Fürchtet Euch nicht, denn Ihr seid kostbar! Predigt zum Reformationstag 2020 Mt.10,26-33

 Mt.10,26-33
Darum fürchtet euch nicht vor ihnen.
Denn es ist nichts verborgen, was nicht offenbar wird, und nichts geheim, was man nicht wissen wird. 27Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht; und was euch gesagt wird in das Ohr, das verkündigt auf den Dächern.28Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet viel mehr den, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle. 29Verkauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater. 30Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Haupt alle gezählt. 31Darum fürchtet euch nicht; ihr seid kostbarer als viele Sperlinge.32Wer nun mich bekennt vor den Menschen, zu dem will ich mich auch bekennen vor meinem Vater im Himmel. 33Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem Vater im Himmel.

Liebe Gemeinde,

„Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort!“ Diesen Satz kenne ich aus meiner Kindheit. Dieser Satz hat mir Angst gemacht. Angst vor Strafe und Angst etwas falsch zu machen. Angst, dass etwas ans Licht kommt, was ich lieber verschweigen möchte. Angst, weil die Strafe unausweichlich ist und man sich nicht freikaufen kann.

 

Mit dieser Angst spielte Johann Tetzel im Auftrag von Papst Leo zur Zeit der Reformation. Wegen ihrer Sünden drohte Tetzel und die katholische Kirche damals den Menschen mit dem Fegefeuer oder den ewigen Höllenqualen. Gott sieht alles! Gott straft! Aber man konnte sich freikaufen, wenn man bei Johann Tetzel Ablassbriefe erwarb.

 

Martin Luther hat gemerkt, dass er sich nicht von den Sünden freikaufen konnte. Der Mensch ist immer Sünder; er macht immer wieder Fehler und er entfernt sich immer wieder von dem, was ihm von Gott gesagt ist: „Nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“ (Spruch der vergangenen Woche: Micha 6,8)

 

Gestern vor 503 Jahren, am 31.Oktober 1517, hat Martin Luther seine Thesen zur Ablasspraxis in Wittenberg zur Diskussion gestellt. Beim Bibellesen ist ihm klar geworden, was durch die Drohung mit dem strafenden Gott verborgen wurde: Der Mensch ist und bleibt ein Sünder, aber Gott straft den nicht, der an Jesus Christus glaubt und auf seine Liebe und Barmherzigkeit hofft. – Als man Martin Luther den Prozess machen wollte, da wollte er nur widerrufen, wenn man seine Thesen mit den Worten der Bibel widerlegen könne. Natürlich wird Martin Luther Angst gehabt haben vor den Mächtigen seiner Zeit. Er musste damit rechnen, dass er wie ein Ketzer getötet wurde. Aber er hat auf seine innere Stimme, seinen Glauben und sein Gewissen vertraut: Sätze aus der Bibel haben ihn dabei unterstützt, so wie dieser aus dem Predigttext:

 

„Fürchtet Euch nicht vor denen, die den Leib töten doch die Seele nicht töten können!“

 

Die Gefahr, wegen seiner Ansichten getötet zu werden, war zu Luthers Zeiten sehr real. In vielen Teilen der Welt ist sie auch heute noch real. Ich bin froh darüber, dass das heute in Europa anders ist. Wir haben eine kostbare Freiheit des Gewissens, eine Freiheit der Meinungsäußerung. Man kann für oder gegen eine Religion sein und wird weder für das eine noch das andere bestraft. Ob alles auch klug ist, was da geäußert wird, steht auf einem anderen Blatt. Für kluge  Meinungsbildung ist Wissen und Diskussion unabdingbar. Auch über Religion. Martin Luther hat deshalb das Schulwesen eingeführt. Alle sollten die Bibel lesen können. Für alle Menschen sollte die Bibel kein verborgenes Geheimnis bleiben, sondern man sollte die Bibel auf Deutsch lesen können und darüber diskutieren können: Frei, auf den Dächern und im Licht.

 

Eine ganz wichtige Erkenntnis über Gott und damit über unseren Glauben erfahren wir in den heutigen Worten Jesu: Menschen, die auf Gott vertrauen, die an seine Zuneigung trotz aller Fehler glauben, sind unglaublich wertvoll: Fürchtet Euch nicht, denn Ihr seid kostbar!

