nehmt einander an wie Christus Euch auch angenommen hat. Rö.15,1-13

 Predigttext Rö.15,1-3 zum 3.Advent

Wir aber, die wir stark sind, sollen die Schwächen derer tragen, die nicht stark sind, und nicht Gefallen an uns selber haben.
2 Ein jeder von uns lebe so, dass er seinem Nächsten gefalle zum Guten und zur Erbauung. 
3 Denn auch Christus hatte nicht an sich selbst Gefallen, sondern wie geschrieben steht (Psalm 69,10): »Die Schmähungen derer, die dich schmähen, sind auf mich gefallen.« 
4 Denn was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben. 
5 Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, wie es Christus Jesus entspricht, 
6 damit ihr einmütig mit einem Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus. 
7 Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Ehre. 
8 Denn ich sage: Christus ist ein Diener der Beschneidung geworden um der Wahrhaftigkeit Gottes willen, um die Verheißungen zu bestätigen, die den Vätern gegeben sind; 
9 die Heiden aber sollen Gott die Ehre geben um der Barmherzigkeit willen, wie geschrieben steht (Psalm 18,50): »Darum will ich dich loben unter den Heiden und deinem Namen singen.« 
10 Und wiederum heißt es (5. Mose 32,43): »Freut euch, ihr Heiden, mit seinem Volk!« 
11 Und wiederum (Psalm 117,1): »Lobet den Herrn, alle Heiden, und preisen sollen ihn alle Völker!« 
12 Und wiederum spricht Jesaja (Jesaja 11,10): »Es wird kommen der Spross aus der Wurzel Isais, und der wird aufstehen, zu herrschen über die Völker; auf den werden die Völker hoffen.« 
13 Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes.
(Lutherbibel 2017)

Liebe Gemeinde,
Ihnen ist bestimmt schon einmal dieser Mann aufgefallen: Jeden Morgen kommt er in der Badeshorts in das Restaurant des Hotels zum Frühstück. Am Buffet türmt er seinen Teller voll, kleckert etliches daneben, lässt es liegen. Dann geht er an einen Tisch, fläzt sich über den Teller und schließlich lässt er den Teller mit der Hälfte seines Frühstücks zurück. Der Anblick ist schwer erträglich.
„Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Ehre!“ So ein Satz aus der Bibel kann eine Herausforderung sein!

Aber gerade zu Weihnachten, dem Fest der Liebe, sollte man sich doch trotz vieler Unterschiede annehmen, oder? 

Allerdings kommt zum Fest der Liebe und der Familie auch Tanta Frieda. Tanta Frieda ist nicht nur dick, - wo sie auftaucht, macht sie sich auch breit. Sie hat sich selbst gleich bis zum 6. Januar eingeladen. Ein Gespräch ist nicht möglich, weil nur Frieda spricht und das auch noch sehr laut. Sie weiß alles und das auch noch besser, als jeder aus der Familie. Sie sagt ständig: früher war alles besser. Auch wenn sie Gast ist, meckert sie über das Essen und die Weihnachtsdekoration. Mutter bricht allein bei dem Gedanken an den Besuch von Frieda der Schweiß aus. Aber ausladen? Frieda hat ja sonst keinen. Und zumindest Weihnachten soll doch das Fest der Liebe sein.
„Nehmt einander an, wie Christus Euch angenommen hat zu Gottes Ehre.“ Mutter und Vater seufzen: Weihnachten wird wieder anstrengend. Sie freuen sich schon auf die Zeit im Januar, wenn Frieda wieder fort ist.

Weihnachten ist das Fest der Nächstenliebe, aber diese Nächstenliebe wird manchmal (und eben nicht nur zur Weihnachtszeit) hart auf die Probe gestellt. Gibt es nicht auch eine Grenze des Erträglichen? Muss man alles annehmen? Ist es nicht sogar naiv zu glauben, wir könnten und müssten jeden und alles annehmen, ohne Bedingungen und Möglichkeiten zur Kritik? Müssten wir gar den Attentäter von Straßburg, der mindestens vier Menschen das Leben genommen hat auch annehmen? Das fällt mir sehr schwer! Nehmt einander an, wie Christus Euch angenommen hat, kann zur moralischen Forderung verhärten, kann zum Gesetz werden, wo doch eigentlich befreiendes Evangelium gelebt und verkündet werden soll. 

