Predigt von Prädikantin Verena Wache am 11.11.2019

Liebe Gemeinde,
seit Kindheitstagen hüte ich einen kleinen Schatz. Alle Umzüge hat er mitgemacht. Manchmal, wenn er mir beim Aufräumen wieder in die Hände fällt, dann blättere ich darin. Manche Gesichter tauchen wieder auf, andere sind verblasst. Von den meisten weiß nicht gar nichts mehr, ob sie überhaupt noch leben und wenn ja wo und wie. Ich spreche von meinem Poesie-Album. 
 
„Wem die Sonne immer lacht, bleibt das Glück oft ferne. Wenn es gäbe keine Nacht, gäb’s auch keine Sterne.“ 

Das ist der Eintrag, der mir beim Lesen des heutigen Predigttextes sofort einfiel. Ja, es gibt sie, die Menschen, die scheinbar immer auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Die sind gesund, erfolgreich, angesehen, wohlhabend, sportlich und was mir sonst noch für positive Attribute einfallen. Was sie auch anpacken, das gelingt. Beneidenswert, oder? 

Und ja, es gibt auch die anderen. Die, denen nichts, aber auch gar nichts gelingt, was auch immer sie tun oder lassen. Sie haben kein glückliches, behütetes Elternhaus, keinen Lehrer, der auch das sieht, was sich nicht benoten lässt, keine Berufsperspektive, keine Freunde. Sie sind krank, verstecken sich am liebsten vor dem Fernseher und ziehen selbst dort das Unglück an. 

Von einem, der beides war, erzählt unser Predigttext. Es ist Hiob und ich lese aus dem 14. Kapitel die Verse 1-6:
Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll
Unruhe, geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht.
Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst.
Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer!
Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir
und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann:
so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein
Tag kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut.

Hiob, was ist mit dir geschehen? Du hast doch die Sonnenseite des Lebens kennengelernt. Du hattest Haus und Hof, blühende Felder, gesundes Vieh, Knechte und Mägde, Frau und Kinder und viele Freunde. Hiob, du warst ein frommer und gottesfürchtiger Mann. Du achtetest auf Gottes Gebote und liebtest deine Mitmenschen. 

