Erntedank 2019 Jesaja 58,7-12

Ich finde, es gibt vieles für das wir dankbar sein können:
Das, was hier am Altar liegt, ist am Erntedanktag das Naheliegenste: Früchte, Obst und vieles mehr, was uns satt werden lässt. Aber da ist noch mehr: Seit über 74 Jahren dürfen wir im Frieden leben. Wir leben in einem Europa, das sich von vielen Einzelstaaten zu einer Einheit gemausert hat, die zumindest noch Bestand hat. Wir leben in Deutschland und hier auf den Kanaren im Vergleich zu anderen Teilen der Welt ziemlich abgesichert. Wir dürfen unseren Glauben oder Unglauben leben, ohne dafür verfolgt zu werden. Männer und Frauenrechte sind mittlerweile sehr angeglichen. Uns geht es gut! Wir müssen nicht um das täglich Brot betteln.
Es geht heute um mehr als nur um die Erntegaben des Feldes.

Täglich Brot ist, so Martin Luther im kleinen Katechismus – „alles, was not tut für Leib und Leben, wie Essen, Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut, fromme Eheleute, fromme Kinder, (…) gute Regierung, gut Wetter, Friede, Gesundheit, Zucht, Ehre , gute Freunde, getreue Nachbarn und desgleichen!“

Wir ernten also viel mehr, als das, was auf den Feldern oder in den Gärten wächst. Wir ernten, was uns am Leben erhält, mehr noch, was das Leben schön sein lässt. Vieles haben wir uns erarbeitet. Durch Fleiß oder Geschick. Aber mal ganz ehrlich: Das meiste ist ein Geschenk, eine Gabe. Mir wurde z.B. geschenkt, dass ich nicht in irgendeinem Slum auf die Welt gekommen bin und ohne Krieg leben durfte; Meine Schwester und ich hatten das Privileg, als erste unserer Familie überhaupt, Abitur und dann ein Studium machen zu dürfen. Unsere Eltern haben dafür hart gearbeitet. Und dass es hier auf Teneriffa wirklich schön ist, haben wir auch nicht selbst zu verantworten, sondern wir dürfen als Beschenkte daran teilhaben.

Ich finde es absurd, dass inmitten unseres Wohlstandes Menschen lauthals brüllen, wir stünden in einem tiefen Schlamassel und die Verantwortlichen müssten weg. Ich finde es absurd, dass Menschen lieber aus der Gemeinschaft ausscheren wollen, als die Gemeinschaft mit zu gestalten.  Mich befremdet es, dass nach 30 Jahren Mauerfall und einem erstaunlichen Fortschritt in den ostdeutschen Bundesländern sich ausgerechnet dort soviel Klage gegen "das System" sammelt. Ich weiß, es ist längst nicht alles perfekt. Aber: es gibt guten Grund für viele Gaben sehr dankbar zu sein. Es gibt auch noch viel zu verbessern und zu gestalten. Für die Bibel ist die Gabe immer auch eine Aufgabe. Adam und Eva bekommen die Erde als Geschenk, damit sie sie bebauen und bewahren. Unser Astro Alex, der Künzelsauer Astronaut Alexander Gerst hat das bei seiner letzten Reise aus dem All berichtet: er hat den blauen Planeten gesehen: Wunderschön! Und gleichzeitig hat er sich gefragt: wie dumm müssen Menschen sein, diesen Planeten zu gefährden durch Kriege und Ausbeutung, durch Umweltschädigung und gierige Eigeninteressen. Das betrifft nicht nur die Großen aus Wirtschaft und Weltpolitik, das geht jeden Einzelnen etwas an.

Und damit bin ich beim Predigttext für den heutigen Erntedanktag: (Jes.58,7-12)

„Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinen Mitmenschen! Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird hinter dir hergehen. Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich. Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern auf jemanden zeigst und nicht übel redest, sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag. Und der HERR wird dich allezeit führen und dich satt machen in der Dürre und deinen Körper stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, die nie versiegt. Und es soll durch dich wieder aufgebaut werden, was lange zerstört war, und du wirst wieder aufrichten, was längst vergangen war; und du sollst heißen: »Der die Lücken zumauert und Trümmer bewohnbar macht«.