 

Menschen sind wertvoll vor Gott. Sie sind seine Kinder. Damit wird jeder Menschenverachtung widersprochen, egal ob sie im Namen einer Religion oder aus politischen Ansichten geschieht. Für Dietrich Bonhoeffer war das der Grund, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen (Apg.5,29)  Man dürfe nur gregorianisch singen wenn man auch für die Juden schreit, hat er den Nazis und den deutschen Christen im Hitlerdeutschland entgegengesetzt. Er wusste, dass er für sein Bekenntnis zu Jesus Christus als einzigem Herrn und gegen die Vergötterung eines Führers und einer Rasse mit dem Tode bestraft werden könnte. Aus seinen Briefen aus dem Gefängnis scheint hervorzugehen, dass er mehr Gottvertrauen als Furcht in sich hatte. (Widerstand und Ergebung, hrsg. V. E. Bethke)

 

Nicht jeder hat solch einen Mut. In bedrohlichen Zeiten schlängelt man sich oft auch irgendwie durch. Christen aus der ehemaligen DDR konnten ein Lied davon singen.  Sich zum Christentum zu bekennen war oft mit Schwierigkeiten verbunden. Ich habe das selber miterlebt (als Westpfarrer) in unseren Partnergemeinden. Man musste sich gut überlegen, was man predigte und manches Bekenntnis flüsterte man lieber ins Ohr als es von den Dächern zu verkünden.

 

Jedoch sind die großen Veränderungen von der Finsternis zum Licht, von dem Flüstern ins Ohr zur freien Rede auf den Dächern, zu mehr Freiheit und Offenheit, zu Mitmenschlichkeit und Demokratie nur durch die Menschen entstanden, die den Tod nicht gefürchtet haben. Jesus Christus, die Apostel Paulus und Petrus, Martin Luther oder Mahatma Ghandi gehören auf diese Liste. Diese mutigen Menschen sind nicht alle unbedingt Christen. 

 

Doch gerade von uns, die wir Christen sind, erwartet Jesus offenbar auch, dass wir mit unserem Bekenntnis nicht hinter dem Berg bleiben. Christen haben etwas zu sagen. Gerade dann, wenn andere Stimmen laut werden, die nur von sich erzählen, die „nur wir“, oder "wir zuerst!" rufen, oder: „Du gehörst nicht dazu!“. Wir sollen Gottes Liebe und Vergebung predigen. Luther sagt selber einmal: "Auch andere haben gute Bücher geschrieben, aber nur wir Christen können von der Vergebung reden, weil Gott uns in Christus versöhnt hat." (Predigten zur Christusbotschaft) ; Brücken sollen wir aufbauen statt Gräben oder Mauern. Wir sollen nach unserem Nächsten fragen, anstatt immer nur von uns selber zu erzählen: „Wie geht es Dir? Was brauchst Du?“ Und wir sollen den Mut haben auf unsere christlichen Geschwister zu vertrauen und offen zu fragen: „kannst Du mir zur Seite stehen?“ Wir sind doch nur Menschen und sehen nicht alles immer automatisch. Gerade in diesen Coronazeiten ist das wichtig. Trotz aller notwendigen Distanz, trotz aller Sorgen und kritischer Nachfragen: Wir Kirchengemeinden sind immer noch ein Ort des Miteinanders. Ein Lichtblick in finsteren Zeiten, ein Hoffnungsleuchtturm, wo Orientierung fehlt, Eine Stimme auch wenn wir nicht laut singen dürfen. Vielleicht fühlen wir uns manchmal klein wie ein Spatz in der Hand der großen Kräfte, die uns wieder einmal im Griff zu haben scheinen. Doch da hören wir: Ihr seid kostbarer als viele Sperlinge!

Unser Gottvertrauen wird nicht vergeblich sein. Darauf sollen wir vertrauen und danach handeln! Gott hilft uns. Er gebe uns Klugheit und Ausdauer, Geduld und ganz viel Segen. Amen!

 

 

 

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