Einer trage des anderen Last (Gal.6)

Predigttext Gal.5,25 - 6,10

Liebe Gemeinde,
vor einigen Wochen ist die Morandi Autobahnbrücke in Genua eingestürzt. Es gab viele Tote und Verletzte. Sie haben die Bilder aus dem Fernsehen sicher noch vor Augen. Es wird nach den Schuldigen gesucht. Vorverurteilungen sind bereits geschehen. Dabei ist die Ursache für die Katastrophe noch gar nicht ausgemacht. Tatsache ist, dass die Brücke den Belastungen zu dem Zeitpunkt nicht mehr standgehalten hat. Tatsache ist auch, dass das Vertrauen der Menschen in die tragenden Instanzen des Staates ebenfalls Risse bekommen hat.

Ich bin so manches Mal im Urlaub über diese Brücke gefahren. Immer habe ich darauf vertraut, dass das Konstrukt hält; dass Fahrbahn, Seile und Pfeiler sich gegenseitig so unterstützen, dass die Lasten gemeinsam getragen werden können.

Ich werde weiterhin über Brücken fahren und blind darauf vertrauen, dass es schon halten wird. Man würde ja verrückt werden, wenn man nur noch misstrauen würde. Aber mir wird auch deutlich, dass es in einem Chaos enden wird, wenn die Statik nicht mehr stimmt: Von allem was tragfähig sein soll: Brücken, Beziehungen, Gesellschaft, Kirche.

Statik – so lese ich bei Wikipedia – ist die Lehre der Zuverlässigkeit von tragenden Elementen. 

Der Apostel Paulus benutzt einen Satz, der auch ein Lehrsatz aus der Baustatik sein könnte:

„Einer trage des anderen Last!“

Früher haben sich etliche Ehepaare bei der kirchlichen Trauung diesen Satz ausgesucht (oder geben lassen). Klar: eine Ehe ist verlässlicher, hält mehr aus, wenn nicht einer oder eine unverhältnismäßig mehr Lasten tragen muss als der oder die andere. Eine Zeit mag das gut gehen, aber auf Dauer bekommt die Beziehung dann Risse und im schlimmsten Fall kracht die Ehe auseinander wie die Brücke von Genua.

Dann ist es zu spät. Es gilt also, sich rechtzeitig Gedanken zu machen, wie man Lasten verteilt, wie man gemeinsam Lasten tragen kann. Es ist wichtig, rechtzeitig zu sagen, wann es einem zu viel wird. Es ist auch wichtig, dem anderen zu sagen: Bleib ruhig, ich trage das mit, was Dir zu schaffen macht: Reden, Zuhören. Und wenn es knarrzt: gemeinsam überlegen, was einem helfen kann, Lasten besser zu verteilen; Lasten zu verkleinern; bevor es zu spät ist.

Fast schon leichtfertig vertrauen wir ja darauf, dass alles tragfähig ist und tragfähig bleibt. Noch dazu, wo wir in einer Zeit leben, in der man sich an Frieden und mehr oder weniger Wohlstand gewöhnt hat. Dabei gibt es Risse, das ist fast normal. Risse nicht nur an alten Brücken oder langjährigen Beziehungen, auch in Staat oder Gesellschaft. Risse und Gefährdungen müssen erkannt werden. Es nützt nichts, sie tot zu schweigen. Risse und Gefährdungen müssen rechtzeitig und immer wieder ausgebessert werden.

Unsere Gesellschaft ist darauf angewiesen, dass wir einander Lasten tragen helfen: Nicht nur die eigenen Sorgen, sondern auch die Nöte der anderen.

Das müsste eigentlich selbstverständlich sein. Ist es aber anscheinend nicht mehr. Wenn man zuerst fragt: Und was habe ich davon? anstatt: was kann ich für Dich tun? Dann ist das schon ein Riss in der gemeinsamen Brücke, der man doch so gerne vertrauen möchte.

Wenn man die da oben verantwortlich macht für Sorgen und selber keine Verantwortung für die Lastenverteilung übernimmt, dann gefährdet man das Konstrukt einer Gesellschaft, dass allen Menschen Sicherheit und Lebensperspektiven geben soll.

Wenn man sich selber auf Kosten anderer für wichtiger nimmt, dann bricht der soziale Kitt unseres Gemeinwohls auseinander.

