Offenbarung 2 zum Volkstrauertag

Zum Volkstrauertag 2018

Liebe Gemeinde, 

Bei meinen Freunden hängen Postkarten am Eingang. Postkarten, die sie aus den Urlauben von Familie, Freunden und Bekannten bekommen haben. Karten schreiben heute nur noch wenige. Eine SMS, eine Whatsapp: Das geht schneller. Aber diese schnellen Nachrichten vergehen auch. Meistens sind sie keine bleibenden Erinnerungen.
Karten und Briefe sind dagegen manchmal richtige geschichtliche Zeugnisse. Ich lese uns am Volkstrauertag einen Brief aus dem 1. Weltkrieg vor, der nun etwas über hundert Jahre alt ist:

„Drei Tage lang lagen wir in den Granatlöchern, dem Tod ins Auge sehend, ihn jeden Augenblick erwartend. Dazu kein Tropfen Wasser und der entsetzliche Leichengestank. Die eine Granate begräbt die Toten, die andere reißt sie wieder heraus. Will man sich eingraben, kommt man gleich auf Tote. Ich hatte eine Gruppe, doch gebetet hat jeder für sich. Ich will Euch nicht noch mehr Elend erzählen. Es mag genug sein. Seid herzlichst gegrüßt und geküsst und Gott befohlen von Eurem dankbaren Sohn und Bruder Karl.“ 

Der Gefreite Karl Fritz aus den Schützengräben vor Verdun an seine Eltern und Schwestern im August 1916. 

Gerhard Bing schreibt nach der Pogromnacht vor 80 Jahren, dass seine Mutter keine Stunde länger in Deutschland bleiben darf. Doch die Eltern werden nach Auschwitz deportiert und ermordet. Zurück bleibt nur ein letzter Brief von Mutter Mathilde: "Ich will euch nur sagen, dass ich alles versucht habe, um diese Zeit zu überleben. Immer hatte ich diese schreckliche Sehnsucht nach Euch beiden. Ihr müsst es fühlen, wie lieb ich Euch habe. Lebt wohl ihr beiden, ich kann nun nicht mehr, sonst muss ich weinen, und ich will stark bleiben bis zuletzt. In Gedanken küsse ich Euch tausendmal. In großer, großer Liebe, Mutti."

Das ist alles längst vorbei! Der erste Weltkrieg endete letzten Sonntag vor 100 Jahren.
Die Reichsprogromnacht jährte sich diesen Monat zum 80. Male.

Briefe sind Teil der wenigen überlebenden Zeugen von Krieg, Verfolgung und Unterdrückung. Sie haben mit unserem Leben kaum noch etwas zu tun. Aber sie erzählen uns wichtige Geschichten.
Auch der Predigttext von heute ist so ein Brief. Fernab von unserem Leben, in dem wir uns Gott sei Dank im Frieden und in Freiheit bewegen dürfen. Der Seher Johannes schreibt an die von Verfolgung und Demütigung bedrohten Christen der Gemeinde in Smyrna (Izmir):

Und dem Engel in Smyrna schreibe: Das sagt der Erste und der Letzte, der tot war und ist lebendig geworden: Ich kenne deine Bedrängnis und deine Armut – du bist aber reich – und die Lästerung von denen, die sagen, sie seien Juden, und sind´s nicht, sondern die Versammlung des Satans. Fürchte dich nicht vor dem, was du erleiden wirst! Siehe der Teufel wird einige von Euch ins Gefängnis werfen, damit ihr versucht werdet, und ihr werdet in Bedrängnis sein zehn Tage. Sei getreu bis in den Tod, so will ich Dir die Krone des Lebens geben.

Es ist ein fast 2000 Jahre alter Brief: Nicht an Sie und nicht an mich gerichtet. Und doch läuft es mir schauerlich den Rücken hinunter. Sei getreu bis in den Tod! Das hat man von den Soldaten in beiden Weltkriegen auch gefordert. Und auch die Jüdin Mathilde will stark sein bis in den Tod, den sie wohl beim Transport nach Ausschwitz ahnt. 

Und ich? Ich lebe im Frieden! Ich bin der erste Mann meiner Familie, der seit Menschengedenken nie in den Krieg ziehen musste. Ich feiere mit Euch hier Gottesdienst und muss keine Angst vor Repressalien haben. Am heutigen Volkstrauertag höre ich die Worte dieser Briefe und ich bin unendlich dankbar, dass ich in diesen Briefen nicht vorkomme, weder als Schreiber noch als Adressat. Ich möchte, dass das so bleibt. Für Mich, für Euch, für meine Kinder und Enkel. Volkstrauertag erinnern wir an das Leid von Verfolgung und Krieg, damit wir die Würde jedes Menschen achten.

