Kantate! Singt! Apostelgeschichte 16,23-34

Apg. 16,16-22 erzählen, dann den Predigttext Apg.16,23-34 lesen
Liebe Gemeinde,
(Vorsingen) On a wagon, bound for market
There's a calf with a mournful eye
High above him, there's a swallow
Winging swiftly through the sky

Ich habe dieses Lied das erste Mal als Kind von dem Liedermacher Donovan gehört. Joan Baez hatte es auch schon in den 60ern gesungen. Der Originaltext ist jiddisch. Er stammt aus einem Musical das 1940-41 geschrieben wurde. Schalom Secunda und Aaron Zeitlin haben es in den USA geschrieben. Schalom Segunda hat in Russland selber die antijüdischen Progrome erlebt und ist geflohen. Nun musste er ohnmächtig zusehen, wie in Deutschland Juden wie Kälber in die Schlachthöfe der Konzentrationslager deportiert wurden.
DOS KELBL 
Ojfn Forel ligt a Kelbl
ligt gebundn mit a schtrik
- hojch in Himl fligt a Fojgl,
fligt un drejt sich hin un ts'rik.

Lacht der Wind in Korn,
lacht un lacht un lacht
- lacht er op a Tog a gantsn
un a halbe Nacht.
Donaj, donaj, donaj, donaj,
donaj, donaj, donaj, daj.
Donaj, donaj, donaj, donaj,
donaj, donaj, donaj, daj.

Schrejt dos Kelbl, sogt der Pojer:
"Wer - sshe hejst dich sajn a Kalb?
Wolst gekent, doch sajn a Fojgl,
wolst gekent doch sajn a Schwalb!"

Bidne Kelblech tut men bindn,
un men schlept sej un men schecht.
Wer's hot Fligl, flit arojf tsu,
is bei kejnem nischt kejn Knecht.

Mich hat das Lied berührt. Zum einen wegen seines Inhalts. Ein Kalb wird zur Schlachtbank geführt. Darüber singt die Schwalbe munter ihr Lied. Der Wind lacht und der Bauer sagt: Warum bist Du ein Kalb? Du hättest ja auch ein Vogel sein können. Zynismus nicht nur im Dritten Reich, der einem eigentlich die Sprache verschlägt. Menschen werden verfolgt, weil sie einer anderen Religion oder Hautfarbe angehören. -  Und doch gibt es dieses Lied. Ein grausamer Hintergrund. Aber es wird gesungen! Im Refrain hört man immer wieder Donnaj Donaj; „Der Herr, der Herr“ heißt das. Wir würden vielleicht sagen: „Mein Gott!“ Die Melodie trägt wie ein Gebet auch die unerträglichen Realitäten.
Mich berührt dieses Lied auch, weil wieder Juden - nur weil sie Juden sind - auf Deutschlands Straßen Angst haben müssen. "Lieber eine Baseballmütze tragen als eine Kippa", war dieser Tage die Aussage eines jungen Berliner Juden. Das Lied vom Kelbl ist ja schon fast 80 Jahre alt. Und doch ist der Hintergrund aktuell. Man könnte verzweifeln, doch Lieder machen Mut. Wehrt den Anfängen! Singt!

Der heutige Sonntag heißt Kantate: Singt! – Was nach dem Aufruf zur sinnvollen Freizeitgestaltung klingt, ist doch wesentlich tiefgründiger. Lieder drücken aus, was Worte oft nur schwer sagen können. „Singt dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder!“ Gerade Glaubenslieder können eine Kraft haben, die protestiert und verändert. Singen kann dem Leben eine neue Richtung geben. Die Spirituals der schwarzen Sklaven zeugen von der Klage aber auch der Hoffnung auf Freiheit und einem Leben in Würde.:
„When israel was in Egypt land: Let my people go!“

Wohl dem, der Lieder auswendig kennt. Meine Konfirmanden waren völlig baff, als ich sie mit auf eine Schwerstdementenstation mitnahm. Gespräche mit den Bewohnern waren nicht möglich. Aber als ich ein Kirchenlied anstimmte, haben fast alle Bewohner auswendig mitgesungen. Die Jugendlichen staunten, welche Kraft den auswendig gelernten Liedern innewohnte.

Der Apostel Paulus und sein Gefährte Silas haben im Gefängnis offenbar auch gebetet und gesungen: auswendig gelernte Psalmengebete. Psalmen sind Glaubenslieder. Auch die Mitgefangenen haben die Gebete und Gesänge gehört; nicht nur sie, sondern Gott auch. Denn wir hören, dass die Lobpreisungen von Paulus und Silas zu Veränderungen führten.

