Kain und Abel 1.Mose 4,1-16

Bibeltext: Gen. 4,1 -16a (Kain und Abel)

Liebe Gemeinde,
„Die Familie ist die natürliche Grundeinheit der Gesellschaft“. So heißt es in der Erklärung der Menschenrechte und so ähnlich steht es auch im Artikel 6 des Grundgesetzes. Dennoch sind Familien aber oft auch voller Probleme. Davon erzählt die Bibel gleich am Anfang:
Der Mensch wird von Gott perfekt geplant und geschaffen: gottgleich. Als Mann und als Frau. Adam und Eva. Das erste Paar der Menschheit hat alles, was es braucht um glücklich zu sein. Zum Glücklichsein gehört auch, sich selbst beschränken zu können. Wenn man immer alles haben will, kann man nicht glücklich sein, weil einem ja ständig etwas fehlt. Gott will, dass Adam und Eva glücklich im Paradies sind. Sie dürfen alles; nur vom Baum der Erkenntnis sollen sie nicht essen. Adam und Eva wollen aber klug sein: wie Gott. Sie verspielen ihr Glück. Sie bringen sich selbst um das Paradies.

Adam und Eva gründen außerhalb des Paradieses eine Familie. Zuerst wird Kain geboren, der Ackerbauer, und dann Abel, der Viehzüchter. Doch dann kommt das, was in vielen Familien Alltag ist: Es gibt Neid unter den Geschwistern. Und es bleibt nicht beim Neid. Es kommt sogar zum Mord. Kain erschlägt Abel. Nicht aus Affekt, sondern vorsätzlich. Gewalt ist ein Familienthema, auch wenn es nicht bis zum Mord kommen muss. Aber wie oft sagen Geschwister, wenn sie sauer sind: „ Ich bring Dich um!“?

Was ist da in der ersten Familie schon schief gegangen? Haben Adam und Eva als Eltern in ihrer Erziehung versagt? Hat Gott versagt, weil er einerseits Abel bevorzugt, anstatt seine Liebe und Anerkennung gleichmäßig zu verteilen? Hat Gott auch versagt, weil er sogar dem bereits finster drein blickenden Kain noch ein gutes ethisches Verhalten zutraut, indem er sagt: Habe Du die Sünde im Griff und herrsche über das Verlangen?

Ich könnte vortrefflich über die Familie von Adam, Eva, Kain und Abel sprechen. Oder über die anderen Familien, die wir kennen und bei denen es schief läuft. Oder meine eigenen Fehler als Kind, als Vater oder Großvater. Aber hier wird Menschheitsgeschichte erzählt. Dass Kain seinen Bruder erschlägt ist kein einzelner Betriebsunfall der Menschheit. Es ist ein grausames Beispiel dafür, dass der Mensch offenbar immer wieder Gefahr läuft, sich unethisch zu verhalten. „Ethik ist die Kunst der freiwilligen Selbstbeschränkung“ hat ein kluger Kollege von mir in das Ethikhandbuch der Bundeswehr geschrieben. Uns ist das gute Verhalten, die Kunst der Selbstbeschränkung nicht in die Wiege gelegt worden. Es ist dir gesagt Mensch, was gut ist und was böse. Aber dazu braucht man ja Ohren und die Bereitschaft auch zuzuhören. Ethik muss man lernen. Kain ist ein Beispiel dafür, was passieren kann, wenn man nicht weiß, wie man sich beschränkt.

Die Skrupellosigkeit von Kain hat in der Geschichte viele Ge-sichter: In den Sechziger Jahren haben viele Menschen ge-dacht, die Grausamkeiten des Dritten Reiches seien typisch deutsch und könnten sich woanders nicht wiederholen. Daraufhin hat Professor Milgram an der amerikanischen Yale Universität das berühmte Milgram Experiment durchgeführt. Im Ergebnis zeigte sich, dass Menschen aus unterschiedlich-sten sozialen Schichten unter bestimmten Bedingungen bereit waren, anderen Menschen Schmerzen und sogar den Tod zuzufügen. Gewalt und Unbeherrschtheit sind nicht nur Eigenschaften von Kain oder von Männern und auch nicht einzelner Volksgruppen. – Gewalt ist ja nicht einmal das, was Abscheu erregt, sondern bei vielen die Lust zum Filmen mit dem Smartphone weckt. Gaffer filmen Unfälle, Gewaltorgien und vieles andere. Mit Ethik, mit Verantwortung, mit Selbstbeschränkung hat das alles nichts mehr zu tun.

