Verena Wache, Prädikantin Predigt zu Sacharja 9,9-10 am 1. Advent, Playa de las Americas Teneriffa

  

Verena Wache, Prädikantin
Chayofa/Teneriffa, 29. November 2020

Predigt Sacharja 9,9-10

Du kommst, er kommt, sie kommt; 
es kommt, wie es kommt.

Du, Mann, 67 Jahre, kommst gerade aus dem Einkaufszentrum. Seit deine Frau vor einem Jahr plötzlich verstarb, ist es dein zweites Zuhause geworden. Deine Rente reicht Gott sei Dank noch für den morgendlichen Kaffee.  Hier sind ab und an noch ein paar Leute, die dich grüßen; meistens wirst du vom Sicherheitspersonal beobachtet. Die verstehen nicht, dass du die Einsamkeit in deinem kleinen Zimmer nicht aushältst und deshalb bis Geschäftsschluss durch das Einkaufszentrum läufst. 

Jetzt bist du gekommen und sitzt hier in der Kirchenbank. Du erwartest nicht viel, ein wenig Vertrautes vielleicht in deiner Einsamkeit. – Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer. 

Du, Frau, 39 Jahre, kommst gerade aus dem Hotel. Du bist froh, dass dies Hotel noch geöffnet hat. Viele andere mussten schließen. Du bist die einzige in der Familie, die noch „normal“ arbeitet. Doch das Bisschen, das du verdienst, reicht nicht für alle. In dem Hotel reinigst du die Zimmer, beziehst die Betten frisch und schaust, dass alles in Ordnung ist. Jetzt im Advent legst du auf jedes Kissen einen kleinen Stern aus Schokolade mit einer Note von Zimt. Ein Stern ist heute übrig geblieben; den hast du dir eingesteckt für später. 

Nein, du kannst noch nicht nach Hause gehen. Du bist müde, traurig und erwartest nicht viel. Jetzt bist du gekommen und sitzt hier in der Kirchenbank, um ein wenig zur Ruhe zu kommen im Advent. – Siehe, dein König kommt zu dir, arm und reitet auf einem Esel.

Die beiden sitzen nun in der Kirchenbank, hoffen und beten, dass sich etwas in ihrem Leben ändern möge. Du kommst, er kommt, sie kommt, es kommt wie es kommt. So viele sagen, was da noch kommt. Und einige hören heute noch von einem, der da kommt. Dein König kommt.

Märchenhaft klingt das für Menschen, die sich längst mit ihrem Alltag abgefunden haben. Die Könige, die sie kennen, sitzen in gepanzerten Limousinen und winken eher gelangweilt und routiniert manchmal ihrem Volk zu. Niemand hat je einen König auf einem Esel gesehen. Was kann man denn auch von jemand erwarten, der an einem vorbeirauscht, der mich bestenfalls als Wähler/in oder Untertan wahrnimmt. Was können die Menschen in Thailand von ihrem König erwarten, der in Bayern auf gut deutsch gesagt „die Sau raus lässt“, der jeden Besuch in seinem Land als lästige Pflicht ansieht? 

Könige kommen und gehen. Obwohl das Gehen ihnen schwerfällt, egal ob sie Donald oder Elisabeth oder Lukaschenko heißen. Macht abgeben, sie an andere übergeben, das ist für sie mit großer Angst behaftet. Bei Donald kann ich das sogar verstehen. Wer wechselt schon gern vom Weißen Haus in die drohende Gefängniszelle?

Manche „Könige“ bleiben in den Köpfen ihrer Untertanen. Wir müssen befürchten, dass die „Proud boys“ und andere fanatische Trumpisten den Wohnungswechsel nicht einfach hinnehmen wollen. Und wir wissen, in wieviel Köpfen noch „König Adolf“ herumspukt. 

Seit Donald Trump in Washington die Welt mit seinen blödsinnigen Tweeds überschwemmte und Boris Johnson in London herumpolterte, fällt es uns hierzulande nicht so schwer, sich Macht vorzustellen, die nur noch lächerlich ist, aber leider immer noch sehr gefährlich. 

Umgekehrt ist die Sache nicht so einfach. Ein Mächtiger, der auf Gewalt verzichtet und dabei doch etwas bewegt – ist das realistisch? Ein Herrscher, der zum Hoffnungsträger taugt, weil er den Starken keine Angst macht und den Schwachen Vertrauen einflößt – kann das gut gehen? Ein König, der auf einem Esel reitet, ist das in Wirklichkeit nicht eine Witzfigur? 

