Predigt zu Jeremia 20,7-14

Jeremia 20, 7-14             Die Last des Prophetenamts 
HERR, du hast mich überredet und ich habe mich überreden lassen. Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen; aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich, und jedermann verlacht mich. 
Denn sooft ich rede, muss ich schreien; »Frevel und Gewalt!« muss ich rufen. Denn des HERRN Wort ist mir zu Hohn und Spott geworden täglich. Da dachte ich: Ich will seiner nicht mehr gedenken und nicht mehr in seinem Namen predigen. Aber es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, verschlossen in meinen Gebeinen. Ich mühte mich, es zu ertragen, aber konnte es nicht. Denn ich höre, wie viele heimlich reden: »Schrecken ist um und um!« »Verklagt ihn!« »Wir wollen ihn verklagen!« Alle meine Freunde und Gesellen lauern, ob ich nicht falle: »Vielleicht lässt er sich überlisten, dass wir ihm beikommen können und uns an ihm rächen.« Aber der HERR ist bei mir wie ein starker Held, darum werden meine Verfolger fallen und nicht gewinnen. Sie müssen ganz zuschanden werden, weil es ihnen nicht gelingt. Ewig wird ihre Schande sein und nie vergessen werden. Und nun, HERR Zebaoth, der du die Gerechten prüfst, Nieren und Herz durchschaust: Lass mich deine Rache an ihnen sehen; denn dir habe ich meine Sache befohlen. Singet dem HERRN, rühmet den HERRN, der des Armen Leben aus den Händen der Boshaften errettet! Verflucht sei der Tag, an dem ich geboren bin; der Tag soll ungesegnet sein, an dem mich meine Mutter geboren hat! 


Liebe Gemeinde,

Was macht eine gute Predigt aus?
- Sie soll modern und aktuell sein.
- Sie soll trösten und aufbauend für die Seele sein.
- Sie soll einem gut tun.
Und…
… natürlich biblisch orientiert sein.

Und da liegt der Hase im Pfeffer!
Denn die Bibel ist sehr oft alles andere als tröstend und aufbauend und die Bibel tut auch nicht immer gut. Im Gegenteil, an vielen Stellen ist sie gerade zu verstörend. Das fängt mit dem Scheitern des Menschen im Paradies an, dicht gefolgt vom ersten Mord und dem generellen Versagen der Menschheit, die daraufhin die Sintflut erleidet. Wir hören vom skandalösen Murren des Volkes Israels in der Wüste, wir erfahren, dass der angeblich große König David ein skrupelloser Frauenheld war, wir bekommen die Ängstlichkeit der Jünger mit und in diesen Tagen des Kirchenjahres werden wir an die Kälte menschlicher Herzen erinnert, die den Tod Jesu nicht verhindert, sondern ihn sogar bejubelt oder ihn zumindest gleichgültig in Kauf genommen haben. Es gibt noch viele biblische Beispiele, die deutlich machen: Die Geschichte der Menschheit ist auch eine Geschichte von Versagen und Egoismus! Gott ist es offenbar nicht egal, wie seine Menschen miteinander leben. Hier tröstet die Bibel nicht. Hier wird sie zur Anklage!

In meiner Studienzeit veröffentlichte einer meiner Professoren (Manfred Josuttis) das Buch: Der Pfarrer ist anders. Ein Kapitel in diesem Buch hieß: Gepfiffen wird immer. Josuttis beschreibt darin die Erwartung der Gemeinde, dass der Pfarrer trösten, bestätigen und aufbauen soll, während der Pfarrer eher an Veränderungen der Gemeindemitglieder interessiert ist. Konflikte sind da vorprogrammiert.

Diesen Konflikt erlebt auch schon der Jeremia. Er hatte sich nicht danach gedrängt zum Sprachrohr Gottes zu werden. Er fühlte sich zu jung, meinte nicht gut reden zu können. Doch Gott ließ nicht locker. Jeremia wurde zu einem der großen Propheten der Bibel. Doch während die Leute getröstet, aufgebaut und bestätigt werden wollten, klagte Jeremia an: Missstände, Ungerechtigkeit, Lug und Betrug. Wenn das so weiter geht, sagte Jeremia, dann endet das ganze Volk in einer riesigen Katastrophe.
Doch wie so oft, wenn einer etwas aufdeckt, sind nicht diejenigen Schuld, die Fehler begangen haben, sondern derjenige wird angeklagt, der die Fehler zur Sprache bringt. Jeremia erzählt uns:
„Ich bin darüber zum Spott geworden täglich! Jedermann verlacht mich.“Jeremia spürt, wie die Leute hinter seinem Rücken über ihn reden. Jeremia schreibt: „Alle meine Freunde und Gesellen lauern, ob ich nicht falle!“ Damals gab es das Wort Mobbing noch nicht, doch genau das passiert. Mobbing macht die Seele einsam. Mobbing zermürbt das Herz. Mobbing kann Menschen sogar in den Selbstmord treiben. Jeremia schreibt: „Verflucht sei der Tag, an dem ich geboren bin.“Jeremia will auch seinen Glauben aufgeben: „Ich will seiner nicht mehr gedenken und nicht mehr in seinem Namen predigen!“ 

