Ich sehe was, was du nicht siehst Predigt zu Joh.9,1-7 am 2.8.2020

Die Heilung eines Blinden Johannesevangelium Kapitel 9,1-7

1 Und Jesus ging vorüber und sah einen Menschen, der blind geboren war. 2 Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Rabbi, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist? 3 Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm. 4 Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann. 5 Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt. 6 Als er das gesagt hatte, spuckte er auf die Erde, machte daraus einen Brei und strich den Brei auf die Augen des Blinden 7 und sprach zu ihm: Geh zu dem Teich Siloah – das heißt übersetzt: gesandt – und wasche dich! Da ging er hin und wusch sich und kam sehend wieder. 

8 Die Nachbarn nun und die, die ihn zuvor als Bettler gesehen hatten, sprachen: Ist das nicht der Mann, der dasaß und bettelte? 9 Einige sprachen: Er ist's; andere: Nein, aber er ist ihm ähnlich. Er selbst aber sprach: Ich bin's. 10 Da fragten sie ihn: Wie sind deine Augen aufgetan worden? 11 Er antwortete: Der Mensch, der Jesus heißt, machte einen Brei und strich ihn auf meine Augen und sprach: Geh zum Teich Siloah und wasche dich! Ich ging hin und wusch mich und wurde sehend. 12 Da fragten sie ihn: Wo ist er? Er sprach: Ich weiß es nicht. 13 Da führten sie den, der zuvor blind gewesen war, zu den Pharisäern. 14 Es war aber Sabbat an dem Tag, als Jesus den Brei machte und seine Augen öffnete. 15 Da fragten ihn auch die Pharisäer, wie er sehend geworden wäre. Er aber sprach zu ihnen: Einen Brei legte er mir auf die Augen, und ich wusch mich und bin nun sehend. 16 Da sprachen einige der Pharisäer: Dieser Mensch ist nicht von Gott, weil er den Sabbat nicht hält. Andere aber sprachen: Wie kann ein sündiger Mensch solche Zeichen tun? Und es entstand Zwietracht unter ihnen. 17 Da sprachen sie wieder zu dem Blinden: Was sagst du von ihm, dass er deine Augen aufgetan hat? Er aber sprach: Er ist ein Prophet. 18 Nun glaubten die Juden nicht von ihm, dass er blind gewesen und sehend geworden war, bis sie die Eltern dessen riefen, der sehend geworden war, 19 und sie fragten sie und sprachen: Ist das euer Sohn, von dem ihr sagt, er sei blind geboren? Wieso ist er nun sehend? 20 Da antworteten seine Eltern und sprachen: Wir wissen, dass dieser unser Sohn ist und dass er blind geboren wurde. 21 Aber wieso er nun sehend ist, wissen wir nicht, und wer ihm die Augen aufgetan hat, wissen wir auch nicht. Fragt ihn, er ist alt genug; lasst ihn für sich selbst reden.

Liebe Gemeinde,
Als Kind habe ich gerne „Ich sehe was, was Du nicht siehst!“ gespielt. Verraten wurde nur ein Detail von einem Gegenstand der eigentlich allen sichtbar ist, aber eben doch nicht offensichtlich. Die anderen mussten sich viel Mühe geben, das zu erkennen, worum es eigentlich ging.

„Ich sehe was, was Du nicht siehst und das ist blind!“ So könnte man die Szene beschreiben, die Johannes uns hier erzählt. Jesus geht vorüber und sieht einen Blinden. Eigentlich müssten die Jünger doch antworten: Meinst Du den Blinden Menschen, der da sitzt? Aber sie fragen nicht nach dem Menschen, sie fragen nach der Ursache des Blindseins. Sie fragen in den ihnen bekannten Kategorien: Wer krank oder behindert ist, der ist von Gott gestraft: „Wer hat gesündigt: Dieser oder seine Eltern?“ Sie sehen nicht, worum es eigentlich geht. Vorurteile und Denkkategorien können im Herzen blind machen, auch wenn man mit den Augen sieht.

Ich hätte Jesus wohl geantwortet: „Du meinst diesen Blinden da, nicht wahr? Lass uns kein Spiel machen. Wir fragen ihn, was er braucht!“ Oder ich wäre mit vorbeigezogen, weil: Behinderte soll man nicht extra auf ihre Behinderung ansprechen. Wir wollen doch den Menschen sehen und ihn nicht über irgendeine Einschränkung definieren.