Der Prophet Sacharja war entweder ein Kindskopf oder ein sehr, sehr weiser Mann. Hören wir, was er im 9. Kapitel schreibt: 

Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin. Denn ich will die Wagen vernichten in Ephraim und die Rosse in Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde.

Das Bild, das Sacharja zeichnet, ist uns wohl vertraut. Wir haben davon in dem Lesungstext bei Matthäus gehört.  Jesus, der auf dem Esel in Jerusalem einzieht. Dort werden die Worte des Propheten zitiert, jedenfalls der erste Teil davon. Matthäus weiß wohl, dass er in seiner Gemeinde damit an Bekanntes anknüpfen kann, weil sie zum großen Teil aus Juden-Christen bestand, die die Thora und die Propheten sehr wohl kannten. 

Aber die Evangelien überliefern  diese Geschichte als Einleitung der Passion Jesu. Wir Christen haben uns angewöhnt, den Hosiannaruf und den Jubel der Menschen beim Einzug in Jerusalem mit dem »Kreuzige!« zu verknüpfen, das die Menge in der Stadt wenig später schreit. So viele Erwartungen an ihn, als Befreier und Retter. Und so viele Hoffnungen, die sich nicht erfüllten. Der Verrat des Judas und die „Kreuzige ihn“ Rufe sprechen ihre eigene Sprache.

Im Übrigen brauchen wir nicht den dunklen Schatten der Passion, um bei diesem Text in aller beseelten Adventsstimmung die harte Wirklichkeit aus dem Auge zu verlieren. Das Prophetenwort stammt nicht aus einer vermeintlich guten, alten Zeit, die es in Wahrheit nie gegeben hat, sondern aus der Epoche der letzten Jahrhunderte vor Christi Geburt. Das war einer der blutigsten Abschnitte der ganzen Weltgeschichte; es ist die Zeit der so genannten Diadochen, der Nachfolger Alexanders des Großen. Ein Herrscher mordete den andern, mit Intrigen, Dolch und Gift und dennoch hielten sich alle diese Herrscher für göttliche Wesen. Einer nannte sich „Heilbringer“; ein anderer „auf Erden erscheinender Gott“; wieder ein anderer „Heiland“. 

Und da kommt dann in Jerusalem der Prophet Sacharja und sagt: Nein! Da ist nicht göttliche Macht und nicht göttliche Herrschaft … ›Siehe, dein König kommt zu dir‹, ganz anders, … ein Reich zu errichten, … hier auf Erden, und doch anders als alle Reiche dieser Welt.« 

Könige gehen … Auch das ehemalige Reich Alexander des Großen ist vergangen. „Der Große“ ist allerdings irreführend, soll er doch nur 1.60 m groß gewesen sein. Sein Reich, von Makedonien ausgehend über Griechenland, die heutige Türkei nach Persien, von dort über Israel nach Ägypten und von Ägypten über Syrien nach Indien, wurde zerstückelt, aufgeteilt und zerbrach. Der Hellenismus wurde abgelöst von dem römischen Reich. Die Menschen in Israel hatten es einfach satt, ständig vom Krieg überrollt zu werden, Spielball der gerade Mächtigen zu sein. 

Sacharja sagt: „Denn ich will die Wagen vernichten in Ephraim und die Rosse in Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde.“

Könige kommen … Dieser König kommt, um gegen die allgegenwärtigen realen Erfahrungen von Gewalt und Ohnmacht zu beschützen. Ein für alle Mal, überall auf der Welt, ohne Unterschiede zu machen. Nirgends steht in der Prophezeiung etwas von „Nur für Juden, nur für Christen, nur für Griechen, nur für Römer“ – Sacharja sagt: den Völkern. Niemand ist ausgeschlossen und vor allem: nur gemeinsam ist Friede möglich. 

Das ist das wirklich Großartige, dass die Friedensbotschaft allen Menschen gilt. Schritte zum Frieden müssen nicht immer groß sein. Es können kleine Eselsstapfen sein. Scheinbar bescheidene  Erlebnisse von gelungener Verständigung gewinnen dann an Gewicht. Wir übersehen sie nur zu oft im grellen Licht der Shoppingcenter oder im trüben Grau unserer Ängste. 

