Corona? Straft Gott?

Liebe Leserinnen und Leser!

„Gott zieht mit der Corona Krise einen Hebel, weil wir nicht mehr so weitermachen dürfen, wie bisher!“

Diesen Satz höre ich in diesen Tagen immer wieder in Telefonaten. Telefonate, die wichtig sind, weil wir uns ja wegen des Alarmzustandes in Spanien nicht mehr direkt sehen und damit direkt sprechen können. Telefonate, die davon gezeichnet sind, dass jemand überhaupt am anderen Ende „der Strippe“ erreichbar ist. „Wie geht es Euch?“ „Ja mir geht es eigentlich auch gut…“ Mehr gibt es oft nicht zu sagen, weil man ja nichts erlebt in der Zeit dieser Ausgangssperre. Der Covid19 macht einen sprach- und ratlos. Aber irgendeine Erklärung für das Unbegreifliche muss her. Und dann fällt eben dieser Satz:

„Gott zieht mit der Corona Krise einen Hebel, weil wir nicht mehr so weitermachen dürfen, wie bisher!“ oder: "Gott will der Menschheit einen Denkzettel verpassen!"

Ist Gott der Urheber dieser Krise?

Schon immer haben Menschen in der Religion die Lösung für Katastrophen gesucht. Gott straft! hat es geheißen zum Beispiel in der Zeit der Pest. Und weil man sich selber für relativ unschuldig hielt, mussten Sündenböcke herhalten: Juden, Hexen, Ausländer… Sogar das alte Testament erzählt ganz oft von diesem Zusammenhang von Tun und Ergehen: Die Menschen leben zügellos - prompt kommt die Sintflut. Als Kind bin ich auch noch mit dem Satz groß geworden: „Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort!“

Die Pest wurde nicht durch die Hinrichtung von Hexen besiegt und auch nicht von speziellen Gottesdiensten oder dergleichen. Die Pest wurde besiegt, als man feststellte, dass Ratten die Pestflöhe übertrugen. Soviel sachliche Feststellung war manch religiösem Menschen fremd, wenn nicht sogar ein Dorn im Auge. Die Lehre der sachlichen Feststellung war, dass man Hygiene brauchte, damit die Ratten sich nicht unkontrolliert verbreiten konnten. Im Film „der Medicus“ wird das sehr anschaulich dargestellt. 

Nun haben wir wieder eine Krankheitswelle, eine Pandemie: Erkrankungen und Tote weltweit; verbunden mit Ängsten, Sorgen und viel Ratlosigkeit. Die menschlichen religiösen Erklärungen, die es schon in der Antike und im Mittelalter gegeben hat, kommen wieder zum Vorschein:

„Gott zieht mit der Corona Krise einen Hebel, weil wir nicht mehr so weitermachen können, wie bisher!“

Ein Gott, der straft? Ein Gott, der zigtausende sterben lässt, damit wir klug werden? Das ist das Gottesbild des Mittelalters. Es ist nicht meine Vorstellung von Gott!

„Gott zieht mit der Corona Krise keinen Hebel, doch tatsächlich können wir nicht mehr so weitermachen  wie bisher!“ So wäre es vielleicht richtiger gesagt...

Wir stehen in dieser Woche  wieder vor dem Karfreitag, haben das Kreuz Jesu vor Augen. Wir erinnern an den menschgewordenen Gott, der bereit ist, sich für alle Menschen hinzugeben. Ein grausamer Tod, unschuldig erlitten, voller Bitternis und Einsamkeit. Unerträglich und eigentlich auch unverständlich. Die Kreuzestheologie von der Vergebung unserer Sünden durch Jesu Tod ist eine ganz harte Nuss und jede Erklärung hat irgendwo Schwachstellen. Aber eines sprechen wir trotzdem im Glaubensbekenntnis gemeinsam:

Ich glaube an Jesus Christus….gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben… Ich glaube an den Heiligen Geist… Vergebung der Sünden… und das ewige Leben!