Ein Text, 2500 Jahre alt und doch wie für uns gemacht: Brot teilen kann nur der, der auch Brot hat; jemandem einen Unterschlupf geben, kann nur der, der ein Dach über dem Kopf hat. Und einen nackten Menschen kleiden kann nur der, der mehr als ein Kleidungsstück besitzt. Ich glaube, die meisten von uns haben Brot und Kleidung und irgendwo ein Zuhause.

Allein das ist ein Grund dankbar zu sein. Nun sollen wir das nutzen, um anderen Menschen zu helfen? Alles Teilen? Da muss man erst einmal überlegen. Einmal rief mich ein sonderbarer Musiker an. Er wollte nach El Hierro. Er hatte beim Anflug auf Teneriffa gesehen, dass der Atlantik Schaumkronen hatte. Er könne nicht weiterreisen, sagte er mir. Er wolle die Nacht über bei uns bleiben. Dabei kannten wir ihn gar nicht. Er bekam zu Essen, er hatte ein Bett, aber das Wort Danke kam ihm nicht über die Lippen. Er war auch kein Elender ohne Obdach. Ich glaube, er hätte sich ein Hotel durchaus leisten können. Es gibt eben auch schlechte Erfahrungen mit der Hilfsbereitschaft.
Vielleicht muss deshalb nicht jeder oder jede alles machen, was hier im Bibeltext gefordert wird. Aber einfachste Hilfe zu verweigern ist ein bedenklicher Zug unserer Zeit:
Da verweigert eine Zugbegleiterin einem Blinden die Hilfe beim Einstieg, weil sie meint bei einem Fehler rechtlich belangt zu werden. Sie fürchtet Nachteile, wenn sie hilft und evtl. etwas passiert. Gott will nicht, dass uns Hilfsbereitschaft ein verbittertes Gesicht macht. Die Worte Gottes aus dem Mund von Jesaja zeigen, dass Hilfe für andere auch Freude für einen Selbst, ja dass Hilfsbereitschaft schön und heil macht: „Dann wird Dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, deine Heilung wird schnell voranschreiten, deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen.“  Jesaja spricht keine Einzelperson an, sondern die Gesellschaft. Gott will, dass es uns gut geht. Uns wird es gut gehen, wenn wir bereit sind zu teilen, den anderen mit im Blick haben. Zu unseren Gaben gehören ja auch unsere Talente, unsere Fähigkeiten oder Leidenschaften. Auch dafür können wir danken und sie einsetzen für ein gutes Miteinander.

Auch in unserer Kirchen und Tourismusgemeinde brauchen wir Leute, die bereit sind, den Gottesdienst vor und nachzubereiten, wir brauchen Leute in der Küche für das Kirchencafe und die anderen Veranstaltungen. Wer sagt, ach es gibt ja heute keine Torte, dann gehe ich wieder – ist ein wenig so wie mein Besucher, der alles haben wollte, aber nichts einbrachte, nicht einmal ein Dankeschön.

Es mag ja sein, dass das, was wir einbringen oder ernten können, nicht immer perfekt ist. Nicht alle Äpfel sind gleich schön und nicht alle Kartoffeln wachsen in gleicher Größe. Ich finde, das ist gut! Deshalb sollten wir uns auch hüten, mit dem Finger auf andere zu zeigen oder übel über sie zu reden, wenn etwas nicht ganz nach unseren Vorstellungen läuft. Jesaja sagt:
„Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest, sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt … dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen.“

Gott will uns nichts wegnehmen. Im Gegenteil: Er will uns Ehre geben. Er ermuntert uns mitzubauen, was lange wüst war; wir können Lücken schließen, Risse kitten und Wege so ausbessern, dass Menschen gut und sicher wohnen können. - Wir haben heute eine Menge Dinge auch hier am Altar liegen und schon gelagert im Haus der Begegnung. Nahrungsmittel aber auch anderes. Dinge, die unseren Dank zeigen, dass es uns gut geht. Dinge, die ich morgen zu den Nonnen vom Konvent in Villaflor bringen werde. Sie werden dann an Bedürftige gegeben. Mitten in dieser viel zu trockenen Gegend sind wir wie ein bewässerter Garten. Durch uns soll aufgebaut und aufgerichtet werden. Toll, dass wir das können. Es gibt eben vieles , wofür wir zu Erntedank dankbar sein können. Amen!

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