Die Adventszeit lädt uns ein, Orientierung weder in gedankenloser Gemütlichkeit noch in düsteren Unglücksszenen zu suchen, sondern in wachem Blick auf Worte und Gesten, die ein Stückchen weiterhelfen können. Es gibt so viele Menschen, denen ein wenig Aufmerksamkeit, eine freundliche Ansprache, eine kleine Geste gut tun würde.

Wir müssen uns davor hüten, diese Schritte als »zu klein«, als »ungenügend« zu diskreditieren. Lieder, Kerzen und Gebete waren schließlich auch kleine Schritte zur Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit. Und es ist einfach so, dass Menschen nach langer Unfreiheit die Freiheit erst wieder mühsam lernen müssen.

»Es gibt in unserer Mitte Menschen, die leben in ihrer Welt, als wäre sie ein Haus ohne Fenster, ohne Weite, ohne Aussicht, ohne Perspektive. Und manchmal gehören wir selbst zu ihnen«, schreibt Rüdiger Lux. »Wir, gefangen in uns, gefangen in Ritualen des Wohlstands und der Unterhaltung, … geblendet vom Vorhandenen, ohne Sehnsucht nach dem Abwesenden, … eingebunden in die Reiche dieser Welt, in Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Medien, ohne Leidenschaft für das Reich Gottes …! Wir kommen da nicht raus.« Der kleine Reiter auf dem Eselsfüllen kann uns die Tür öffnen, sagt uns der Advent … »Er stößt die verschlossenen Fenster auf. Er lässt Licht hineinströmen … Er gibt uns Einblicke und Durchblicke auf eine neue, eine erneuerte Welt.« 

Ein Wiener Pfarrer hat sich mal eine Esels-Predigt einfallen lassen, die auch eine schöne Eselsbrücke zum Weiterdenken sein kann. Ich zitiere ein paar Sätze:

»Man kann sagen, was man will, aber: Charakter – das hat er, der Esel. Mehr als andere Geschöpfe. Mehr als seine adeligen Verwandten, die Pferde. Ja freilich, die sind schöner, hochgewachsen, gut erzogen, charmant und intelligent. (…) Pferde machen verwegene Zirkuskunststücke. Mit dem Esel ist kein Zirkus zu machen. (…) Ich bin versucht zu sagen: Der Esel hat gewisse höhere Einsichten und anerkennt nur einen höheren HERRN, aber keinen Dompteur. 
Auch dass er für den Krieg nicht zu gebrauchen ist, spricht nicht unbedingt gegen ihn.(…) Dass gerade dieses Tier mit der Lebensgeschichte Jesu so verbunden ist, gibt zu denken.“

Du kommst, er kommt, sie kommt; 
es kommt, wie es kommt.
Und was kommt für die beiden, die in der Kirchenbank sitzen? Die vielen, die gerade in der Adventszeit und am Heiligen Abend auf der Suche sind nach Wärme, Gemeinschaft, Geborgenheit?

Ich habe in Bremen zu dem Kreis derer gehört, die im Dom das Mittagsgebet halten durften. Dort kamen sie zusammen: der Banker, die Marktfrau, die Hausfrau mit ihren Einkäufen, der Börsenmakler, die Touristen. Dort saßen sie im feinen Zwirn und in der Kittelschürze mit warmen Schal. So unterschiedlich sie waren, es war ihnen wichtig, dort zu sein. 

Finden sie in der Kirche, was sie suchen? Offensichtlich, sonst säßen sie nicht da. Ja, sie finden etwas, was ihnen weiterhilft, was sie durchatmen lässt, wo sie sich fallen lassen dürfen. Auch wer auf hohem Ross sitzt, kann fallen, aber nie tiefer als auf den Esel, auf dem Jesus an ihm vorbei reitet. 

Auch wer im dunklen Keller seiner Angst und Verzweiflung sitzt, wird von dem Mann auf dem Esel gesehen und nicht allein gelassen. Die Botschaft gilt: Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin.

Jesus Christus: für uns Christen der Messias. Die Menschen, denen Sacharja Gottes Worte weitersagte, erwarteten den Messias. So warten wir beide – Juden und Christen – auf den Messias. Die Juden, dass er kommt; wir Christen, dass er wiederkommt. Doch dass er kommt, das ist gewiss, so gewiss wie das Amen in der Kirche. Amen. 

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