Jesus mal ganz anders - Predigt zu Mt.10,34-39 - am 24.10.21

 Ihr Lieben,

ich war neulichs in der Fußgängerzone. Ich brauchte eine neue Hose. Da stand so ein Typ zwischen Kaufhaus und Drogeriemarkt: Er trug ein legeres weißes Hemd locker über seiner hellen Pluderhose. Er hatte einen grauen Bart und lange ebenso graue Haare. Seine Füße steckten in Birkenstocksandalen. Um den Hals trug er eine Kette mit dem Peacezeichen. Ein Hippie dachte ich. Allerdings trug dieser Hippie eine Kippa, die jüdische Kopfbedeckung. Und er rief den Vorrübergehenden zu: Selig sind die Friedenstiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen. Kein Mensch blieb stehen. Einige schüttelten den Kopf und tippten sich mit dem Finger an die Stirn. Sie murmelten deutlich hörbar: „Der meint wohl, er ist Jesus, oder was?“ „Ich bin Jesus!“ sagte der Mann. „Wieder so ein Spinner, der in den Sechziger Jahren stehen geblieben ist!“ dachte ich. Nur das mit der Kippa fand ich stark. Jesus der Jude. Wieso wird Jesus so selten als Jude dargestellt? Meistens ist er  sogar auf dem Kreuz in den Kirchen nie als Jude erkennbar? – Egal, ich brauchte eine neue Hose und wollte möglichst schnell an dem angeblichen Jesus vorbei. Vor mir war eine Mutter mit ihren beiden kleinen Kindern. Auch die Mutter hatte es eilig. Die Kinder aber blieben bei dem Jesus stehen und wollten ihm zuhören. Er lächelte sie an. Die Mutter zischte ihre Kinder an: „Kommt schon!“ Doch der Jesus sagte: „Lasst die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn ihnen gehört das Himmelreich!“ Na, zumindest das Matthäusevangelium zitieren kann er! dachte ich und ging vorüber. Doch dann gab es hinter mir mit einem Mal Tumult. Ich drehte mich um und sah zwei Kerle: Kahlschädel mit Bomberjacke und Springerstiefeln: „Scheiß Jude!“ riefen sie zu dem Mann, der sagte, er sei Jesus. Einer riss ihm die Kippa vom Kopf und der andere schlug Jesus voll ins Gesicht. Jesus zuckte zusammen, aber er wehrte sich nicht. Ich war wie erstarrt: Der Mann hielt den beiden Nazis jetzt sogar die andere Backe hin: „Wenn Du das brauchst, dann hau hier auch noch hin!“ sagte Jesus. Gott sei Dank kam dann der Sicherheitsdienst aus dem Kaufhaus und nahm die beiden Nazis fest. Ich dachte: Der Spinner, der sich für Jesus hält, ist ganz schön von seiner Mission überzeugt. Ich hätte mich wohl gewehrt oder wäre weggelaufen. Spinner hin oder her: Der Mann ist mir auch sympathisch geworden, obwohl ich ihn nach wie vor auch unheimlich finde.

 

Endlich war ich im Kaufhaus. Ich kaufte eine neue Hose und verließ das Kaufhaus. Da stand 50 Meter von dem Mann der meinte er sei Jesus, noch so ein Jesustyp und war am predigen. Wieder diese Sandalen und das helle Hemd über der Hose. Wieder eine Kippa auf dem Kopf. Aber statt Kette mit dem peace Zeichen, hatte er ein Schwert in der Hand, mit dem er bedrohlich auf die Passanten zeigte. Er rief: „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert! Ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien. Familien werden auseinandergerissen.“ „Unerhört!“ riefen einige Leute. Ich fand, es war Zeit, dass ich hier als Pfarrer mal für Klarheit sorgen musste. Ich ging zu dem Typ hin, stellte mich vor und sagte: „Sei vorsichtig mit dem, was du da von dir gibst! Ich muss mir dauernd anhören, auch wenn es falsch ist, dass Religionen für Kriege und Elend ursächlich sind. Und du predigst hier das Schwert, wo wir uns Gott sei Dank im Frieden befinden! Hör auf damit!“ Er hatte warme Augen, gab mir eine Bibel in die Hand und sprach: „Hier lies! Das habe ich -Jesus - selbst zu meinen Jüngern gesagt. Lies, wenn Du Pfarrer bist und meinst, Du wärst mein Nachfolger!“ Und ich las:

 

Mt.10,34-39

34 Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen! Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert. 35 Denn ich bin gekommen, um den Sohn mit seinem Vater zu entzweien und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter; 36 und die Hausgenossen eines Menschen werden seine Feinde sein. 37 Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert. 38 Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht wert. 39 Wer das Leben findet, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es finden.

