Nach Trost war mir sehr bange! Predigt über Jes.38,9-20 am 10.Okt.21

 Liebe Gemeinde,

Ich habe hier eine Garnrolle. Ich stelle mir vor, auf diesem aufgerollten Faden liegt mein Leben. Ich bin 60 Jahre alt. Das ist wie, wenn 60 cm von dieser Garnrolle schon abgespult wären. Wie viele Zentimeter dieses Fadens werden mir noch geschenkt? 10 oder 20?  Noch mehr oder eher weniger?

 

Vor 11 Jahren hatte ich eine schwere Fußoperation. Ich hatte anschließend solche Schmerzen, dass die Krankenschwester in der Nachtschicht zu mir sagte:         „Herr Wache, sie müssen wieder auf die Intensiv. Sie sterben mir hier weg.“ Auf der Intensiv bekam ich mehr oder weniger im Viertelstunderhythmus Morphium. Es hat aber nicht viel genützt. Ich habe geheult und ich habe gebetet. In der Mitte des Lebens ist man doch noch nicht dran mit Sterben! Am nächsten Morgen kam der Chefarzt zu mir und meinte: „Herr Wache, sie haben Glück gehabt. Bei der Menge an Schmerzmitteln hing ihr Leben wirklich an einem dünnen Faden!“ Offensichtlich hatte der liebe Gott ein Einsehen mit mir und es war noch nicht Zeit den seidenen Faden abzuschneiden. Vielleicht hatte er auch meine Tränen gesehen oder meine Gebete erhört. Die Erinnerung an diese Schreckensnacht bleibt. Der Dank, dass es wieder halbwegs gut geworden ist, überwiegt. Gott sei Dank!

 

2700 Jahre zuvor hatte ein israelischer König eine ähnliche Erfahrung gemacht. Das war Hiskia. Er hatte Jerusalem und sein ganzes Land gut regiert und war dabei sehr gottesfürchtig. Die Bibel bescheinigt selten, dass ein König wirklich gut war. Ausgerechnet Hiskia wird in der Mitte seines Lebens todkrank. Jesaja besucht ihn und verkündet: „So spricht der Herr: Bestelle Dein Haus, denn du wirst sterben und nicht am Leben bleiben!“ Hiskia macht das, was Menschen oft tun, wenn der Arzt nach einer schlimmen Diagnose sagen muss: Regel Dein Leben. Du hast nicht mehr viel Zeit!

Hiskia weint. Hiskia betet. Jesaja kommt wieder zu Hiskia und verkündet nun: „Gott hat dein Gebet erhört und deine Tränen gesehen. So spricht Gott: Ich will Deinen Tagen noch 15 Jahre dazugeben.“ Und dann dichtet und singt Hiskia dieses Lied der Erinnerung und des Dankes das heute Predigttext ist:

 

Jes.38,9-20

(381Zu der Zeit wurde Hiskia todkrank. Und der Prophet Jesaja, der Sohn des Amoz, kam zu ihm und sprach zu ihm: So spricht der HERR: Bestelle dein Haus, denn du wirst sterben und nicht am Leben bleiben. 2

Da wandte Hiskia sein Angesicht zur Wand und betete zum HERRN  

3und sprach: Gedenke doch, HERR, wie ich vor dir in Treue und ungeteilten Herzens gewandelt bin und habe getan, was dir gefallen hat. Und Hiskia weinte sehr.  

4Da geschah das Wort des HERRN zu Jesaja:  

5Geh hin und sage Hiskia: So spricht der HERR, der Gott deines Vaters David: Ich habe dein Gebet gehört und deine Tränen gesehen. Siehe, ich will deinen Tagen noch fünfzehn Jahre zulegen  

6und will dich samt dieser Stadt erretten aus der Hand des Königs von Assyrien und will diese Stadt beschirmen.  

7Und dies sei dir das Zeichen von dem HERRN, dass der HERR tun wird, was er zugesagt hat:  

8Siehe, ich will den Schatten an der Sonnenuhr des Ahas zehn Striche zurückziehen, über die er gelaufen ist. Und die Sonne lief zehn Striche zurück an der Sonnenuhr, über die sie gelaufen war.)

