Lösende Worte Mk.1,32-39

Jakob kam aus Russland. Er war weit über 80. In seinem Leben ist er hin und her geschoben worden. Von Stalin, von den deutschen Besatzungstruppen. Er war einer von denen, denen der Krieg und der Kommunismus die Jugend und eigene Lebenspläne genommen hatte. Mit seiner Frau und seinen Kindern kam er dann nach dem Fall des eisernen Vorhangs nach Deutschland in unsere Gemeinde. Sein Deutsch war schwer zu verstehen, sein Gang am Stock deutlich von der Härte des Lebens gezeichnet. Er kam immer mit seiner Frau in die Kirche, manchmal auch mit der Tochter oder der Enkelin. Die Familie war sehr fromm.
Darum war ich überrascht, als Jakob mich bat, ihn zu taufen. Er erzählte mir seine Lebensgeschichte. Nie konnte er die Taufe bekommen. Immer wieder wurden er und die Familie vertrieben. Jetzt hatten sie endlich ein Haus, ein schönes Haus und der Familie ging es finanziell gut. Aber eines fehlte: Jakob wollte sterben können als getauftes Kind Gottes.
Als ich ihn vor der Gemeinde getauft hatte, fing er an zu weinen. Ein Mann, der so vieles erlebt und überlebt hatte, der nun aufatmen konnte, hatte das ganze Gesicht voller Tränen. Nach dem Segenswort seiner späten Taufe löste sich die ganze Spannung. Nach über 80 Jahren war es, als fiele ihm eine Last vom Herzen.

Letzten Mittwoch haben wir uns über den heutigen Bibeltext unterhalten. Und Karin erzählte von ihrer Hospizarbeit, der Begleitung von Sterbenden. Sie sagte: „ wir kennen in der Hospizarbeit soetwas und haben einen Begriff dafür: „das lösende Wort“. Das ist ein Wort , ein Satz , ein Gespräch, etwas was befreiend wirkt, was zur Sprache bringt, das noch geklärt werden muss, bevor jemand stirbt. 

Auch Jakob hatte so ein lösendes Wort erfahren, den Segenszuspruch in der Taufe. Immer wieder gibt es auch in anderen Situationen solche lösenden Worte:
Wenn nach einem Streit bei Partnern sich die Blicke wieder treffen und einer sagt: Ich liebe Dich!
Wenn wir ehrliches Lob bekommen, oder eine ehrliche Kritik, die einen weiterleben lässt.
Wenn ein Arzt sagt, dass er nichts garantieren kann, aber er alles versuchen wird und den Patienten nicht alleine lässt.
Lösende Worte haben Folgen. Es wird nicht alles gut, aber vieles kann heilen, was zuvor offen oder verletzt da lag. Es gibt nicht lösende Worte auf Rezept. Sie sind eher selten und darum um so kostbarer. Nicht jeder hat die Kraft oder das Geschick solche Worte zu finden und zu sprechen. Jesus hat offenbar diese Kraft und dieses Geschick. Davon erzählt der heutige Predigttext aus dem Anfang des Markusevangeliums.

Jesus lehrt am Sabbat in der Synagoge von Kapernaum am See Genezareth. Er lehrte mit Vollmacht und nicht wie die Schriftgelehrten, steht da. In der Synagoge ist ein Mensch, der von einem bösen Geist getrieben wurde. Wir erfahren nicht, wie wir uns diesen bösen Geist vorstellen müssen. Es spielt auch keine Rolle, denn der böse Geist wurde durch die Worte Jesu vertrieben. Lösende Worte. Und dann kümmert sich Jesus um die fiebernde Schwiegermutter von Petrus. Gesagt wird nichts. Jesu fasst sie bei der Hand und das Fieber ging weg. Jesus kennt nicht nur lösende Worte, er kennt auch erlösende Handlungen.

Kein Wunder, dass nun die Menschen zu Jesus kommen. Hören wir einmal hinein in diese Geschichte:

Mk. 1,32 - 39

Die ganze Stadt versammelt sich, alle Kranken und Besessenen werden zu Jesus gebracht, obwohl es schon dunkel ist und die Nacht hereingebrochen war. Ob das alles gläubige Menschen waren, wage ich zu bezweifeln. Und wer will schon definieren, wann ein Mensch gläubig ist? Aber die Sehnsucht nach lösenden Worten und erlösenden Taten, nach einem der nicht nur redet, sondern Vollmacht hat, dessen Worte Folgen haben, nach einer Religion, in der der Glaube nicht nur fromme Einbildung ist, sondern etwas bewirkt - diese Sehnsucht war groß, war und ist bei allen Menschen, Gesunden und Kranken, Männern und Frauen offenbar sehr groß.
Jesus half vielen Kranken, trieb viele böse Geister aus. In der Gegenwart Jesu hatte das Böse keine Macht zur Sprache zu kommen.

