Pfingstpredigt zu 1.Mose11,1-11 Viele Kulturen und doch ein Geist?

DER TURMBAU ZU BABEL

111Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. 2Als sie nun von Osten aufbrachen, fanden sie eine Ebene im Lande Schinar und wohnten daselbst. 3Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! – und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel 4und sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut über die ganze Erde.5Da fuhr der Herr hernieder, dass er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten. 6Und der Herr sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. 7Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe! 8So zerstreute sie der Herr von dort über die ganze Erde, dass sie aufhören mussten, die Stadt zu bauen. 9Daher heißt ihr Name Babel, weil der Herr daselbst verwirrt hat aller Welt Sprache und sie von dort zerstreut hat über die ganze Erde.


Liebe Gemeinde,

In dem Haus, in dem wir wohnen, leben Menschen aus vielen Ländern. Unter uns wohnen z.B. Linda und Jean Paul, die nur Französisch und ein wenig Spanisch sprechen. Sie sind Belgier. Französisch hatte ich drei Jahre in der Schule. Leider habe ich viel vergessen. Pjetr ist Russe. Ich habe auch Russisch in der Schule gehabt, aber es fast nie gebraucht. Mit Pjetr spreche ich deshalb Englisch. Das kann er sehr gut und ich; so ach ja…Edith ist Schweizerin. Ihre Heimatsprache ist italienisch, aber sie spricht deutsch. Manchmal benutzt sie aber schweizer Vokabeln, die ich gar nicht kenne. Stephen und Angela sind Schotten, obwohl Angy eigentlich aus Pakistan kommt. Sie sprechen englisch, - nur englisch -, aber in einem so grauenvoll schwer zu verstehenden schottischen Akzent, dass ich lieber mit dem Kopf nicke und so tue als ob ich es verstehe.

Walter ist auch Belgier, aber Flame. Deshalb kann ich mit ihm niederländisch sprechen. Genauso wie mit Ans und seiner ukrainischen Freundin. Und obwohl ich ganz gut Niederländisch kann, verstehen wir uns nicht ganz so gut, denn wir liegen geistig oft ordentlich auseinander. Überhaupt: Wir wohnen alle zusammen in unserem Wohnkomplex, aber zusammen wohnen wir doch nicht. Es fehlt der Geist, der die Sprach und Kulturgrenzen überwindet. Die deutschsprachigen sind unter sich und die französisch Sprechenden, die Engländer sowieso. Die anderen Nationen sieht man auch selten bei den anderen.

            9 Sprachen habe ich in meinem Leben gelernt. Und trotzdem verstehe ich die Welt oft nicht. Besonders merke ich das, wenn ich in Deutschland bin. Im Bus sind Jugendliche, die nur türkisch sprechen, Erwachsene, die lauthals russisch in ihr Handy brüllen. Es gibt Schwarzafrikaner, deren Sprache ich überhaupt nicht zuordnen kann. Manchmal habe ich das unwohle Gefühl: Wir Deutschen sind eine Minderheit im eigenen Land. Ich weiß, das ist ein gefährlicher Satz. Er könnte von den aufgenommen und missbraucht werden, die keine Ausländer wollen. Missbraucht von denjenigen, die nur eine Kultur, eine Sprache haben wollen. Missbraucht von denjenigen, die mit der Angst spielen, dass man angesichts der vielen fremden Menschen seine eigene Identität verlieren könnte.

            Die Geschichte vom Turmbau zu Babel hat diese Angst als Hintergrund: Die Menschen sagen: „Wohlan, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reicht, dass wir uns einen Namen machen; denn sonst werden wir zerstreut“.  Angst zerstreut zu werden, nur noch Diaspora und nirgends richtig Heimat zu empfinden ist eine reale Sorge. Um der Entfremdung und dem möglichen Identitätsverlust vorzubeugen, schlagen die Menschen vor, eine eigene Stadt zu bauen. Babel! Symbol für das Selbstbewusstsein ist ein möglichst hoherTurm. 

In der Toscana gibt es Städte, die ganz viele Wohntürme haben. Je höher der Turm, desto größer der Familienstatus in der Stadt. Bankzentralen haben auch oft Hochhäuser, die zeigen: Seht her: Wir überragen alles andere. In Babel sollte der Turm bis an den Himmel reichen. Großmachtfantasien. Größer geht es nicht. Sogar der Himmel gerät in Babel auf Augenhöhe. Menschen werden göttergleich. Nach oben ist alles möglich: Der Traum vom Fliegen, der Traum ewiger Jugend, die Sehnsucht nach lebenslanger Unversehrtheit; die Berührung des Himmels ist schon lange nicht mehr das Ziel: nach dem Mond ist nun auch der Mars greifbar nahe geworden. Das Streben nach Wissen und Können hat die Menschheit weitergebracht. Aber was kommt noch? Gibt es keine Grenzen mehr? Ist alles gut, was möglich ist? Wer sagt uns, was gut ist und was verwerflich? Was ist der Mensch? Worauf kommt es eigentlich an? Babel greift nach dem Himmel und baut doch trotzdem eine Mauer um die Stadt. Wer kann rein? Wer muss draußen bleiben? Wessen Geist weht da?

