Wem gehört Jesus? Predigt zu Markus 3,31-35 am 15.9.2019

 Mk. Evangelium, Kap. 3,31-35:
Und es kamen seine Mutter und seine Brüder und standen draußen, schickten zu ihm und ließen ihn rufen. 
32 Und das Volk saß um ihn. Und sie sprachen zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder und deine Schwestern draußen fragen nach dir. 
33 Und er antwortete ihnen und sprach: Wer ist meine Mutter und meine Brüder? 
34 Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder! 
35 Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.

Liebe Gemeinde,
meine Mutter fand diese Bibelstelle entsetzlich: Was erdreistet sich der Sohn, so mit seiner Mutter und seinen Geschwistern umzugehen? Und dieser Sohn ist ja nicht irgendjemand, sondern Jesus von Nazareth! Diese Geschichte steht auch noch in der Bibel. Damit wird doch der Wert der Familie auf den Kopf gestellt! Sogar das Grundgesetz stellt klar, dass die Familie eine besonders schützenswerte Sozialeinheit unserer Gesellschaft ist. Es ist ein Skandal: Jesus tut so, als gehe ihn seine leibliche Familie nichts an.

Unsere Empörung ist berechtigt und sie ist von Jesus auch so gewollt. Die Familienzugehörigkeit ist in anderen Teilen der Welt noch wichtiger als in Westeuropa: Auf dem Balkan, im Nahen Osten usw. Dort reden wir ja oft von großen Sippen oder Clans. Da ist mehr als Vater, Mutter, Kind. Da wohnen mehrere Generationen in einem Verband. Dort gibt es Schutz und Versorgung, weil es sonst kein Sozialsystem gibt. So müssen wir uns das auch zu Jesu Zeiten vorstellen.

Mir fällt auf, dass das Familienoberhaupt, der Mann, der ja die Familie vertritt und alle Entscheidungen für die Familie fällt, gar nicht da ist. Es ist egal, ob Josef sich getrennt hat oder verstorben ist. Es ist Sache des ältesten Sohnes und damit von Jesus, die Familiengeschäfte zu leiten. So ist die Tradition. Und das lehnt er ab! Jesus bricht mit den kulturellen Traditionen, er bricht mit den Regeln des Judentums und er pfeift auch auf unsere westlichen bürgerlichen Familienvorstellungen.

Warum macht Jesus das? Und warum erzählt diese Begebenheit nicht nur der Evangelist Markus, sondern auch Matthäus und Lukas? Damit ist die Frage nach dem „warum?“ nicht nur eine an die Person Jesu, sondern auch an die Theologie: warum steht diese Geschichte in der Bibel?

Wenn es um die Theologie der Bibel geht, lohnt sich immer ein Blick auf die Bibelstellen davor und danach. Markus erzählt zuvor, wie Jesus einen Mann mit einer verdorrten Hand heilt. Aber darf man das am Sabbat, fragen die Pharisäer? Muss sich nicht jeder an das Gesetz halten, also auch ein Jesus von Nazareth? Die Heilung spricht sich herum und die Leute kommen nun in Massen zu Jesus. Er will sich entziehen, doch die Leute laufen ihm einfach nach: Es heißt: „Er heilte viele, sodass sie über ihn herfielen, damit ihn anrührten alle, die geplagt waren.“

Jesus hat genug. Er sammelt eine von ihm bestimmte Schar von 12 Männern, die er Apostel nennt. Diese sollen ihn nun unterstützen mit der Predigt und der Kraft, böse Geister auszutreiben. Der Zustrom an Hilfesuchenden und Wundergläubigen hört nicht auf.

Was für ein Wahnsinn! Das sagen jedenfalls seine Verwandten. Sie kommen vor ein Haus und wollen ihren Jesus da herausholen. Auch die Schriftgelehrten kommen und sagen: Jesus hat sie nicht mehr alle! Der wird vom obersten der bösen Geister, von Beelzebub, bestimmt.

Soweit die Vorgeschichte. Immer geht es darum, wem Jesus eigentlich gehört: Die Kranken sagen: er ist unser Heiler und darum haben wir ein Recht über ihn herzufallen.
Die Pharisäer und Schriftgelehrten sagen: er ist ein Jude, also soll er sich auch an die jüdischen Gesetze halten.
Die Familie sagt: Er ist Teil unserer Familie; deshalb soll er sich gefälligst auch so verhalten und Verantwortung übernehmen.

Sie ahnen, worauf die theologische Antwort hinausläuft: Jesus entzieht sich den Heilsuchenden, weil er nicht allein der Hei-ler ist. Er setzt sich über die Traditionen hinweg, weil ihm der Mensch wichtiger ist als jede Tradition, vor allem, wenn Tradi-tion sich als unmenschlich erweist. Und er weist die Familie von sich, weil er nicht nur ein Menschensohn ist, sondern eben auch Gottes Sohn. Keiner wird Jesus gerecht, wenn wir man versucht ihn zu vereinnahmen: für unsere Traditionen, Regeln oder Wertmaßstäbe. Die nachfolgenden Geschichten sind übrigens Gleichnisse vom Reich Gottes. Und dort spielen die ganzen Traditionen, Regeln und Wertmaßstäbe, die wir Menschen in unserer Welt brauchen, um einigermaßen miteinander klar zu kommen, keine Rolle mehr. Denn da regiert Gott selber!

