Liebe Gemeinde... Predigt am 11.S.n. Trinitatis zu Eph.2,4-10

4 Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, 

 5 auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht – aus Gnade seid ihr gerettet –; 6 und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus, 7 damit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus.8 Denn aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, 9 nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme. 10 Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.

 „Liebe Gemeinde…“

…so beginnen wir Pfarrer meistens eine Predigt. Es ist nicht schlecht, wenn zu Beginn so eine Wertschätzung gegenüber anderen ausgesprochen wird. Denn Anerkennung, Lob, Wertschätzung, das hören wir doch alle gerne. Schon im Kindesalter gehört die Wertschätzung zum guten Ton:

„Ah, das hast du aber toll gemalt! Aber was soll das denn sein?“

Oder wenn das Kind die ersten Schritte läuft: "Oh prima!"

Oder wenn der Pups im Töpfchen landet: "Das ist aber schön…"

Später belohnen Oma und Opa das Zeugnis, egal wie es ausfällt, mit 50 €.

Noch später darf im Berufszeugnis nichts Negatives stehen, statt dessen: "Er bemühte sich redlich." Das ist die erlaubte, weil wertschätzende Aussage, dass derjenige eigentlich nichts hinbekommen hat.

Fehler einzugestehen ist nicht leicht. 


Nach 1945 wollen die wenigsten tatsächlich zugeben, dass sie Täter waren oder schuldig geworden sind, weil sie nicht widerstanden haben. Der ehemalige württembergische Bischof Theophil Wurm hat in einer Predigt am 12.August 1945 gesagt: „Gott hat sein Urteil gesprochen über das Streben nach Macht und Reichtum und Herrschaft, wie es in unserem Volk, besonders in der letzten Zeit eine maßlose Form angenommen hat.“ Da ist nichts von „Liebe Gemeinde!“ zu hören oder: „Das haben wir aber toll gemacht!“ Geprägt von der großen Schuld sagt Theophil Wurm noch: „Lasst uns darum bitten, dass unsere Kirche (den) Dienst recht tue und lasst uns darum bitten, dass eine Zeit komme, wo wir nicht bloß bitten dürfen und bitten müssen: Gott sei mir Sünder gnädig, sondern wo wir sehen dürfen aus eigenem Erleben, aus innerster Erfahrung: Gott ist dem Sünder gnädig!“

(Quelle: A+B, Zeitschrift für die Ev. Landeskirche in Württemberg Heft 13/21 S. 3)

 

Der Epheserbrief beschreibt genau diese Zweiteilung. Wir sind Sünder, mehr noch: Wir sind tot in den Sünden! Daran ändern auch alle guten Taten nicht, die jeder und jede sicherlich vollbringt oder vollbracht hat. Denn trotzdem beteiligen wir uns ja am Raubbau dieser Erde, schaffen es nicht Frieden zu stiften oder Armut zu beseitigen. Wir sind so weit weg vom Gedanken, dass der Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen wurde. "Wir haben uns redlich bemüht!" könnte bestenfalls in unserem Zeugnis stehen. Heißt: Wir werden unserem Auftrag nicht gerecht! Keine liebe Gemeinde! Stattdessen: Alle sind Sünder vor dem Herrn! Ihr und ich auch! Und wenn wir so weiter machen, dann sind wir unwiderbringlich tot und verloren!

 

Auf der anderen Seite sind wir aber eine liebe Gemeinde, von Gott geliebte Menschen. Nicht erst irgendwann einmal, sondern jetzt schon. Allein aus Gnade, nicht weil wir manchmal eben auch Gutes tun. Dabei klingt das Wort Gnade ja in unseren modernen Ohren schon demütigend. Dass wir Gnade brauchen, kratzt an der Eitelkeit der Menschen, die sich ganz auf ihre eigene Kraft und ihren eigenen Verstand verlassen wollen: „Ich entscheide was gut ist und was nicht. Das hat mir keiner einzureden! Und: Ich möchte, dass das Gute auch anerkannt wird!“

 

Liegt unsere Sehnsucht nach Anerkennung, nach Wahrnehmung durch andere vielleicht auch daran, dass wir – wie Theophil Wurm sagte – nicht sehen und nicht selbst erleben, keine innere Erfahrung machen: Gott ist dem Sünder gnädig. Sehen wir die gnade nicht, weil wir uns immer nur selber wahrnehmen? Wo können wir Gnade als befreiende Kraft erleben? Wo spüren wir, dass wir nicht immer den Konkurrenzkampf mit unseren Mitmenschen mitmachen müssen? Wo fühlen wir uns trotz aller Fehler angenommen? Wo dürfen wir mitwirken, auch wenn die Zeugnisse das eigentlich nicht hergeben? Wo lassen wir Gnade, wo lassen wir Gott in unserem Leben zu?

 

Einer meiner niederländischen Professoren im Studium berichtete uns, wie er die erste Sitzung des Weltkirchenrates 1948 in Amsterdam miterlebte. Die Deutschen baten wegen der Untaten im Nationalsozialismus erst gar nicht um eine Mitgliedschaft. Aber der erste Vorsitzende Vissert van Hof lud die Deutschen ein und gab ihnen so einen Platz und die Verantwortung, die Zukunft gemeinsam zu gestalten. Das war für meinen Lehrer erlebte Gnade.

 

Ich denke daran, wie ich einmal als Kind mit Freunden auf einer Familienfreizeit aus völliger Hirnlosigkeit die Wirkung von Zielwürfen mit Steinen an einem Entenhaus ausprobiert hatte. Die Wirkung war zerstörend. Ich habe das meinem Vater gebeichtet. Er schickte uns Jungs zum Leiter des Freizeitheims, wo wir uns gefälligst erklären sollten. Zwischenzeitlich hatte mein Vater schnell die Angelegenheit mit dem Heimleiter geklärt. Schuldig waren wir, aber uns wurde Gnade gewährt.Wir mussten keine Strafe ausbaden. Nur dieses: Achtet in Zukunft das Eigentum von anderen!

 

Die Bibel sagt, dass Gott uns durch Jesus Christus gnädig ist. Daraus entsteht freilich auch ein Anspruch. Wer Gnade einmal erlebt hat, wer die daran enthaltene Liebe spüren durfte, der wird sich anders, besser verhalten. Der Epheserbrief schreibt: Wir sind Gottes Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.

 

Wo also sehen wir Zeiten der Gnade? Wo erleben wir Freiheiten durch Gnade? Kurz: Wann haben wir einmal positiv erlebt, dass uns jemand gnädig war? 

Und: Wo haben wir uns selber gnädig verhalten? Wo haben wir Fünfe gerade gelassen? Wo haben wir anderen Freiräume geschaffen, auch wenn wir sie am liebsten weggesperrt hätten? Wo können wir auf unser gutes Recht verzichten, um gemeinsam Zukunft zu bauen?

 

Gott macht es uns vor. In Jesus Christus ist er uns gnädig. Wir sind seine geliebten Kinder, auch wenn nicht alles toll und prima ist. Darum und nur darum also sind wir seine liebe Gemeinde. 

Amen!

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