Paulus hat diesen Satz ursprünglich in anderem Zusammen-hang geschrieben: Juden und Christen sollen sich nicht gegenseitig ausschließen, weil doch beide Gruppierungen letztlich in ihrer je eigenen Art und Weise Gott versuchen, die Ehre zu geben. 
Aber wenn es eine Grenze des Nichterträglichen gibt, wo liegt die dann und wer hat das recht, diese Grenze zu bestimmen?

Mir wird klar, was für eine Liebe Gott in sich tragen muss, dass er Mensch geworden ist, für alle Menschen: Den Sympathischen und den sehr viel weniger Sympathischen. Gottes Liebe scheint grenzenlos zu sein. Diese Liebe wurde allerdings immer wieder ausgenutzt und ans Kreuz genagelt.

Wenn wir also einander annehmen, wie Christus uns angenommen hat, wenn wir uns zurücknehmen, soweit wir es können:  Dann erfüllen wir ein moralisches Gebot und stehen am Ende vielleicht doch vor einem chaotischen Trümmerhaufen?
Andererseits: wenn wir einander nicht annehmen, wenn wir einander ausschließen, Grenzen ziehen, Mauern errichten – zwischen Hautfarben und Nationen, zwischen Kulturen und Religionen, zwischen dem, was immer schon war und dem was an Neuem bitte nicht kommen möge, wenn wir uns nur mit denen zusammensetzen, die wir sowieso schon kennen, folgen wir dann noch Christi Liebe nach? Die Nachrichten des  zu Ende gehenden Jahres kommen mir vor, wie ein Trend zum Aufrichten von Grenzen und Trennlinien, zum Austreten aus dem Gemeinschaftlichen, zum Ausschließen der anderen.

Der Apostel Paulus bittet die Christen in Rom sehr eindringlich zur Einheit, zur Einheit in der Verschiedenheit. Diese Einheit hat einen gemeinsamen Nenner, nämlich Gott die Ehre zu geben. Das einander-annehmen ist also kein allgemeiner Aufruf jeden und alles kritiklos anzunehmen. Das wäre naiv und vielleicht sogar verantwortungslos. Paulus wendet sich an die Christenheit. Die bunte Wiese der Glaubensformen sollte miteinander blühen, anstatt sich in Rechthaberei gegenseitig auszugrenzen. Sie soll einladend sein, damit auch Menschen, die bisher keinen Zugang zur Kirche hatten. In der Kirche soll ein Wind der Freiheit zu spüren sein, des Respekts, der gegenseitigen Wahrnehmung. Offenbar hielt Paulus es damals schon für nötig, in der frühen Christenheit Missständen entgegen zu wirken. 
Zur Einheit der Christen ist es freilich nie gekommen. Um so wichtiger ist es deshalb heute, das Miteinander der Glaubensformen zu suchen und mutig dort einzustehen, wo das Miteinander gefährdet wird. Paulus kannte damals nur die jüdische Kultur und das beginnende Christentum. Beide verkünden Gott, nur in unterschiedlicher Weise. Und beide stellen sich unter Gottes Segen und versuchen nach seinen Geboten zu leben.  
Wir haben heute ungleich vielfältigere Herausforderungen im Miteinander. Wir leben mit Christen und Juden, mit Muslimen, anderen Religionen und Atheisten zusammen. Wir brauchen das Gespräch, um einander annehmen zu können. Wir brauchen den gegenseitigen Respekt um Gott die Ehre geben zu können. Und deshalb ist es auch wichtig, die Dinge zu benennen, in denen es bloß um Eigeninteressen geht und nicht mehr um die Ehre Gottes. 
Paulus denkt im Römerbrief in großen Dimensionen: Ihm schwebt offenbar vor, dass die Gemeinde in Rom so etwas wie ein Vorbild für die Welt werden könnte: Nehmt einander an, wie Christus Euch angenommen hat. Respekt im Miteinander und Klarheit dort, wo Respekt verloren geht, zur Ehre Gottes.
Was Paulus im Großen denkt, müsste dann auch im Kleinen gelten: Respekt und ebenso Klarheit gegenüber dem Mann in den Shorts im Frühstücksraum und gegenüber Tante Frieda am Weihnachtsfest.
Wir sind noch im Advent. Wir bereiten uns noch vor, damit Weihnachten wirklich ein Fest des Miteinanders wird, ein Fest der gegenseitigen Annahme, weil uns Gott auch angenommen hat. Noch sind wir nicht in allem soweit
Deshalb schließt Paulus mit den Worten:
Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch alle mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des heiligen Geistes. Amen!

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Adios!

Regenbogen-Noah und wir. kurze Predigt zu 1.Mose 8,18-9,17

Lukas 21,25-33 Gegen den Weltuntergang