Habe ich damit theologisch den Skandal wegerklärt? Hoffentlich nicht! 

Denn wie oft wird Jesus beansprucht, als ob er unser Eigen-tum wäre? Den Juden ist er ein Rabbi, den Muslimen ist er ein Prophet und wir sagen er ist Gottes Sohn. Die Katholiken sagen, weil Jesus ehelos war, muss es den Zölibat geben. Wir Evangelischen sagen: Es kommt auf sein Wort an und übersehen dabei, dass die Evangelisten manche Worte Jesu sehr unterschiedlich auslegen. Nein das Reich Gottes kann nicht kommen, wenn wir uns den lieben Gott so zurecht legen, wie wir gerne hätten oder ihn gerade brauchen. Das gleiche gilt auch für Jesus.

Ich kann mir gut vorstellen, dass es zur Zeit von Markus (70 n. Chr.?) oft einen Riss in den Familien gegeben hat, wenn jemand die christliche Lehre befürwortete und andere sich dem nicht anschließen möchten. Wenn das Sabbatgebot aufgeweicht wird, steht dann nicht die ganze jüdische Tradition auf dem Spiel? In meiner letzten Gemeinde in Deutschland hatten wir junge iranische Männer, die auf welchem Weg auch immer zum Christentum konvertiert waren. Einer zeigte mir die Narben, die ihm seine muslimische Mutter zur Strafe verabreicht hatte, weil der Sohn mit seinem christlichen Glauben die ganze Familie in Verruf gebracht hatte. Ich erinnere mich, wie gemischtkonfessionelle Ehepaare Streit mit ihren jeweils konfessionell geprägten Eltern hatten, wenn die Kinder nicht evangelisch oder umgekehrt nicht katholisch getauft wurden. Und wie viele Kirchen verbieten es immer noch, Frauen auf die Kanzel zu lassem, weil Jesus schließlich ein Mann gewesen sei. Überall Vereinnahmung! Und wer immer noch meint, dass sei heute anders und nur ein paar spinnerte Randgruppen würden so auf eigenem Recht beharren sei gesagt:

Papst Franziskus will in diesem Jahr auf der sogenannten Amazonaskonferenz über eine mögliche Lockerung des Zölibats diskutieren lassen. Schon gibt es erheblichen Widerstand: Die katholische Lehre steht doch über allem!

Nein, sagt der Evangelist Markus. Wir erzählen doch gerade von Jesus, weil er Gottes Sohn ist und damit Gott gleich. Oberhalb von Jesus steht nichts: Keine Religionsregel, keine menschliche Sehnsucht und auch nicht familiäre Bande.

Man muss Gott mehr gehorchen als dem Menschen, sagt die Bibel an anderer Stelle. Und immer wieder betont sie, dass wir uns bitte kein Bild von Gott machen sollen. Es würde nie stimmen und jede Lehre von einem Bild ist wörtlich übersetzt eine Ideologie! Vor ideologischem Denken sollen wir uns religiös oder politisch immer hüten!

Ich versuche mir nun vorzustellen, wie Maria, Jesu Mutter darauf reagiert hat. Markus erzählt leider nichts mehr von der Mutter Jesu. 

Ich glaube, Maria war entsetzt, wie meine Mutter es auch war. Ich glaube, sie wird auch fragen: Junge, was haben wir denn falsch gemacht, dass du so gar nichts mehr mit uns zu tun haben willst. Ich glaube eine gute Mutter oder ein guter Vater würden den Kontakt zu ihrem Kind nie abbrechen lassen, auch wenn das Kind von sich aus keinen Kontakt mehr will. Und das ist in der Wirklichkeit viel leichter gesagt als getan! Viele Scheidungseltern und Eltern von radikalisierten Jugendlichen wissen mehrere Lieder davon zu singen.

Die anderen Evangelien, vor allem das Johannesevangelium, erwähnen bei der Jesu Kreuzigung und auch bei der Auferstehung, dass Maria und andere Verwandte, ihren Sohn und Bruder nicht alleine gelassen haben. Was sind das dann für großartige Verwandte, die nicht von ihrem Kind lassen wollen? Vielleicht haben sie trotzdem gesagt: „Wir haben das Ende ja kommen sehen; hättest Du bloß auf uns gehört.“ So eine Reaktion wäre menschlich voll verständlich!

Vielleicht haben sie aber auch gesagt: „Jetzt erst begreifen wir was wir für einen tollen Sohn hatten. Seine Berufung war nicht unsere Familie, unser begrenzter Kreis. Seine Berufung war, Menschen über alle Grenzen hinweg mit Gottes Liebe in Berührung zu bringen.“ Eine Liebe, die größer ist als jedes Familienglück und jede Familientragödie. Eine Liebe, die so kraftvoll ist, dass Strafe nicht mehr sein muss; eine Liebe die mächtiger ist als der Tod; eine Liebe, die irgendwann auch die Grenzen von Religionen und Konfessionen und auch den Trotz der Atheisten sowie die Vernunft der Rationalisten einfach überschreiten wird.

Das Ende der Grenzüberschreitungen ist nicht Chaos, sondern das Reich Gottes. Davor müssen sich nur die fürchten, die an der Macht kleben. Alle anderen dürfen sich freuen!
Amen!

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