Zur Freiheit hat uns Christus berufen Predigt am Reformationstag 2021: Gal. 5,1-6

 1 Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen! 2 Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen. 3 Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist. 4 Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, aus der Gnade seid ihr herausgefallen. 5 Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die wir hoffen. 6 Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.


Liebe Gemeinde,

Freie Wahlen, Meinungsfreiheit, Recht auf freie Religionsausübung: Alles Begriffe unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung, die mühselig errungen worden ist. Wehe uns, wenn wir denen Raum geben, die die Freiheit missbrauchen und die Verfassung in Frage stellen. Freiheit ist das Stichwort, das uns sogar schon Paulus mit dem heutigen Predigttext vor knapp 2000 Jahren nahe zu bringen versucht. „Zur Freiheit hat uns Christus berufen!“ Freiheit ist die große Entdeckung, die Martin Luther in der Bibel mit diesem Text gemacht hat und zu einer Reformation einer Kirche angetrieben hat. Noch vor 500 Jahren gab es es viel Zwang und wenig Freiheiten. Mit der Reformation brach die Neuzeit an.

Freiheit war auch das Gefühl, das ich hatte, als der harte Lockdown auf den Kanaren letztes Jahr nach 14 nervigen Wochen der totalen Ausgangssperre gelockert wurde. Zumindest für ein paar Stunden durften wir wieder an die frische Luft, nach Altersgruppen gestaffelt und im Umkreis von einem Kilometer um das Haus. – Noch mehr Freiheit hatten wir, als wir sogar zu zweit wieder überall wandern durften. Gleich an diesem ersten Tag war die Freiheit aber auch wieder vorbei, weil es Waldbrandgefahr gab und die Ranger uns wieder nach Hause schickten.

Wenn ich eines in dieser Zeit gelernt habe, dann dieses: Freiheit ist ein kostbares Gut. Freiheit ist nicht selbstverständlich. Und: Freiheit findet da Grenzen, wo die Freiheit eines anderen bedroht ist. Grenzenlose Freiheit wird zur Anarchie und führt ins Chaos.

Davon erzählt das Alte Testament schon ganz am Anfang:

Im Paradies dürfen Adam und Eva eigentlich alles, nur vom Baum der Erkenntnis dürfen sie nicht essen. Und was macht schon der erste  Mensch? Er will alles! Grenzenlose Freiheit führte aus dem Paradies und nicht hinein. Gott hatte gewarnt, aber die Menschen hören nicht. Mehr noch: Sie übernehmen dafür keine Verantwortung: Die Schlange war´s! sagen Adam und Eva! Eigenes Schuldeingeständnis? Fehlanzeige! Es ist, als sei der Mensch unfähig mit der gegebenen Freiheit verantwortlich umzugehen.

Nur deswegen sind Gesetze, Gebote und Verbote entstanden: Du sollst nicht töten, keine falsch Aussagen verbreiten, Du sollst nicht stehlen und nicht das Eigentum anderer antasten. Und sogar das muss man dem Menschen sagen: Es gibt nur einen Gott. Du bist Geschöpf, spiel Dich nicht selbst zum Gott auf! Die ganzen 10 Gebote sind keine Einschränkungen der Freiheit, sondern sie ermöglichen erst Freiheit.

Jüdische Männer tragen eine Kippa auf dem Kopf. Ein Zeichen, dass es immer noch etwas über dem Menschen im Himmel und auf Erden gibt und sich keiner zum Herrscher über andere machen darf. Es gibt Speisevorschriften, die deutlich machen: Vieles ist möglich, aber nicht alles dient dem Guten. Und es gibt die Beschneidung, um zumindest die jüdischen Männer ihr Leben lang an ihre besondere Verantwortung zu erinnern, die sie in Gottes Namen für diese Erde und das Miteinander bekommen haben. Die Gebote machen nicht gerecht, aber sie sind hilfreiche Wegweiser für das Leben in und mit Gott.

Neben den 10 Geboten kennt das Judentum noch 613 Ver- und Gebote. Meine Konfirmanden hatten schon Schwierig-keiten die 10 Gebote auswendig zu lernen. Aber sie sind eben hilfreiche Wegweiser, Orientierungshilfen im Meer der Möglichkeiten.

