Erntedank Jesaja 58,7-12

Liebe Gemeinde
Patrick war so 35 etwa, als ich ihn das erste Mal traf. Er lebt alleine in einem großen schicken Haus. Vor dem Haus ist ein Hof und um den Hof stehen große Scheunen. In der einen zeigte mir Patrick einen riesigen Berg voller Getreide. Tonnen von Weizenkörnern lagen da. Daneben drei Mähdrescher, so groß, dass man sich fürchten musste. Patrick macht ausschließlich in Getreide, wie man da sagt. Er ist ein erfolgreicher Landwirt.
Johann hat auch einen großen Hof. Er betreibt zusammen mit seiner Frau Milchwirtschaft. Er hat Hunderte von Kühen. Sie werden in eine automatische Melkanlage geführt. Jede Kuh hat einen Chip um den Hals. Auf diesem Chip sind die Daten der Kuh gespeichert. Der Chip steuert die Menge Futter, die die Kuh haben muss, um effektiv Milch zu produzieren. Nicht zu viel, dann wird es zu teuer. Nicht zu wenig, damit die Quote stimmt.
Patrick und Johann zeigen mir, wie moderne Landwirtschaft funktioniert, wenn sie überleben will. Es geht um Technik und es geht um Effektivität. Landwirtschaft ist Massenproduktion. Die Landwirte müssen sich behaupten inmitten von weltweiter Konkurrenz und Bestimmungen der EU. Landwirte leben von dem, was die Großbetriebe und Genossenschaften an aktuellen Marktpreisen zahlen. Mit Bauernidylle hat das nichts zu tun.
Erntedank verbinde ich dagegen mit Idylle, mit einer Vielfalt von Früchten, Getreide und Blumen vor dem Altar. Es ist ein Fest, bei dem einem das Wasser im Munde quillt, ein Fest für die Augen. Da gab es eine kunstvolle Erntekrone oder einen Ernteteppich aus Nüssen und Blumen. In der Gemeinde haben wir Erntedank immer als Familiengottesdienst gefeiert. Das Lied „wir pflügen und wir streuen“ ist für mich zu Erntedank Pflicht: „Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn, drum dankt ihm Dank und hofft auf ihn!“ – Nur: dieses traditionelle Fest hat mit der modernen Produktion und weltweiten Vermarktung von Lebensmitteln wenig zu tun. Ja, wir können danken für alles was wächst, was uns zum Leben dient, für das, was über das täglich Brot hinausgeht. Andererseits kann man schon skeptisch sein, wie Lebensmittel hergestellt und vertrieben werden.
Weil es in unserem Dorf keinen Bäcker gab, habe ich meine Brötchen aus dem Backautomaten vom nahen Aldi  gekauft. Die schmeckten gar nicht so schlecht. Ein Bäcker sagte mir allerdings: „Wenn Sie wüssten, was da drin ist, würden Sie kein Brot beim Aldi kaufen!“
Vielleicht ist es ganz gut, wenn man nicht alles weiß: Wenn man Gedanken an Chemie oder Gentechnik, an Produktionsweisen und schreiender Ungerechtigkeit bei der Verteilung von Lebensmitteln und Löhnen verdrängt. Erntedank bleibt dann das romantisierende Familienfest: bunt, hell und schön. Ungestört von dunklen Gedanken.
Der diesjährige Predigttext aus dem letzten Teil des Jesajabuches versucht dagegen fromme Feste und den Blick für die Realität zusammenzubringen:
Jes.58,7-12
Gott danken ohne Gedanken an Gerechtigkeit und Wahrheit zu haben, geht demnach nicht. Aber bei Jesaja wird das Herz nicht schwer durch moralische Appelle. „Wenn Du Dich um Hungrige und Elende kümmerst, dann wird Dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte.“ Das, was so schwer zusammenzupassen scheint, bekommt einen heilenden Zusammenhang. Du musst nicht die Gerechtigkeit für diese Welt alleine herstellen. Denn so schreibt Jesaja: „Deine Gerechtigkeit wird vor Dir hergehen. Und was Dir dunkel vorkommt, wird sein wie ein heller Mittag.“
Nein, es geht in diesem Bibelwort nicht wirklich um unser Erntedankfest. Es geht um das Teilen und Verteilen. Es geht darum, den Glauben mit dem Blick für die Realität in Einklang zu bringen. Damals waren es die krassen Gegensätze zwischen Habenden und Bedürftigen. Darum geht es immer noch. Aber unsere Realtität schließt eben auch das Bewusstsein ein, wie produziert wird und wie konsumiert wird. Umweltschutz und Wirtschaftlichkeit dürften keine Gegensätze sein. Es geht Jesaja darum, wie wir ernten und wie wir mit der Ernte umgehen. Es geht eigentlich darum, wie wirkliche Reife entsteht. Nicht nur von Getreide und Obst oder Blumen, sondern auch um die Reife von Menschen. Reife Menschen verdrängen die Wirklichkeit nicht. Reife Menschen können barmherzig sein. Reife Menschen können dankbar sein. Und reife Menschen haben einen gesunden Glauben an Gott.

Wenn wir Gottes bunte Welt feiern und wenn wir uns zur Barmherzigkeit anleiten lassen, dann ist Erntedank mehr als ein geschmückter Altar, dann werden wir heißen: „Die, die Lücken zumauern, die Wege ausbessern, dass Menschen wohnen können und gut miteinander leben!“ (Jes.58,12) Amen.

Kommentare

  1. aktuell und zum nachdenken angeregt, schon deshalb prima die predigt noch mal auf sich wirken lassen.

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