 

Gott schaut sich das an. Nicht von oben, sondern fährt herab, heißt es im Bibeltext. Und dann kommt der Baustopp für dieses Großprojekt. Nicht weil das Geld fehlt oder eine seltene Tierart gefunden wird.  Sondern weil mit einem Mal Verwirrung herrscht. Die Sprachen werden durcheinander gewirbelt. Gott will das so. Einer versteht den anderen nicht mehr. Und was eigentlich der Einheit dienen sollte, wird nun der Anlass für die Verteilung in alle Welt. Wer ist dieser Gott? Welcher Geist ist in ihm? Welche Idee treibt ihn?

 

Die Folgen von Gottes Handeln, der Verwirrung der Sprachen in Babel, sind hinlänglich bekannt: Menschen streiten in der eigenen Familie und verstehen sich nicht mehr. Menschen leben jahrelang friedlich nebeneinander und dann zünden sie gegenseitig die Häuser an. Palästinenser und Israelis finden nicht zu einander. Beide Seiten kennen nur die Sprache der Gewalt. Wo Raketen die Menschen in die Keller treiben und Städte platt gebombt werden ist der Himmel meilenweit entfernt. Das Großprojekt Babel scheitert immer wieder..

            Man kann Mauern errichten und Türme bauen, aber es bleibt eine Tatsache, dass die Verstreuung von Menschen, Sprachen und Kulturen unsere Zeit prägt. Menschen wandern, meistens unfreiwillig. Damit beginnt die Turmbaugeschichte. Das mag Angst machen, aber die Angst hilft nicht, die Probleme zu lösen. Naive Sorglosigkeit und ebenso falsche Toleranz sind keine guten Ratgeber. Wir brauchen keine einfachen Parolen, sondern einen neuen Geist. Es ist eine riesige Aufgabe, das Miteinander von verschiedenen Kulturen und Sprachen, von Hautfarben und Religionen zu versuchen. Ich glaube, es funktioniert nur, wenn es einen Konsens der Werte gibt. Was ist wirklich wichtig? Was ist mir wichtig? Was dir? Was kann man an anderem tolerieren und wo gibt es die no-goes, die Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen? Darüber muss man sich verständigen, auch wenn wir verschiedene Sprachen sprechen.

Wir Christen sind ein Teil dieses Not-wendigen Prozesses. Und das hängt mit dem Pfingstfest zusammen. So wie Gott in Babel das Projekt einer alles beherrschenden Einheitskultur beendet hat, so führt er am Pfingstfest die Menschen wieder zusammen und zwar in aller Vielfalt. Die Völker bleiben nicht für sich, sondern hören Gottes Wort in ihrer jeweiligen Sprache. Da macht sich ein Geist breit, der Menschen begeistert: Die Erkenntnis dass man in der Vielfalt doch an einem Strang ziehen kann lässt die Apostel Feuer und Flamme werden. Nicht die Angst vor Entfremdung siegt, sondern die Bereitschaft, sich auf das andere einzulassen ohne die eigene Identität ganz fallen zu lassen. Gottes Geist kommt auf alle Völker. Das ist Pfingsten.

Ein Beispiel und modern gesprochen: Juden, Christen und Muslime brauchen keine Einheitsreligion. Wer sagt: Religionen sind an allem Schuld! Redet Blödsinn. Wer sagt: Wir glauben doch alle an einen Gott! hat keine Ahnung! Wer sagt: Ohne Religion wäre die Welt einfacher und friedlicher! verpasst die große Chance.

Nötig ist das gegenseitige Kennenlernen, nicht nur oberflächlich und nicht nur einseitig. Wir müssen das Gemeinsame erkennen und ebenso um die gravierenden Unterschiede wissen. Zu den unverzichtbaren Werten für mich gehört z.B. die Gastfreundschaft gegenüber Fremden, aber auch die Bereitschaft, sich als Gast in einem fremden Land zu verhalten. Denn es ist ja Gott selber, der die Vielfalt der Menschen gewollt hat und gleichzeitig ist es derselbe Gott, der seinen einen heiligen Geist über alle Menschen ausgießt. Pfingsten werden keine Probleme endgültig gelöst, aber es gibt die Bereitschaft, Ängste und Sorgen zu überwinden und auf den Geist Gottes zu vertrauen. Das wäre ja schon eine ganze Menge in dieser Zeit. Möge Gottes Geist uns immer wieder berühren, bewegen und mit neuer Zuversicht und Kraft ausstatten. Amen!

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Adios!

Regenbogen-Noah und wir. kurze Predigt zu 1.Mose 8,18-9,17

Lukas 21,25-33 Gegen den Weltuntergang