Der Brief an die Gemeinde in Smyrna ist ein Trostbrief für die von Krieg und Verfolgung bedrohten Menschen. Er zeigt, dass Gott die Not der Menschen ernst nimmt:
„Ich kenne deine Bedrängnis und deine Armut!“

Es ist wichtig für die Notleidenden, dass sie nicht einfach namenlos verschwinden, sondern, dass sie wissen: Da denken Menschen an mich. Und für Angehörige ist es wichtig, dass die Geschichte der Opfer von Gewalt nicht vergessen werden:

Die 51 Jahre alte Christin Asia Bibi sollte in Pakistan in diesem Monat zum Tode verurteilt werden. Sie hat sich zum Christentum bekannt. Das wurde von strengen Muslimen dort als Blasphemie bewertet. Die weltweite Öffentlichkeit hat offenbar mitgeholfen, dass Asia Bibi nun freigekommen ist. „Ich kenne deine Bedrängnis und deine Armut!“

Nein, wir dürfen die Toten und die Verfolgten von damals und von heute nicht vergessen, denn Gott vergisst sie ja auch nicht.

Der Brief an die Christen von Smyrna wurde oft missbraucht. Er wurde als Beleg für das Recht auf Judenverfolgungen genommen. Er wurde als Beleg für bedingungslose Treue gegenüber einer Regierung eben bis in den Tod benutzt. Aus dem Zusammenhang gerissene Bibelzitate helfen Kriege und Verfolgungen religiös zu legitimieren und machen aus den Kindern Gottes willenlose Untertanen.

Der Brief an die Menschen in Smyrna benennt dagegen die Ursachen von Krieg und Verfolgung. Die ganze Offenbarung des Johannes ist ein Appell an die Christen, wachsam zu sein. Wachsam gegenüber Stimmen und Geschehnissen zu jeder Zeit; Stimmen, die die Menschenmacht über Gottesmacht stellen, die Hass und Feindschaft säen, anstatt den Boden für das Evangelium Jesu Christi, der Menschenliebe Gottes zu bereiten. Getreu bis in den Tod für den Glauben an Gott einzutreten ist ja eine Aufgabe für Mutige Menschen und nicht für solche, die sich still ihrem Schicksal ergeben. Das Ziel der ganzen Offenbarung des Johannes ist der neue Himmel und die neue Erde. Da wird es kein Leid und kein Geschrei mehr geben, keine Tränen und keinen Tod. Mit dieser Vision endet ja das Buch der Offenbarung und damit auch die Bibel.

Nicht die Briefe aus den Kriegen und die von Verfolgung und Not sollen die letzten Zeugnisse der Geschichte sein, sondern die Briefe,
- die Mut machen,
- die davon erzählen, dass Gott kein Leid egal ist.
- die einen ganz anderen Himmel und eine ganz andere Erde beschreiben.

Geschichten, die davon erzählen,
- wie Streit und Krieg beendet wurden,
- wie Feinde sich wieder die Hand reichen,
- wie Menschen unterschiedlicher Kulturen sich gegenseitig kennenlernen, ohne die eigene Geschichte aufgeben zu müssen.
- wie am Ende über den Kreuzen des Todes die Krone des Lebens leuchtet.

Es gibt solche Zeugnisse:
- wenn französische und deutsche Jugendliche die Gräber der Kriegstoten aus dem 1. Weltkrieg pflegen und bewahren.
- wenn ein Schiff der deutschen Bundesmarine den Hafen von Haifa anlaufen darf und die israelische Bevölkerung die Besatzung willkommen heißt.
- wenn jüdische und palästinensische Musiker miteinander ein Konzert gestalten.
- wenn Menschen den Graben überwinden, den ein böses Wort aufgerissen hat.
- wenn wir dankbar für den Frieden sind, in dem wir leben und ihn auch für unsere Nachkommen bewahren.
Wenn wir mutig bekennen, dass Gottes Reich kommen möge,
dass sein Wille geschehe,
nicht nur im Himmel sondern auch auf dieser Erde. 

Sich nicht fürchten. Keine Angst haben. Treu sein heißt vertrauen auf Gott bis in den Tod. An Gott glauben ist eine Aufgabe und sie ist nicht vergeblich. Er - Gott -spricht: Ich will dir die Krone des Lebens geben.
Amen!


Ablauf: Gottesdienst 18.11.18vorletzter S.i.Kj. Volkstrauertag

Vorspiel
Votum/ Begrüßung 
Lied     152,1-4                       Wir warten Dein o Gottes Sohn
Psalm  750                             Ps. 126
Ehr sei dem 
            
Gebet / Kyrie
Gebet/ Laudate
Gebet                         S. 804 EG
Lesung                        Mt.25,31-46
Halleluja

Lied     658                 Lass uns den Weg d. Gerechtigkeit
Predigt                                    Offb.2,8-11
Lied     660                  Wie ein Fest 

Credo
Friedensgruß / La paz este con …
Fürbitten/Vater unser

Lied     435                 Dona Nobis pacem
Abkündigungen

Lied     171                 Bewahre uns Gott                  
Segen
Gemeinsam 652        We shall overcome

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