Jeremia verzweifelt an der Sturheit seiner Mitmenschen und genauso an dem so ganz undiplomatischen Festhalten Gottes an sozialer Gerechtigkeit und fairem Umgang miteinander. Gottes Wille und menschliches Verhalten: Das scheint sehr oft nicht zusammen zu passen. Die Menschen wollen von Gottes Willen nichts wissen und laufen stattdessen lieber ins eigene Verderben. 
Jeremia muss erleben, wie sein Volk die Souveränität verliert und erst von Ägypten, dann von Babylon überrollt wird. Geschichte wiederholt sich nicht. Trotzdem denke ich an die Mahner - auch aus der Kirche, die vor der nazionalsozialistischen Katastrophe gewarnt hatten. Dietrich Bonhoeffer klagte an: „Man darf nicht gregorianisch singen, wenn man nicht auch für die Juden schreit!“ Es gab aber auch andere: General von Hammerstein warnte schon 1938 vor dem militärischen Untergang Deutschlands in einem bevorstehenden Krieg.
Und wenn das auch widerum etwas ganz anderes ist, denke ich an die Schüler und Schülerinnen, die jeden Freitag weltweit vor dem dramatischern Klimawandel warnen wollen. Ich denke an die, die sagen: „Passt auf, das Rechte und Populisten nicht die Stabilität in Europa und sonst in der Welt gefährden, denn es sind zuviele Despoten an die Macht gekommen.“
Die Erfahrung, dass unsere Welt sich ganz deutlich von der Realität von Gottes Reich unterscheidet bricht sich immer wieder Bahn.
Man mag schlechte Nachrichten oft gar nicht mehr hören. Man drückt auf den Fernsehknopf und sagt: "Das reicht für heute."
Jeremia scheint es ähnlich zu gehen. Und doch spürt er, wie Gott ihn einfach nicht in Frieden lässt: „In meinem Herzen ist ein brennendes Feuer!“
Oder: „Der Herr ist bei mir wie ein starker Held!“
Jeremia kann nicht einfach auf den Aus-Knopf drücken und sagen: „Das geht mich nichts an!“ 
Gott tut das auch nicht. Er hat ein Interesse daran, dass Menschen zur Vernunft kommen und Frevel und Gewalt endlich beenden. Das ist vielleicht sogar ein Ausdruck von Liebe. 
Jeremia wünscht sich mit Gottes Hilfe Rache an den Dummköpfen und Gierigen dieser Welt. „Ewig soll ihre Schande sein und nie vergessen werden. Lass mich Deine Rache an ihnen sehen!“ sagt er.
Menschlich sind solche Gedanken und gleichzeitig unmenschlich. Verständlich und gleichzeitig wenig hilfreich. Jedenfalls aus christlicher Sicht. Wir sind in der Passionszeit. Wir denken an Jesu Leiden. Sein Kreuz fordert keine Rache an den Schreihälsen, die „Kreuziget ihn!“ rufen und auch nicht an denen, die skrupellos einen unschuldigen Menschen umgebracht haben. Das sollte uns eine Lehre sein, auch für die aktuellen Erfahrungen von Gewalt.
Mich hat die Bürgermeisterin von Christchurch beeindruckt. Nach dem Attentat auf zwei Moscheen dort hat sie nicht Rache gefordert, sondern eine Gesellschaft, die sich die Werte Liebe, Freundlichkeit und Einfühlsamkeit auch bei Gewalt nicht nehmen lässt. So eine Gesellschaft gibt es nicht zum Nulltarif, sondern fordert den aktiven Einsatz aller Menschen. Genausowenig gibt es den Glauben an den Gott der Bibel als billige Gedankenträumerei. Wie Jeremia ist keiner und keine zu jung oder zu wenig sprachbegabt. Mit Worten und mit Taten kann jeder und jede den Weg zum Reich Gottes ein wenig bahnen, nicht erst morgen, sondern heute schon. 
Wenn wir das nicht vergessen, dann war Jeremias Predigt gut, auch wenn sie unbequem war und bleibt. Amen!

Und der Friede Gottes, der höher ist all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen!

Kommentare

  1. Sie soll modern und aktuell sein.
    - Sie soll trösten und aufbauend für die Seele sein.
    - Sie soll einem gut tun.

    genau getroffen, so ist das leben...

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