Aber es wurden offenbar nicht alle in dieser Nacht  von ihren Lasten erlöst und befreit. Viele sind eben nicht alle. Es gab und gibt weiterhin noch viel zu tun. Das gilt bis heute. Es gibt noch viel zu tun. - Doch inmitten dieses Getümmels aus Sehnsucht und Wunderglauben macht sich Jesus aus dem Staub. An einen einsamen Ort: Um zu beten.

Simon und andere Jünger suchen ihn, finden ihn. Sie verstehen nicht, dass Jesus sich zurückzieht, wo doch so viele noch auf seine lösenden Worte und Taten warten und wo doch das Projekt Jesus gerade sehr erfolgreich verläuft.

Eine Auszeit für Jesus. Eine Zeit ohne Reden und ohne Handeln. Ein nachgeholter Sabbath. Jesus hält dem Druck der Öffentlichkeit stand. Wer viel gibt, der muss auch neue Energie tanken können. Kein Auto kann fahren,ohne dass es einmal zur Tankstelle muss, habe ich vielen ausgebrannten Menschen schon gesagt. Und weiß doch, dass es mir selbst nicht gelingt einen wirklich freien Tag in der Woche zu schaffen. Da ist es tröstlich und befreiend, dass sogar Jesus sich eine Auszeit nimmt - egal was die Leute sagen oder fordern - dass er den sucht, der ihm die Kraft gibt, Worte zu finden, die heilen, den Mut, bösen Geistern zu widerstehen. Wenn Tausende um einen herum stehen fällt es schwer, neue Kraft zu tanken. Wenn man rund um die Uhr und jeden Tag in Versuchung gerät, einzukaufen, weil es keinen Ruhetag mehr gibt, wenn man kaum noch ein Hotel oder ein Restaurant ohne Animation finden kann, dann kann man ja gar nicht zu sich selbst kommen. Dann bestimmen andere über meine Zeit, andere sagen mir, was ich jetzt zu tun oder zu hören habe. Wir hecheln von Event zu Event, jeder Freizeitpark muss noch größer und jede Olympiade noch spektakulärer werden. Manchmal ist da ein so unruhiger Geist, der von uns Menschen Besitz ergreift, sodass wir ständig tun und nicht ruhn, dass wir ständig neue Anreize brauchen anstatt einmal wirklich zur Ruhe kommen. Heilend und erlösend ist das jedenfalls nicht. Es gibt sie die einsamen Orte, an denen wir aufatmen können, wo wir uns Gott näher fühlen, wo wir die Stille eines Berggipfels hören können, oder der Macht des Meeres lauschen dürfen. Aber diese Orte werden seltener. erst Recht da, wo viele Menschen Erholung suchen. Und manchmal müssen solche Orte sogar gesetzlich als Naturpark vor den Menschen geschützt werden.

Wie gut, dass es da Kirchen gibt, Gottesdienste, eine Auszeit, wo es anders zugeht als sonst. Die Kirchen mögen bitte schön keine einsamen Orte sein.Ich freue mich über eine volle Kirche und Euren kräftigen Gesang. Das trägt und das macht Freude. Nicht alle Menschen kommen, aber viele erzählen, dass es ihnen gut tut. Im Gottesdienst hören wir manchmal lösende Worte. Wir singen manchmal befreiende Lieder, erfahren manchmal Nähe, die gut tut und lassen den in unser Herz, der unserem Leben Ziel und Richtung gibt.

Jesus bleibt nicht entfernt von den Menschen, auch wenn uns das manchmal so vorkommt. Er ist dann anderswo, in den nächsten Städten und Orten, wo sein Wort zu hören ist und wo böse Geister keine Chance mehr haben. So erzählt das Markusevangelium. Und dann denke ich, was uns allen in der Taufe einmal von Jesus gesagt worden ist: Siehe ich bin bei Euch, alle Tage bis an das Ende der Welt. 


Und dann denke ich an Jakob, für den das allein ein erlösendes und in jedem Fall wohltuendes Wort war. Amen!

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