Predigt am drittletzten Sonntag des Kirchenjahres zu Psalm 85

 

BITTE UM NEUEN SEGEN

851Ein Psalm der Korachiter, vorzusingen.

2Herr, der du bist vormals gnädig gewesen deinem Lande

und hast erlöst die Gefangenen Jakobs;

3der du die Missetat vormals vergeben hast deinem Volk

und all ihre Sünde bedeckt hast; – SELA –

4der du vormals hast all deinen Zorn fahren lassen

und dich abgewandt von der Glut deines Zorns:

5Hilf uns, Gott, unser Heiland,

und lass ab von deiner Ungnade über uns!

6Willst du denn ewiglich über uns zürnen

und deinen Zorn walten lassen für und für?

7Willst du uns denn nicht wieder erquicken,

dass dein Volk sich über dich freuen kann?

8Herr, zeige uns deine Gnade

und gib uns dein Heil!

9Könnte ich doch hören,

was Gott der Herr redet,

dass er Frieden zusagte seinem Volk und seinen Heiligen,

auf dass sie nicht in Torheit geraten.

10Doch ist ja seine Hilfe nahe denen, die ihn fürchten,

dass in unserm Lande Ehre wohne;

11dass Güte und Treue einander begegnen,

Gerechtigkeit und Friede sich küssen;

12dass Treue auf der Erde wachse

und Gerechtigkeit vom Himmel schaue;

13dass uns auch der Herr Gutes tue

und unser Land seine Frucht gebe;

14dass Gerechtigkeit vor ihm her gehe

und seinen Schritten folge.


Liebe Gemeinde,

„vormals“ übersetzt die Lutherbibel. Dreimal gleich erinnert der Psalmbeter daran, wie es vormals war. Vormals war es gut. Vormals als das Exil in Babylon vorbei war. Nach Babylon waren die Juden geraten, weil sie den Krieg verloren hatten. Es war eine Strafe Gottes , sagte man. Doch nach 42 Jahren dann kam ein neues Reich und ein neuer Herrscher und beendete die Gefangenschaft. Die Israeliten konnten wieder nach Hause. Gottes Zorn war scheinbar vorbei. Gott hat die Schuld vergeben. Alle offene Sünde hat er bedeckt. Ein Neuanfang ist möglich geworden. Aber das ist Erinnerung. Das war ja „Vormals“!

 

In der nächsten Woche am 9. November jährt sich der Fall der Mauer. Öffnung des eisernen Vorhangs. „Das tritt nach meiner Erkenntnis…ist das sofort, unverzüglich…“ stotterte Günter Schabowski und dann gab es kein Halten mehr. Wildfremde Menschen lagen sich in den Armen und querten die Grenze. Es war, als ob Gott den Deutschen die Schuld vergeben hatte, die sie mit dem Krieg und dem Massenmord an Juden und anderen auf sich geladen hatten: Der du die Missetat vormals vergeben hast deinem Volk… Aber das ist schon so lange her. Es war „vormals“…

 

Vormals war es gut, erinnert sich das Ehepaar, das vor mir sitzt. Die Ehe ist zerrüttet: Ein Scherbenhaufen. Die Spielsucht des Mannes hat das gesamte Vermögen der Familie aufgebraucht. Schuld und Schulden ohne Ende. Wovon träumt ihr? Habe ich gefragt. Und weil ihnen die Worte fehlten, habe ich sie malen lassen. Und sie malten beide unabhängig voneinander das Bild, dass sie im Herzen sahen: Wie es vormals war: Spazieren gehen mit Hund und Kindern, Mann und Frau Hand in Hand. So sollte es wieder werden, wie vormals.

 

Aber nun ist es anders geworden:

Die Liebe ist erloschen. Das Vertrauen ist geschwunden. Ratlosigkeit. Immerhin hat das Ehepaar sich aufgemacht. Sie suchen nach Hilfe. Es ist noch nicht alles aus. Die Sehnsucht, dass wieder Freude einkehrt in ihre Ehe glimmt noch. Sie sind nicht sehr religiös. Trotzdem haben sie sich an mich gewandt. Wir vereinbaren den nächsten Termin. Und zum Schluss spreche ich ein Gebet: Ein schlichter Ruf nach Gott. Voller Vertrauen, dass Gott hören wird und weiß was wir jetzt brauchen! Worte aus dem Psalm:

„Hilf uns Gott, unser Heiland!“

 

Ja,es ist anders geworden. Der Enthusiasmus beim Fall der Mauer ist verflogen. Die runden Tische haben Ecken bekommen. Die Kirchen waren die Räume, in denen Menschen frei sagen konnten, was sie wollten. Aber nun stehen sie oft leer. Glauben und Vertrauen stehen nicht hoch im Kurs. Die Skeptiker haben zwar keine Mehrheit, aber sie schreien lauter als die Stimmen der Zufriedenen. „Willst du uns denn nicht mehr erquicken, dass dein Volk sich über dich freuen kann?“

 

Das Volk droht die Einheit zu verlieren. Auch damals in Israel nach dem Exil und dem Wiederaufbau des Landes. Jeder weiß was seiner Meinung nach richtig ist und posaunt das hinaus. Keiner hört richtig zu. Ein Konzert voller Dissonanzen. Es schmerzt in den Ohren des Psalmbeters:

 

„Könnte ich doch hören, was der Herr redet, dass er Frieden zusagte seinem Volk und seinen Heiligen, auf dass sie nicht in Torheit geraten…“

 

Immerhin: Einer weiß, auf wen man hören sollte. Auch wenn viele nicht mehr an Gott glauben oder nur eine vage Vorstellung davon haben, was Glaube bedeutet: Einer gibt nicht auf nach Gott zu suchen. Er vertraut darauf, dass Gott auch in einer großen Krise noch da ist: „Seine Hilfe ist nahe denen, die ihn fürchten!“

 

Es ist dunkel, aber der Psalmbeter malt nicht schwarz. Warme Farben müssen das sein, wenn Frieden und Gerechtigkeit sich küssen.

 

Die Tage jetzt im November werden kürzer, die Nächte kälter. Es kommt die Zeit, in denen wir die Kerzen hervorholen. Kleine Lichter, aber sie strahlen Ruhe aus. Wir geben die Hoffnung nicht auf, „dass sich Güte und Treue begegnen, Wahrhaftigkeit und Frieden sich küssen, dass Treue auf der Erde wachse und Gerechtigkeit vom Himmel auf uns schaut.“ Die Erinnerung an früher, was vormals war ist wichtig, damit wir für die Zukunft lernen. Am Ende des Kirchenjahres schauen wir schon voraus auf den Advent und auf den Geburtstag von Gottes Liebe zu den Menschen.

 

Es gibt viel mehr Menschen als man manchmal denkt, die an Gott glauben und mit überlegen, wie er den Weg zeigt. Mit ihnen denken wir nicht mehr nur sehnsüchtig daran, wie es vormals war, sondern folgen Gottes Spuren. Die weiter führen: Gerechtigkeit geht voran und Barmherzigkeit an der Seite. Wir folgen den Schritten. Wir merken: Es tut gut. Gott schenkt seinen Segen auf´s Neue.

 

Amen!

 

 

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