Es gibt Geschichten, die dürften nicht passieren / Predigt zu Hiob 23

Hiobs dritte Antwort an Elifas

1 Hiob antwortete und sprach: 
2 Auch heute lehnt sich meine Klage auf; seine Hand drückt schwer, dass ich seufzen muss. 
3 Ach dass ich wüsste, wie ich ihn finden und zu seiner Stätte kommen könnte! 
4 So würde ich ihm das Recht darlegen und meinen Mund mit Beweisen füllen 
5 und erfahren die Reden, die er mir antworten, und vernehmen, was er mir sagen würde. 
6 Würde er mit großer Macht mit mir rechten? Nein, er selbst würde achthaben auf mich. 
7 Dort würde ein Redlicher mit ihm rechten, und für immer würde ich entrinnen meinem Richter! 
8 Aber gehe ich nach Osten, so ist er nicht da; gehe ich nach Westen, so spüre ich ihn nicht. 
9 Wirkt er im Norden, so schaue ich ihn nicht; verbirgt er sich im Süden, so sehe ich ihn nicht. 
10 Er aber kennt meinen Weg gut. Er prüfe mich, so will ich befunden werden wie das Gold. 
11 Denn ich hielt meinen Fuß auf seiner Bahn und bewahrte seinen Weg und wich nicht ab 
12 und übertrat nicht das Gebot seiner Lippen und bewahrte die Reden seines Mundes bei mir. 
13 Doch er hat's beschlossen, wer will ihm wehren? Und er macht's, wie er will. 
14 Ja, er wird vollenden, was mir bestimmt ist, und hat noch mehr derart im Sinn. 
15 Darum erschrecke ich vor seinem Angesicht, und wenn ich darüber nachdenke, so fürchte ich mich vor ihm. 
16 Gott ist's, der mein Herz mutlos gemacht, und der Allmächtige, der mich erschreckt hat; 
17 denn nicht der Finsternis wegen muss ich schweigen, und nicht, weil Dunkel mein Angesicht deckt.


Liebe Gemeinde,
es gibt Geschichten, die dürfen nicht geschehen und sie geschehen doch. Da ist ein Mann, reich und wohlhabend. Er hat eine Frau und er hat Kinder. Er hat alles, was man braucht und eigentlich noch viel mehr. Gleichzeitig ist er sehr sozial eingestellt. Das hat seinen Grund, denn er glaubt an Gott. Das lehrt ihn auch, für andere Verantwortung zu übernehmen und nicht überheblich zu sein.
Doch dann sterben seine Kinder, sein Wohlstand geht durch etliche Katastrophen zugrunde, seine Frau trennt sich von ihm und er selbst wird krank. Das einzige was ihm bleibt ist die Frage „warum?“ Warum ich? Wo bist Du Gott?
Sie wissen natürlich um wen es geht: Hiob!

Und weil es Hiobsgeschichten nicht nur in der Bibel gibt, ist Hiob ein Gleichnis geworden für die Geschichten, die eigentlich nicht geschehen dürften und doch passieren.

Die Bibel bindet Hiobs Geschichte in andere Erzählungen ein: Die eine ist diese: Ganz am Anfang, so heißt es im Buch Hiob, beschließen Gott und Satan eine Wette. Der Satan sagt: Hiob wird vom Glauben abfallen, wenn er all das nicht mehr hat, was ihm das Leben lebenswert macht. Und Gott hält dagegen. Er stimmt also der Wette zu!

Hiob wird zum Spielball zwischen Gott und Satan. Die Rolle vom Satan kann man sich ja vorstellen, aber die Rolle von Gott passt absolut nicht in den Glauben von Hiob und auch nicht in meinen Glauben. Warum lässt Gott das zu, dass Menschen so zum Spielball ungerechter Machenschaften werden? Warum greift er nicht ein, wenn die Grundlage zum Leben zerstört wird?

Später berichtet das Buch Hiob von drei Freunden, die im Gegensatz zu vielen anderen, Hiob immer noch begleiten. Sie suchen nach irgendeinem Strohhalm, um das Leid von Hiob zu erklären. Es ist ja so: Wenn wir einen Grund finden für die Geschichten, die nicht passieren dürften und doch passieren, dann werden die unheilvollen Geschichten etwas transparenter und vielleicht gelingt es, sie ein wenig in den Griff zu bekommen. Hiob: denk nach! Jeder ist seines Glückes Schmied. Im Umkehrschluss: wenn es Dir schlecht geht, dann wirst Du auch daran eine Mitschuld haben.

Aber alle Erklärungsversuche scheitern. Viele moderne Menschen würden sich spätestens jetzt vom Glauben an den Gott der Bibel verabschieden: Wenn Gott so ist, dann will ich damit nichts zu tun haben! Hiob reagiert aber anders. Und damit wird Hiob für mich erst interessant:

Hiob bewegt sich zwischen Verzweiflung und Selbstaufgabe einerseits und andererseits einem Aufbegehren gegenüber Gott. Ein Aufbegehren in Wut und Klage. Er fordert von Gott, eine Erklärung für das Unrecht zu bekommen.

