schon lange keine Liebesbeziehung mehr. Nun muss sie ihren Ehemann pflegen, obwohl sie so gerne endlich ihr eigenes Leben führen möchte. Sie ist auch nicht mehr die Jüngste und hat Angst, dass sie ihr Leben am Ende ganz verpassen könnte.

Wie lange soll das noch gehen? Wann reißt die dunkle Wolke auf? Wann sehe ich wieder Licht? Es gibt hunderte von Situationen, in denen man das fragen kann. Friedrich Spee heißt der Mann, der den Text zu dem Lied „ O Heiland reiß die Himmel auf!“ geschrieben hatte. (Wir haben es eben gesungen!) Das war das Jahr 1622. Vier Jahre dauerte der Krieg schon, den man später den Dreißigjährigen nennen musste. Evangelische kämpften gegen katholische Christen und umgekehrt überall in Europa. Und dann kam die Pest noch dazu. Wie lange soll das noch gehen? „ Wo bleibst Du Trost der ganzen Welt, darauf sie all ihr Hoffnung stellt?“ Spee dichtete das Lied nach Klageversen vom Propheten Jesaja. Sie geben der Hoffnungslosigkeit in schweren Zeiten die passenden Worte:

 

Jesaja 63,15

 

Wie lange soll das noch weitergehen? hatte auch Jesaja gefragt, als sein Volk im babylonischen Exil war. Juda lag danieder. Der Tempel war zerstört und über den Menschen schwebte eine bleierne Depression. Es ist, als ob die Erinnerung mit den biblischen Wundergeschichten an den Glauben an Gott eine trübe Erinnerung ist. Die Geschichten von Abraham und Israel haben mit unserer Gegenwart nichts mehr zu tun, weil Gott nirgends spürbar ist. Jedoch wendet sich Jesaja nicht von Gott ab. Er sucht ihn, hartnäckig, wie nach einem Sonnenstrahl, der sich durch die graue Wolkendecke kämpft:

 

Jesaja 64, 1-3

 

Mich berührt es, wie Jesaja seine Ohnmacht und die seines Volkes beschreibt. Er klagt die Dummheit des eigenen Volkes an und gleichzeitig Gott, der das dumme Handeln nicht verhindert hat. Manchmal kommt es mir so vor, als sei Jesaja regelrecht zornig auf Gott: „Erlöser ist dein Name schon immer gewesen! Warum lässt du und abirren von unseren Wegen und verstocken unsere Herzen?“ Darf man so mit Gott hadern? Darf man Gott für alles verantwortlich machen? Jesaja tut es! Er lässt Dampf ab und das tut gut. Zumindest tut es gut, wenn man im Zorn keine Unbeteiligten trifft. Es tut gut, wenn man eine Adresse für seine Klage und Verzweiflung kennt, die zuständig sein könnte. Im Alten Testament haben die Israeliten regelmäßig einen Bock für ihre Sünden in die Wüste geschickt. Als Friedrich Spee lebte, hat man als Sündenböcke die vermeintlichen Hexen für das Elend verantwortlich gemacht. Juden… Weltverschwörungen…In seinem Hauptwerk schreibt Friedrich Spee dazu: „Ich verlache diese Einfältigkeit!“ 

 

Lieber Gott sein Leid klagen anstatt unschuldige Sündenböcke zu suchen. Das nehme ich zum einen aus diesen Worten Jesajas und dem entsprechenden Lied von Friedrich Spee mit. Und ich meine, es tut uns allen gut - auch in den Krisen, die uns jetzt und sicherlich immer wieder begegnen - diesen Hinweis immer wieder zu Herzen zu nehmen. 

Allerdings geht Jesaja noch einen Schritt weiter. Er klagt Gott ja nicht nur an, er setzt auch seine Hoffnung auf Gott: „Schau vom Himmel herab!“ Oder wie Spee gedichtet hat: O Sonn geh auf, ohn deinen Schein, in Finsternis wir alle sein! Wer angesichts einer Krise seinen Glauben und die Hoffnung auf Gott nicht verliert, muss ihn vorher trainiert haben. Wie ein Sportler, der trotz einer Auszeit meistens wieder auf seiner Kondition aufbauen kann. Auch wenn ich vieles am Glauben und in der Kirche mittlerweile hinterfrage, bin ich doch froh, in der Kirche groß geworden zu sein. Ich bin dankbar, die Bibel immer besser zu verstehen. Ich bin dankbar, dass wir Räume und Zeiten haben, in denen wir loben und klagen können Ich hoffe, dass jeder und jede immer wieder Menschen finden, die mit uns Lachen, aber auch Weinen teilen.

Ich staune aber auch immer wieder, wie viele Menschen Lösungen für ihre Probleme nicht mehr im christlichen Glauben, sondern in anderen Religionen oder einem selbstgebauten Esoterikkasten suchen. Wir Christen verfügen über einen so reichen Schatz an biblischen Texten, die einem aus der Seele sprechen können; wir verfügen über Lieder und Gebete, die man nicht erst erfinden muss. Wir kennen Symbole, die auch das Dunkel in ein neues Licht bringen. Die Adventszeit ist so ein Symbol: Letzten Sonntag haben wir ein Licht angezündet, heute nun schon eines mehr. Wir glauben, daran dass das Licht Gottes nicht verlöscht ist. Der Hommel reißt immer wieder auf. Wir vertrauen darauf, dass das Licht entzündet werden kann in einem kleinen Stall in Bethlehem. oder: in einer kleinen Kirche auf Teneriffa; in der Gemeinschaft von Dir und mir. Vielleicht müssen wir unseren Blick manchmal ändern um zu erkennen: Gott hat Dich und mich durch den Himmel immer schon im Blick.

 

Ich wünsche uns allen einen gesegneten 2. Advent. Amen!

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