Ja, Hiob vertraute nicht nur seinem Gott, sondern war auch sehr reich. Gott hat ihn gesegnet. Doch dann bricht in dieses schöne Leben unendlich schweres Leid herein. Die Tiere wurden gestohlen und die Knechte wurden von räuberischen Banden getötet. Selbst seine eigenen sieben Kinder werden nicht verschont, sondern kommen durch ein Erdbeben alle um. 
Und damit nicht genug. Er bekommt auch noch eine ganz üble Hautkrankheit: eiternde Geschwüre übersäen seinen Körper von der Fußsohle bis zum Scheitel. Hiob erlebt so furchtbar viel Leid, dass er's kaum tragen kann. Er steht nun nicht mehr auf der Sonnenseite des Lebens, sondern auf dessen Schattenseite. Er bekommt die ganz dunklen Seiten des Lebens zu spüren. „Wem die Sonne immer lacht, bleibt da Glück oft ferne. Wenn es gäbe keine Nacht, gäb’s auch keine Sterne?“ 
Nach so viel Unglück rät ihm seine Frau, doch endlich Gott
abzusagen, doch endlich von Gott zu lassen, der so viel Unglück über ihre Familie gebracht hat. 
Da kommen seine drei Freunde Elifas, Bildad und Zofar, um ihn zu beklagen und zu trösten. Und sie weinten mit ihm und saßen sieben Tage und sieben Nächte bei ihm, um mit ihm zu schweigen. Denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war. (2,11-13) 
Sieben Tage. Liebe Gemeinde, können wir das, so lange stumm sein und das Leiden des andere aushalten? Einfach da sein
ohne zu reden, zuhören, mitempfinden, vielleicht auch mitweinen? Wie lange halten wir so etwas aus? Ein paar Minuten? Eine halbe Stunde? An einem Sterbebett vielleicht auch längere Zeit. Angesichts der Erfahrungen von Leiden, von Tod und
Vergänglichkeit ist es angemessen zu schweigen. Es ist kein Zeichen von Schwäche, wenn wir verstummen. Im Gegenteil, es braucht sehr viel Kraft, dies auszuhalten. Und wenn wir oft zu schnell mit aufmunternden Worten darüber hinweggehen, dann nicht nur aus einem gut gemeinten Trostbedürfnis
heraus, sondern vielfach auch, um uns selber zu entlasten. 
Das Schweigen und Verstummen braucht seinen Platz bei der Begleitung Leidender, aber auch angesichts des Todes. Das Schweigen bringt zum Ausdruck: Ja, wir leiden mit und sind ebenso sprachlos wie ihr, dass dieser Mensch nicht mehr unter uns ist. Und wir wissen, dass wir Menschen vergänglich sind. Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll
Unruhe, geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht.
Aber Schweigen und Verstummen angesichts von Tod und Vergänglichkeit ist nicht alles, schon gar nicht für Hiob. 
Hiob klagt. Und je mehr seine Freunde mit ihren wohlmeinenden, frommen Antworten dagegen reden, desto lauter wird er. Mehr noch: Hiob klagt an. Er verklagt Gott und die Welt.
Er getraut sich, sich gegen Gott zu wenden. Er macht Gott für sein Elend verantwortlich – zu Recht. Er schreit seine ganze Verletztheit, sein Unverständnis und seine Hilflosigkeit heraus, die er Gott gegenüber empfindet. 
Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst.
"Von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten", heißt es in unserm Glaubensbekenntnis. Christus kommt als der Richter, als derjenige, der uns zur Verantwortung zieht, der nach unserem Leben fragt, was wir getan,
gedacht und gesagt haben. Es ist nicht gleichgültig, was wir tun. Christus begegnet uns als der Richter am jüngsten Tage, das ist sicher.
Doch angesichts manchen Elends auf der Welt kann man sich fragen, ob Menschen bereits schon in der Gegenwart gerichtet werden. Man spricht ja nicht umsonst von der „Hölle auf Erden.“ Menschen erleben sie im Krieg und auf der Flucht. Diese Hölle kann auch eine Ehe sein, die nur noch aus Hass und Gewalt besteht, ein unerträgliches Mobbing am Arbeitsplatz, in der Schule oder sonst wo. Über manche Menschen ist wie bei Hiob so viel Leid hereingebrochen, dass es kaum zu ertragen ist, und sie schreien möchten wie Hiob.
Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer!
Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir
und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann:
so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein
Tag kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut.
Fast gotteslästerlich klingen seine Worte. Aber diese Klage
geschieht nicht anonym. Sie hat nichts mit Jammern zu tun. Sie hat ein Gegenüber. Hiobs Gegenüber ist Gott selbst. Und das Gegenüber Gott erreicht man nur in der Sprache des Gebetes.
Auch wenn Hiob Gott in dem allem nicht versteht, in ihm brodelt ein leidenschaftlicher Hunger und Durst nach Gerechtigkeit. Hiob lehnt sich auf gegen das Unrecht, das ihm widerfährt, und ringt darin mit seinem Gott. Er nimmt vor Gott kein Blatt vor den Mund. Sein Beten klingt wie etwas ganz Natürliches. 
Beten ist für Juden so selbstverständlich, dass es ursprünglich in Israel kein extra Wort dafür gegeben hat. Beten heißt rufen, frohlocken, lachen, weinen, schimpfen, flehen - je nach dem. Alles ist gestattet. Beten ist in jeder Tonlage möglich. 
Eugen Roth hat es in einem Gedicht so formuliert:
Ein Mensch, der recht sich überlegt,
dass Gott ihn anschaut unentwegt,
und bittet ihn schließlich voll Grauen,
nur fünf Minuten wegzuschauen.
Er wollte unbewacht, allein
inzwischen brav und artig sein.
Doch Gott, davon nicht überzeugt,
ihn ewig unbeirrt beäugt.
Hiob bekam und bekommt dieses unbeirrte Beäugen zu spüren. Er kann nicht mehr, er will einfach nur in Ruhe gelassen werden. So kommt Hiob zu Gott und schreit sein Leid vor ihm aus. Er weiß, dass alle Menschen unrein sind, dass kein Mensch vor Gott bestehen kann, dass alle Menschen Sünder sind.
Er weiß, dass der Tod nicht nur Folge des körperlichen Verfalls ist, sondern Folge unsrer Trennung von Gott. Der Tod ist nicht nur ein biologisches Ereignis, sondern hat eine geistliche
Dimension. Hiob will so nicht weitermachen, er kann einfach nicht mehr.
Und wir? Nein, wir müssen nicht in Kummer, Leid und Elend stehen bleiben. Wir können durch Christus auch die Bitte an Gott richten: "Schau her, Gott, vom Himmel her! Blicke auf mich herab und erbarme dich meiner! Lass dein Angesicht wieder über mir leuchten und sei mir gnädig!" 
Und es ist gut, wenn wir das tun können und mit unsrer Not nicht hinteren Berg halten müssen. Dass wir in solchen Zeiten uns weg vom zornigen Gott hin zum gnädigen Gott in Christus bewegen dürfen. „All eure Sorgen werft auf mich. Ich will euch erquicken“, sagt er. Wir dürfen uns immer wieder an den Gott zu wenden, der sich in Christus als der Gnädige gezeigt hat. Der will und wird uns neue Hoffnung geben. Der wird uns Zuversicht schenken. uns neuen Lebensmut zusprechen.
Denn beides macht unser Leben aus. Ein Leben, das nur schöne und angenehme Zeiten kennt, gibt es nicht. 
„Wem die Sonne immer lacht, bleibt das Glück oft ferne. Wenn es gäbe keine Nacht, gäb’s auch keine Sterne.“
Schließen möchte ich mit einem Liedvers von Udo Jürgens:
„… und immer, immer wieder geht die Sonne auf. Und immer schenkt der Tag ein neues Licht. Denn immer, immer wieder geht die Sonne auf und Dunkelheit für immer gibt es nicht, nein, die gibt es nicht.“
Auch für Hiob nicht. Seine Treue hat Gott schließlich reich belohnt, so dass er alt und lebenssatt in Frieden sterben konnte.
Ich wünsche Ihnen, Euch und mir, dass unser Leben stets ausgewogen zwischen Tag und Nacht, zwischen Sonne und Sternen verläuft. Gott helfe uns dazu, Jesus Christus steh uns bei und der Heilige Geist sei mit uns. Alle Tage und alle Nächte.
Amen.

Kommentare

  1. Hiob´s drangsal und leid gut wiedergegeben. Frage? ist es wirklich eine belohnung, wenn mir eine perfekte familie genommen wird und später erhalte ich ersatz???

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