Ich könnte so weiter machen: Gesundheitssystem und Rente, Bildung und Betreuung, ja auch Migration usw.usw. Alles funktioniert nur, wenn Lasten gemeinsam getragen werden ohne dass einer dabei selber in die Knie geht.

Es ist fast 2000 Jahre her, als der Apostel Paulus diesen Satz aufgeschrieben hatte:

„Einer trage des anderen Last!“ Klingt heute nicht revolutionär, ist es aber wohl doch: Paulus hat gewusst, dass es menschlich ist, zuerst nach dem eigenen Vorteil zu fragen. Es ist für ihn nahezu natürlich, dass Menschen versuchen, sich in eitler Weise selber zu profilieren, sich selber ins Licht zu stellen auch wenn anderen dann im Schatten bleiben. Paulus hat – auch wenn er nicht wusste was das ist – eine Gesellschaft erlebt, in der das Anfertigen von Selfies normal ist und die Hilfe bei einem Unfall unterbleibt, weil man ja keinen Vorteil davon hat. 

Leben nach dem Fleisch nennt er das und listet eine ganze Reihe von Verhaltensweisen auf, die mir gar nicht so unbekannt scheinen:

„Offenkundig aber sind die Werke des Fleisches:
Unzucht, Unreinheit, Ausschweifung, Götzendienst, Zauberei, Feindschaft, Hader, Eifersucht, Zank, Zwietracht, Spaltungen, Neid, saufen, Fressen und dergleichen.“ (Gal.5,19)

Demgegenüber stellt Paulus dar, was es heißt im Glauben zu leben. In einem Glauben, der das alles nicht braucht, weil Christen sich von Gott angenommen wissen: Er schreibt: „ Die Christus Jesus angehören haben ihr Fleisch gekreuzigt samt den Leidenschaften und Begierden. Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln. Lasst uns nicht nach eitler Ehre trachten, nicht herausfordern und beneiden!“ (5,24+25)

Wir Christen „ticken“ anders als es die Natur des Menschen vorzugeben scheint. Christen leben und handeln aus einem anderen Bewusstsein heraus. Und damit werden wir zu einem wichtigen Baustein für eine Gesellschaft, die tragfähig ist und in der man lernt, einander zu helfen und zu vertrauen. Ich glaube, dass es an der Zeit ist, diese Aufgabe und Möglichkeit von uns Christen wieder mutig zu bekennen; gerade in einer Zeit, in der es normal ist, Neiddebatten zu führen und Spannungen zu erzeugen, Eifersucht und Pöbelei lauthals und ungestraft herausbrüllen zu dürfen.

Christen ticken anders: Einer trage des anderen Last, - so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. Dieser Nachsatz ist nötig, denn ohne den Bezug auf den Mittelpunkt und das Ziel unseres Glaubens, verflacht der Merksatz des Paulus zu einer moralischen Floskel.

Sind damit Christen besser als andere? Natürlich nicht von Natur aus. Auch Christen machen Fehler, auch schlimme Fehler. Paulus schreibt: „Wenn ein Mensch Fehler macht, dann helft ihm wieder zurecht mit sanftmütigem Geist. Pass auf, dass Du nicht selber versucht wirst.“ (6,1)

Paulus schreibt an eine Gemeinde oder auch an mehrere; an Hauskreise damals. Er weiß, dass für einen einzelnen manchmal der Bockmist eines anderen kaum auszuhalten ist. Deshalb ist es wichtig, in der Gemeinschaft von Christen, egal ob in der Gemeinde oder in einer christlichen Partnerschaft oder unter Freunden, zu erzählen, was belastet; zuzuhören, damit Entlastung geschieht. Einer könnte damit überfordert sein.

Die kaputte Brücke von Genua wird nicht wieder heile; aber Christen können Brücken bauen unter ihresgleichen und darüber hinaus. Wir können Risse erkennen, ausbessern in Sanftmut; wir können gemeinsam Lasten tragen,  und anderen Vertrauen geben. Erstaunlicherweise sagt Gott: Ihr schafft das: „Was der Mensch sät, das wird er ernten.“(6,7)

Gott gebe uns seinen Segen, damit Gutes aus unserem Leben erstehen kann.
Amen



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