 

Während ich las, kam der andere Jesus zu uns. Er sagte sanft aber bestimmt: „Du kannst wählen. Willst Du dem radikalen Friedensjesus nachfolgen oder dem, der so ganz anders und gar nicht lieb zu sein scheint?“ Gerade wollte ich sagen, dass mir der friedliche, pazifistische Jesus eindeutig besser gefällt und meiner Vorstellung entspricht. Aber dann musste ich an meine Erfahrungen aus dem Kosovo denken, wo man nur mit Gewalt das entsetzliche Morden im Bürgerkrieg beenden konnte. Und ich dachte an die beiden Nazis vorhin, die ich -wenn ich mutig genug gewesen wäre, - am liebsten mit irgendeinem harten Kampfgriff auf den Asphalt geworfen hätte. Polizisten müssen ja auch manchmal hart durchgreifen! Und das ist auch gut so!

Der Jesus mit dem Schwert bleibt mir aber unsympathisch. Und doch erzählt er nichts anderes, als ich von iranischen Flüchtlingen berichtet bekommen habe: Ahmet ist von seiner Mutter sogar verbrüht worden, als er sich in dseiner islamischen Familie mit einem Mal als Christ geoutet hatte. Als ihn die iranische Religionspolizei festnehmen wollte, ist er geflüchtet. „Ich habe keine Mutter mehr!“ sagte er mir einmal. „meine Geschwister seid ihr jetzt!“ In vielen Ländern ist das Christentum eine gefährliche Sache. Ein Kollege von mir war Pfarrer in der deutschen Gemeinde in Peking. Er hat die Aufgabe fallen gelassen, weil es nur Kontrolle durch den Staat gab. Wer es in solchen Ländern ernst meint mit dem christlichen Bekenntnis, der muss mutig sein und findet vielleicht sogar den Jesus mit dem Schwert sympathischer als das Luxusgerede vom immer lieben und pazifistischen Jesus.

 

„Unsere Jünger hatten früher nicht soviel Zeit sich zu entscheiden!“ drängten mich die beiden Jesusmänner endlich. „Übernimm endlich Verantwortung für eine Position Deines Glaubens!° Ich war unsicher geworden und starrte nachdenklich auf den Asphalt vor mir. Wer war ich? Woran glaubte ich? Wofür stehe ich wirklich ein? Was ist wirklich wichtig im Leben?

 

Die beiden Männer gingen unterdessen von mir fort. Ich hörte sie noch tuscheln und dann fingen sie an zu lachen: „Ach diese Christen! Immer meinen Sie, dass es nur eine Wahrheit gibt! Immer nur rechts oder links! Immer nur einen Glauben oder keinen!“ Bei dem einen baumelte die Peacekette fröhlich um den Hals und der andere hatte sein Schwert locker auf die Schulter gelegt.

 

Seitdem frage ich mich: Was habe ich eigentlich für ein Bild von Jesus und von Gott in mir? Bin ich geprägt von den Bildern, die ich seit Kindesbeinen an gesehen habe? Male ich mir mein Gottesbild selber, so wie es mir gerade passt? Oder sollte ich mir wirklich kein Bild von Gott machen? Ist er manchmal ganz anders und durchaus unpassend, unbequem und herausfordernd? Bringt er das Schwert, wenn ich mich zu bequem zurücklehne und mahnt er mich zum Frieden, wenn ich zu hart mit mir selber oder anderen ins Gericht gehe?

 

Ich habe übrigens am Abend noch einmal die neue Hose anprobiert. Dabei habe ich gesehen, dass – obwohl sie mir so neu und passend schien, sie einen Fleck und einen kleinen Riss hatte. Ich habe sie aber nicht wieder umgetauscht. Denn es gibt nichts Perfektes, vielleicht eine heile Hose, aber keinen Glauben, der alles weiß! Ohne Flecken und Risse… Amen!

 

 

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