Doch das meint Jesus auch nicht, als er etwas sieht, das blind ist. Jesus löst das Rätsel auf:
„Ich sehe, dass an ihm die Werke Gottes offenbar werden sollen. Wir müssen die Werke Gottes offenbar werden lassen, solange es Tag ist!“

Wir haben nicht ewig Zeit, die Kraft Gottes, die Kraft unseres Glaubens wirken zu lassen. Es gibt ein Zuspät. Ich frage mich: Was hat Jesus vor Augen, was ich nicht sehe? Redet er davon, dass das Kreuz bevorsteht? Redet er von der Zeit, die die Jünger mit ihm gemeinsam haben? Dann wäre die Erzählung nicht für uns geschrieben worden, die wir nie leibhaftig Zeit mit Jesus verbracht haben. Was will Johannes uns eigentlich zeigen? Was sollen wir sehen?

Jesus heilt. Mit Spucke und Erde. Spucke, das galt in der Antike als Augenmedizin. Aber Erde? Es wird immer sonderbarer: Der Blinde bekommt die Augen zugeklebt und wird doch sehend, nachdem er sich im Teich unter dem Tempelbezirk gewaschen hat. Mit dem Verstand, mit unseren Sinnen ist diese Geschichte und ihre Botschaft nicht zu verstehen.

„Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist blind!“ Könnte ich gemeint sein? Ich selber? Ich kann sehen, zwar mit Brille, aber ich meine erkennen zu können, was sich vor meinen Augen abspielt. Ich meine zu spüren, was sich gerade in der Welt abspielt, weil ich Nachrichten lese oder sehe und mir dann aus verschiedenen Informationen ein Bild versuche zu machen. Für mich sind die blind, die eine Notiz aufschnappen, ein Bild – ohne es zu prüfen – und dann damit in der Öffentlichkeit herumposaunen. Für mich sind die blind, die den ganzen Tag auf das Smartphone stieren und nicht sehen, was unmittelbar neben ihnen passiert.

Die anderen sind blind, - ich nicht! oder?

Wir haben nur den Anfang der Geschichte gehört. Im Anschluss geht es um die Nachbarn des Blinden, dann um die Pharisäer, schließlich um die Eltern des Blinden. Zig andere Themen kommen auf den Tisch: Darf Jesus am Sabbat heilen? Ist Jesus ein Sünder? Darf der von Jesus Geheilte einfach so Teil der Glaubensgemeinschaft sein. Keiner von ihnen begreift, um was es wirklich geht.

Es geht stattdessen um die Frage: Glaubst Du daran, dass Jesus Gottes Sohn ist? Glaubst Du daran, dass Gott tatsächlich etwas im Leben bewirken kann und nicht alles Schicksal ist oder von Dir selbst abhängt? Jesus sagt: „Ich bin gekommen, auf dass die da nicht sehen, sehend werden und die da sehen, blind werden!“

„Ich sehe was, was Du nicht siehst, und das ist blind!“ Es geht um mich und es geht um dich. Glauben wir, dass wir in der Welt Sehende sind? Oder bekennen wir, dass wir oft blind sind; nicht begreifen, um was es geht. Halten wir die Rätsel im Leben aus und halten wir darum am Glauben an den lebendi-gen Gott fest? Der Satz: „Ich glaube nur an das, was ich sehe!“ zeugt jedenfalls von einer Blindheit gegenüber den vielen verborgenen Ereignissen im Leben. Glauben heißt Vertrauen. Wenn ich glaube, vertraue ich auf das, was ich nicht sehe oder noch nicht sehe. Ich soll ein Sehender sein, wenn ich blind vertraue. 

Ich spüre eine Sehnsucht, so zuversichtlich glauben zu können. Ich möchte auf das vertrauen, was ich nicht sehe, was mir aber im Glauben verheißen ist. Für Hoffnung und Zuversicht braucht es nicht unbedingt Augen, aber um so mehr Glauben. Heil ist möglich, auch wenn ich viel Unheil sehe. Das Leben ist mehr als die sichtbare Zeit zwischen geboren werden und sterben. Auch wenn ein Mensch im Universum weniger als ein Staubkorn ist, bin ich Gott etwas wert. Nichts ist vergeblich da gewesen.

„Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise, dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin!“ schreibt der Apostel Paulus. 
„Ich sehe was, was Du nicht siehst und das ist von Gott geliebt!“ Amen.

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