Vergebung der Sünden! Der Gedanke, dass Gott straft ist menschlich nachvollziehbar, wenn schlimme Ereignisse unergründlich scheinen; mit der Deutung vom Karfreitag haben sie aber keine Berechtigung mehr. Wer sagt: Gott straft! glaubt doch nicht mehr an Jesus und die Vergebung der Sünden, oder? Gott straft die Menschen nicht mit Katastrophen. Er verpasst auch keinen Denkzettel. Und vor allem: Menschenopfer gehören mit Jesus von Nazareth nicht zum Bestandteil des Christentums. Das sollten sich diejenigen klar machen, die so schnell den strafenden Gott aus der Tasche ziehen: Zigtausende Menschen sterben weltweit, in dem der Virus ihnen die Luft zum Atmen nimmt. Das soll gottgewollt sein, damit wir nachdenken? In den meisten Sprachen der Welt wird Karfreitag der „gute Freitag“ genannt. Gott hat vergeben. Wir sind frei, den Blick zu heben, Auge in Auge, als Brüder oder Schwestern, als Kinder Gottes. Mit dem Blick für die Schwachen und der Weitsicht, vorzusorgen, damit Krisen wie diese bewältigt werden können. Wir brauchen Beatmungsgeräte und Schutzmasken für das medizinische Personal. Wir brauchen Empathie für die Opfer und die Pflegenden und Selbstdisziplin. Wir brauchen wirklich keinen Gott, der von uns zum Sündenbock gemacht wird. Das hat Gott doch schon alles für uns mit Jesus Christus erledigt. 

Die Frage ist, was wir nun mit unserer geistlichen und geistigen Freiheit, mit dem gewonnen aufklärerischem Denken machen.

Die Zeit der Ausgangsbeschränkungen ist lästig und wird von Tag zu Tag lästiger. Das merke ich auch. Auch ich bin gereizter. Mir gehen die auf „whatsapp“ versandten vielen kleinen Videoclips auf die Nerven, die angeblich gute Laune verbreiten sollen. Einige sind gut, aber oft denke ich: Weniger wäre mehr! Ich brauche keine Ablenkung, ich brauche vielmehr geistige Anstrengung und Klarheit, um mich auf das zu besinnen, was ich aus dieser Zeit als Lehre mitnehmen möchte:

1.     Ich möchte sachlicher von Gott reden. Dietrich Bonhoeffer hat das schon inmitten der Katastrophe des 2. Weltkrieges gefordert: unreligiös von Gott reden! Ich brauche nicht die ganzen Aufrufe zum gemeinsamen Gebet, um zu zeigen, wie stark wir Christen doch in einer säkularisierten Gesellschaft sind. Hat Jesus nicht selber gesagt: wenn Du beten möchtest, geh in dein Kämmerlein und sprich das Vater Unser, damit Du nicht wie die Heiden plapperst… Stark sind wir Christen da, wo wir an der Seite der Fragenden und Leidenden stehen, derer, die sich vielleicht auch verrannt haben, aber aus dem Irrweg wieder hinauswollen. So wie Christus zwischen den 2 Männern stand, die mit ihm gekreuzigt wurden. Der eine einsichtig, der andere verbohrt wie vorher auch. (Ich lerne übrigens gerade schmerzhaft, dass es Lebenssituationen gibt, in denen ich nicht helfen kann: Da bleibt jemand auf Teneriffa wider besseren Wissens, ohne Geld und ohne Quartier und macht die deutschen Behörden für sein Schicksal verantwortlich. Nun erhofft er sich wohl Hilfe von der Kirche. Aber er ist doch selbst verantwortlich für sein Leben! Er verrennt sich in eine Notlage und zeigt keinerlei Einsicht. Der Staat ist schuld, oder die Kirche oder eben Gott! Das Muster ist immer das Gleiche und die Nächstenliebe ohne Erkenntnis bleibt ein kaltes Geschäft!)