Kantate: Singt! Ja, das möchte ich auch können:  auch dann noch singen, wenn es mir die Sprache verschlägt. Wenn ich mich elendig fühle, eine Melodie finden, die trägt. Die Bibel berichtet ja sogar davon, dass Paulus und Silas selbst nach Schlägen und Folter im innersten des Gefängnisses, die Füße im Block, noch Gott loben können! Das wäre ein Singen: Trotzig auch inmitten von Leid und tiefer Sorge Gottes Nähe erbitten und besingen; sich nicht klein kriegen lassen, Worte finden und Töne dazu, die stärker sind als jedes Gefangensein: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost was kommen mag!“ (Bonhoeffer) 
Die Lieder von Paulus und Silas bewirken ein Erdbeben. Die Fesseln lösen sich, die Türen des Kerkers springen auf. Die Freiheit steht offen!

Eigentlich könnten Paulus und Silas ihre Freiheit nutzen. Die Mitgefangenen auch. Weglaufen von und vor dem, was einen oft gefangen sein lässt. Ketten abwerfen, die einen fesseln. Freiheit genießen, Tun und lassen, was man will ohne ständig auf Bindungen Rücksicht zu nehmen. So verstehen wir ja heute oft Freiheit: "Man wird ja noch mal sagen dürfen, was man denkt!" Und gerade wurde die Freiheit der Meinung und der Kunst bemüht, als der „Echo“, der Preis der deutschen Musikindustrie an unsägliche Texte gröhlende Rapper vergeben wurde. Gott sei Dank haben andere Künstler ihren Echo zuzrückgegeben. Nein: Freiheit ist nicht grenzenlos! Es darf nicht alles gesagt werden, was man denkt! Und es ist auch besser, wenn nicht alles weiter gedacht wird, was manch einer oder eine sagt! Singen sollen wir, aber in Bezug auf die Freiheit und Würde, die Gott jedem Menschen schenkt!

Paulus und Silas machen auf ihrer Missionsreise deutlich, was christlich verstandene Freiheit bedeutet: Sie laufen trotz aller Möglichkeiten zur Freiheit nicht weg. Dem verzweifelten Gefängnisaufseher retten sie das Leben. Freiheit entbindet nicht von Verantwortung. Im Gegenteil: Wer frei ist, hat Verantwortung gerade für die, die in Ängsten und Sorgen gebunden sind.

Die Angst des Kerkermeisters ist groß: „Ich bin meiner Verantwortung nicht gerecht geworden! Ich fürchte mich vor dem, was meine Vorgesetzten und die Leute sagen.“ Die Sorge ist so groß, dass der Selbstmord besser scheint, als das was sonst noch kommen könnte. Gibt es eine Alternative zum Selbstmord? „Was muss ich tun, dass ich gerettet werde?“ fragt der Kerkermeister. Die Antwort ist banal einfach: „Glaube an den Herrn Jesus, so wirst Du und dein Haus selig!“

Geht das so einfach? Die Geschichte fasst in wenigen Worten zusammen, was wohl doch noch dazu gehört: Paulus Silas und die Familie des Kerkermeisters besprechen alles zu hause: Ohne das Wort Gottes, also die Bibel und die Predigt, geht es dann doch nicht. Paulus legt das Wort Gottes aus. Der Kerkermeister lässt sich und seine Familie taufen, als Zeichen für die Zugehörigkeit zu Gott. Dann feiern sie fröhlich zusammen mit Essen und Trinken Vergebung und Gastfreundschaft. Zum Glauben kommen ist wohl nur selten eine spontane Entscheidung. Glauben ist ein Prozess. Glauben ändert eine Lebenseinstellung. Das muss man meistens erst erlernen. Singen ist nicht alles, aber christliches Singen hilft, das Gemeinsame im Glauben zu feiern.

Vielleicht ist der Ärger, den der Kerkermeister von seinen Vorgesetzten bekommen wird durch sein Bekenntnis zum christlichen Glauben und zu christlichen Wertvorstellungen noch viel größer. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Die Freude des Kerkermeisters mit seiner ganzen Familie überwiegt:  dass er ein geliebtes Kind Gottes ist, dass der Glaube stärker ist, als alle Befürchtungen:  das trägt. 

So möchte ich auch singen können! Darum also heute: Kantate! Singt!
Amen!

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