Wie chaotisch würde es auf den Straßen zugehen, wenn es keine Verkehrsregeln gäbe? Mal ehrlich: wer von Euch hat einen Führerschein und kennt alle aktuellen 53 Paragraphen der deutschen Straßenverkehrsordnung? Trotzdem darf man ein Auto lenken. Paragraf eins der STVo verpflichtet zu rücksichtsvoller und angemessener Fahrweise. Das müsste doch eigentlich für jeden reichen, oder? Aber so ist es eben nicht, weil wir immer meinen, selbst die besten Regeln aufstellen zu können. Weil wir mit der geschenkten Freiheit so selten richtig und verantwortlich umgehen.

 

Martin Luther hat immer versucht ein guter Christ zu sein und doch gemerkt: „ich kriege das nie hin“. Er hat alle Regeln seiner Zeit befolgt, gebeichtet, die Gebete durchgeführt, Ablass gekauft usw. Doch nie hatte er das Gefühl gehabt, Gott irgendwie zu genügen. Und dann hat er Paulus gelesen: Zur Freiheit hat uns Christus berufen. Nur der Glaube an Jesus Christus und keine Leistungen machen uns zu gerechten Menschen.

Heute am 31.Oktober vor 504 Jahren war das ein Weckruf in einer angespannten unfreien Zeit. Dass man als Mensch nicht mehr tun und lassen muss, was einem Kirche und Adel vorgeben, wurde zu einem geistigen und geistlichen Tsunami, der alles in Frage stellte, was vorher noch fest und unantastbar war. Schon zwei Jahre später stellte Martin Luther fest, dass Freiheit ohne Verantwortung Chaos wird. Er schreibt zu unserem Predigttext: „Ich muss es einhämmern bis zum Überdruß: was Freiheit ist und was Knechtschaft!...So hat sich die Menschenfabelei vom freien Willen eingeschlichen… als sei es in Christus erlaubt, alles zu tun, was man will.“

Und daran muss ich denken, wenn heute von der Freiheit geredet wird. Nach den Einschränkungen durch die Coronamaßnahmen ist die Sehnsucht nach Freiheit, nach Aufhebung aller Maßnahmen, riesig. Bei mir auch. Ich wünschte, wir könnten wieder unbekümmert uns in den Arm nehmen, Veranstaltungen ohne Fragezeichen durchführen und Masken in den Karneval von Venedig verbannen. Doch offenbar braucht es Regeln, damit uns die errungene beschränkte Freiheit nicht verlustig geht. Wenn jeder und jede jetzt macht, was man gerade will, wenn man um der vergötterten Freiheit sich lieber an fragwürdige Aussagen hält und dann ein falsches Zeugnis, also „fake news“ gegen alle wissenschaftliche Erkenntnis veröffentlicht, wenn man die eigene Freiheit so hoch hängt, dass diese Pandemie nicht in den Griff zu bekommen ist und immer mehr Menschen sterben oder leiden, dann wird es gefährlich. Das ist nicht die Freiheit zu der uns Christus berufen hat. Die Gebote der Bibel sind mit Christus nicht aufgehoben. Es gilt immer noch, das Gott der Herr ist und keine Einzelperson und es gilt immer noch, dass wir nicht töten sollen und keine dreisten Lügen verbreiten sollen. Sie sind immer noch hilfreich, wenn wir Menschen nicht in der Lage sind, die geschenkte Freiheit verantwortlich zu gebrauchen. Wir leben Freiheit verant-wortlich, wenn wir den letzten Satz des Paulus ernst nehmen:   In Christus gilt nur der Glaube, der durch die Liebe tätig ist. Was das in den Zeichen einer Seuche bedeutet, hat Martin Luther selber einmal gesagt, nämlich während der Pest 1527:

"Wenn Gott tödliche Seuchen schickt, will ich Gott bitten, gnädig zu sein und der Seuche zu wehren. Dann will ich das Haus räuchern und lüften, Arznei geben und nehmen, Orte meiden, wo man mich nicht braucht, damit ich nicht andere vergifte und anstecke und ihnen durch meine Nachlässigkeit eine Ursache zum Tode werde. Wenn mein Nächster mich aber braucht, so will ich weder Ort noch Person meiden, sondern frei zu ihm gehen und helfen. Siehe, das ist ein gottesfürchtiger Glaube, der nicht tollkühn und dumm und dreist ist und Gott nicht versucht."

 

Freiheit ist das Stichwort. Freiheit verantwortlich zu gebrauchen ist das Gebot, was uns mit Christus aufgetragen ist. Der Geist Gottes, der Liebe, ist die Kraft, Freiheit in der Nächstenliebe zu leben. Egoismus hat da keinen Platz! Amen!

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