2.     Unsere Liturgie wird sich wohl verändern. Der Handschlag beim Friedensgruß? Er scheint mir nicht mehr zeitgemäß. Der Handschlag beim Verabschieden an der Kirchentür? Das war mir bisher immer wichtig, weil man da als Pfarrer immer noch einmal eine ganz persönliche Begegnung mit den Gottesdienstteilnehmenden hat. Ich lerne: Vorsicht mit billigen und schnellen Konsequenzen. Wir müssen gemeinsam überlegen, was hilfreich ist und auf was wir vielleicht lieber doch verzichten.

3.     Es gibt derzeit eine Fülle von digitalen Angeboten auch und gerade von den Kirchen. Gottesdienste online überall. Das ist bestimmt eine gute Form. Es ist auch gut, dass sich so viele daran ausprobieren. Und doch stelle ich für mich (!) fest: Ich brauche das Analoge, den Gesang, das gemeinsame Sprechen alter Texte, das Lachen oder die Betroffenheit bei einer Predigt  in der Kirche, die Gesichter. Am Besten mit so vielen Leuten, wie wir das auch in diesem Winter hier auf Teneriffa erleben durften. In Notzeiten soll es das andere Möglichkeiten als Notersatz geben. Aber dann auch professionell vorbereitet. 

4.     Ich merke, dass nicht alles geht und vor allem nicht alles zu haben ist, was ich gerne hätte. Ich habe mich daran gewöhnt, dass alles immer und zu jeder Zeit verfügbar ist. Gemüse und Brot, Fisch und die Backmischung. Strom und Wasser sind doch bitte selbstverständlich. Klar weiß ich, dass das nicht auf Dauer gut sein kann. Ob ich nach dieser Krise auch noch daran denke? Ich bin dabei jetzt ein Portal für den Verkauf von regionalen Produkten aus Teneriffa zu testen: Wein und Honig von Produzenten, die wegen der Ausgangssperre dringend Hilfe brauchen. Ein Projekt der kanarischen Regierung. Es ist etwas teurer, als in den großen Supermärkten, dafür wird es geliefert. Muss es immer billig sein? Für einige, die wenig haben vielleicht schon, aber zählt nur billig? Ich bin gespannt! Und dankbar bin ich geworden, für die, die da immer liefern und verkaufen, die das Piepen des Scanners stundenlang ertragen, die sich um eine funktionierende Versorgung von Wasser und Strom, von Abfallwirtschaft und einem funktionierendem Internet bemühen. Daran denke ich, wenn ich um 19 Uhr mit vielen anderen lautstark vom Balkon klatsche und wir uns zuwinken…Hoffentlich denke ich auch später daran, wenn ich das Gefühl habe, bei einer besonders langsamen Kassiererin gelandet zu sein. Lächeln müsste man lernen und üben wie Ski oder Radfahren oder eine Sprache...

5.     Inmitten der vielen Einschränkungen und sorgenvollen Blicken auf eine ungewisse Zukunft freue ich mich, dass ich lebe und andere mit mir: Gott sei Dank! Ich lese, ich lerne Spanisch, ich versuche neue Kniffs an der Gitarre...Ich erkenne wieder einmal, dass das Leben ein Geschenk ist. Das Leben ist nicht verfügbar, erst recht nicht ewig in unserer Hand. Das Leben ist kostbar: das meine und das der Menschen neben mir. Es ist zerbrechlich. Ohne Einschränkungen gibt es kein gutes Miteinander. Eine theologische Besinnung auf diese Corona Krise kann nicht ohne Ethik gehen. Es wird nicht alles so werden wir vorher. Ostern ist auch nicht die Rückkehr ins alte Leben. Ostern ist ein Lichtblick auf eine Zukunft, die uns noch bevorsteht. Einer ist schon vorgegangen: Jesus Christus. In diesem Licht möchte ich leben und glauben und handeln, auch wenn das Kreuz immer noch dunkel vor uns steht.

Ich habe die Weisheit nicht gefressen. Wir können diskutieren: Über Ursachen und Folgen. Ohne mit dem Zeigefinger auf andere zu weisen. Wir können solidarisch sein in Worten und mit Taten und mit dem stillen Gebet.


Ich wünsche uns allen besinnliche Feiertage und bald ein Osterfest, in dem das Leben wieder fröhlich atmen kann.

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