Kain ist nicht nur der Bruder von Abel; er ist auch unser Bruder. Er ist nicht nur das Kind von Adam und Eva. Er ist auch unser Kind. Die Geschichte von der ersten Familie wirft einen Schatten auf unsere Miteinander auch in unserer Gesell-schaft. Und andererseits ist es ja tröstlich, dass es auch woanders Fehler in den Familien gibt. Wir hätten als Eltern vielleicht etwas anders machen sollen, aber Fehler kann man oft nicht mehr korrigieren.

Die Frage ist also: Wie gehen wir damit um, wenn wir Fehler gemacht haben?
Kain wird von Gott nach seinem Bruder gefragt.  Und Kain weicht aus: „Ich weiß nicht? Soll ich meines Bruders Hüter sein?“

Schuld einzugestehen ist schwer! Hat Kain Angst vor Strafe? Vielleicht. Das wäre verständlich. Aber dass er vor Gott sich erdreistet, keine Verantwortung für andere übernehmen zu wollen, das schürt in mir die Wut. Ein Beispiel aus unserer Zeit: In der Nachbarschaft wird offenbar regelmäßig ein Kind geschlagen. Der eine Nachbar kümmert sich nicht drum. Er sagt: „ Das, was da in der Familie passiert, ist deren Privatsache. Ich bin nicht der Hüter meiner Mitmenschen.“ Der andere Nachbar meldet sich bei der Familie und fragt nach. Er wird wüst zurückgewiesen: „Das geht Dich gar nichts an! Kümmere Dich um Deinen eigenen Kram. – Wenn dann Missbrauch oder Mord geschieht und öffentlich wird, ist allerdings überall das Entsetzen groß. - Wir sind einander Geschwister auch wenn wir nicht miteinander verwandt sind.

Die Familie ist die Keimzelle der Gesellschaft. Das ist bestimmt auch richtig. Aber unsere Gesellschaft, die ganze Menschheit kann nur überleben, wenn es Menschen gibt, die Verantwortung übernehmen, die nicht nur dem eigenen Vorteil nachgehen, die nicht jedem Gefühl freien Lauf lassen. Wir brauchen die Erziehung zur Ethik, zur freiwilligen Selbstbeschränkung: In der Familie, in der Schule, in den Kirchen, im Wirtschafts- und Arbeitsleben. 

Kain und seine Familie sind also kein Vorbild, eher das Gegenteil für ein funktionierendes Miteinander.
Kain muss lernen, dass Schuld nicht ungeschehen gemacht und nicht vergessen werden kann. Gott straft. Er verflucht den Acker. Unstet und flüchtig sollst Du sein!

(Heimatlosigkeit und Rastlosigkeit sind auch Zeichen unserer Zeit. Irgendjemand hat geschrieben, dass die Versuchung stets online zu sein, immer und zu jeder Zeit in den social medias present sein zu wollen, die Erfüllung dieses Fluches sei.)

Kain spürt nun, dass sein Verhalten, seine Schuld, ihn hindern könnte, weiter zu leben: „Meine Strafe ist zu schwer, als dass ich sie tragen könnte!“ Kain fürchtet die, „die Auge um Auge, Zahn um Zahn!“ rufen. Er fürchtet, dass es nicht nur bei Drohungen bleiben könnte, sondern dass Gewalt und Lynchjustiz um sich greifen. Auch das ist ja keine Furcht aus biblischer Vorzeit, sondern gerade in den letzten Jahren die Folge von Populismus und ungezügeltem Verhalten. Im Internet wird gepöbelt und gedroht; es kommt zu tätlichen Übergriffen.

Doch Gott mischt sich ein in diesen scheinbar ungezügelten Kreislauf von verlorengegangener Ethik, von menschlichen Verletzbarkeiten, vom Ruf nach Vergeltung oder der Verzweiflung, Fehler nicht mehr gut machen zu können. Er zeigt, wie mit Schuld zukunftsweisend umgegangen werden kann.

Der Herr machte an Kain ein Zeichen, dass niemand ihn erschlüge, wenn er ihn fände! Und so bekommt die Menschheit trotz ihrer Fehler eine Chance zum Weitermachen. Kein Weiter so! Sondern: die Geschichte von Kain und Abel drängt dazu, über Fehler nach zu denken, Verantwortung für die Geschichte zu übernehmen, das Miteinander zu suchen, auch wenn es in einem kocht. Gott gibt ein Beispiel dafür, dass Vergebung nicht vergessen bedeutet. Vergebung ermöglicht jedoch eine Zukunft. Kain hat wieder eine Familie gegründet. Es ist unsere Familie der Menschheit.

Wir können nicht immer Fehler verhindern, aber wir können gerade als Christen versuchen mit Fehlern von uns selbst oder von anderen verantwortlich umzugehen. Jesus sagt einmal: Wer in mir bleibt und ich in ihm, der wird gute Frucht bringen. Haben wir ein Auge auf uns und unsere Schwestern und Brüder! Amen!

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