Hiob klagt gegen Gott, er will ihn suchen, um mit ihm in einen klärenden Streit zu treten. Aber er findet ihn nicht. Wohin er auch geht, wohin er auch schaut: Gott ist nirgendwo erkennbar! Hiob schreibt: "Darum erschrecke ich vor seinem Angesicht und wenn ich darüber nachdenke, fürchte ich mich vor ihm!" Gott ist unheimlich? Angst vor Gott?

Wie gesagt: Hiobsgeschichten gibt es viele. Immer wieder haben Menschen in Hiobs Geschichte die eigene Lebensbiografie wiederentdeckt.

Auch die Schriftstellerin Mascha Kaleko hat sich in Hiob wiederentdeckt. Unter dem Titel „Enkel Hiobs“ schreibt sie 1940: „Wie tief entbrannte über uns Dein Zorn!“…“Wo bleibt die Stimme, da der Dornbusch flammt?“ Man ahnt, dass Mascha Kolek polnische Jüdin ist und den Krieg und den Holocaust vor Augen hat. Sie fragt im Sinne Hiobs: „Ist keine Liebe mehr auf dieser Welt?“

Von den vielen möglichen Hiobsgeschichten habe ich heute diese von Mascha Kaleko ausgewählt. Heute, am 1.September ist es genau 80 Jahre her, dass der zweite Weltkrieg ausbrach. Nein, das stimmt nicht. Der 2.Weltkrieg brach nicht unvorhergesehen aus wie ein Vulkan. Am 1. September 1939 überfiel Deutschland Polen und damit begann unsägliches Leid. Weltweit. Eine Geschichte, die nicht hätte passieren dürfen und doch passiert ist. 

Wir Kinder der Kriegsgeneration haben unsere Eltern nach dem „Warum?“Gefragt. Zumindest ich habe keine Antworten bekommen, die mir gereicht hätten. Und wer sich ernsthaft mit Theologie beschäftigt, musste zu der Erkenntnis kommen, dass man nicht einfach weiter so von Gott und seiner Liebe zu allen Menschen reden konnte. Wo war Gott? Wo seine Allmacht? Konnte er dem Wahnsinn und den Wahnsinnigen nicht Einhalt gebieten?

Vielmehr muss man Hiob zustimmen: Ich suche Dich im Norden und Süden, im Westen und Osten und ich finde Dich nicht. Und wenn ich darüber nachdenke, dann fürchte ich mich!

Es dauert lange, bis sich im Hiobbuch so etwas wie ein happy end einstellt und Gott Erbarmen zeigt. So richtig zufrieden stellen tut einen das dann aber nicht. Zu sehr bleiben die Geschichten von Ungerechtigkeit und unschuldigem Leid haften. Millionen von toten Soldaten auf allen Seiten, von zivilen Opfern, von Ermordeten und Geflüchteten haben kein happy end erleben dürfen.

Es wäre leichtgläubig immer darauf zu hoffen, dass alles einen Sinn hat und Gott die Dinge schon regeln wird. Hitlers Überfall auf Polen fing mit einer glatten Lüge an: Es wurde nicht zurückgeschossen, sondern gezielt angegriffen. Wenn heute mit Lügen Politik gemacht wird, dann heißt es wachsam sein. Bewusste Lügen sind nie harmlos!
Und wenn heute Menschen den Holocaust leugnen, wenn anscheinend immer mehr Menschen die Erinnerung an den Schrecken der Weltkriege vergessen, wenn Demokratie einem Absolutismus weicht, dann kann das kein Happy end haben. Heute sind Wahlen in Deutschland. Es gilt als sicher, dass die Zuwächse haben werden, die wie damals vor 80 Jahren mit Lügen und Demokratiefeindlichkeit Hiobsbotschaften verursachen werden.

Es gibt Geschichten, die passieren offenbar, obwohl sie nicht mehr passieren dürften. 

Was bleibt?

Es bleibt die Suche Hiobs nach Gott. Es bleibt sein Widerstand, nicht alles ergeben hinzunehmen. Es bleibt die Kraft Hiobs, Unrecht und Leiden wenden zu wollen. Es bleibt ein Kreuz. Für die einen ist es das Ende. Für uns ist es das Zeichen für Hoffnung und Glaube und Liebe.

Es darf nicht geschehen, dass sich die Frage von Mascha Kaleko wiederholt: Ist denn keine Liebe mehr in der Welt ?
Vielmehr soll es Geschichten geben, in denen Menschen nach Norden schauen und sagen: Hier ist Frieden. Und im Süden: Hier ist Gerechtigkeit. Und im Osten: hier ist Liebe. Und im Westen: Hier ist Versöhnung. Wohin man auch schaut: Gott ist gegenwärtig und unser Glaube trägt gute Früchte. 
Streit ist lösbar und wer sich über andere erhebt wird erfolgreich zurecht gewiesen. Nicht immer neue Hiobsbotschaften erfüllen die Welt. Daran möchte ich glauben, trotz aller Fragen und Zweifel. Trotzig, wie Hiob! Amen!

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