9Dies ist das Lied Hiskias, des Königs von Juda, als er krank gewesen und von seiner Krankheit gesund geworden war:

10Ich sprach: Nun muss ich zu des Totenreiches Pforten fahren in der Mitte meines Lebens,

da ich doch gedachte, noch länger zu leben.

11Ich sprach: Nun werde ich den HERRN nicht mehr schauen

im Lande der Lebendigen,

nun werde ich die Menschen nicht mehr sehen

mit denen, die auf der Welt sind.

12Meine Hütte ist abgebrochen

und über mir weggenommen wie eines Hirten Zelt.

Zu Ende gewebt hab ich mein Leben wie ein Weber;

er schneidet mich ab vom Faden.

Tag und Nacht gibst du mich preis;

13bis zum Morgen schreie ich um Hilfe;

aber er zerbricht mir alle meine Knochen wie ein Löwe;

Tag und Nacht gibst du mich preis.

14Ich zwitschere wie eine Schwalbe

und gurre wie eine Taube.

Meine Augen sehen verlangend nach oben:

Herr, ich leide Not, tritt für mich ein!

15Was soll ich reden und was ihm sagen?

Er hat's getan!

Entflohen ist all mein Schlaf

bei solcher Betrübnis meiner Seele.

16Herr, lass mich wieder genesen

und leben!

17Siehe, um Trost war mir sehr bange.

Du aber hast dich meiner Seele herzlich angenommen,

dass sie nicht verdürbe;

denn du wirfst alle meine Sünden hinter dich zurück.

18Denn die Toten loben dich nicht,

und der Tod rühmt dich nicht,

und die in die Grube fahren,

warten nicht auf deine Treue;

19sondern allein, die da leben, loben dich so wie ich heute.

Der Vater macht den Kindern deine Treue kund.

20Der HERR hat mir geholfen,

darum wollen wir singen und spielen,

solange wir leben,

im Hause des HERRN!

 

Hiskia hatte sich wie ein Weber gefühlt, der seinen Lebensteppich webt und dann kommt Gott und schneidet den Faden einfach ab, egal ob der Teppich fertig ist oder noch nicht. 

 

Wir kennen alle Menschen, Lebensgeschichten, in denen der seidene Faden, an dem das Leben manchmal hängt, abgeschnitten wurde oder gerissen ist. Es ist eigentlich fast immer zufrüh! Und nicht immer sagt einer: Du hast Glück gehabt! Oder: Der liebe Gott wollte Dich doch noch nicht im Himmel haben. Heute soll einmal nicht von den ganz tragischen Fällen die Rede sein, sondern von denen, in denen das Schicksal sich gewendet hat oder besser– weil ein sich wendendes Schicksal ein Widerspruch in sich wäre : Geschichten, in denen Gott ein Einsehen hatte, in denen Tränen und Gebete nicht vergeblich waren. Die Geschichte vom König Hiskia ist ja auch deshalb aufgeschrieben worden, damit Menschen in schweren Situationen nicht den Mut verlieren und den Glauben an Gottes Hilfe nicht aufgeben:

Die Toten loben dich nicht und die in die Grube fahren, warten nicht auf deine Treue, sondern die da leben, loben dich, so wie ich heute.

Hiskias Geschichte ist Lebensunterricht:

Bei der Geburt hat uns keiner gesagt, dass das Leben immer leicht und problemlos sein wird. Unser Leben ist so vielen Risiken ausgesetzt: Ein Unfall, eine üble Krankheit, eine Pandemie oder eine Naturkatastrophe. Das Leben ist manchmal wirklich wie ein dünner Faden. Wir können die Sorge, dass es plötzlich vorbei sein könnte oft prima überspielen, indem wir uns mit Amüsement und dem Glauben an ständigen Fortschritt betäuben oder den fatalen Irrtum einatmen, dass schwere Krankheiten oder ein zu früher Tod immer nur die anderen treffen wird. Die Geschichte von Hiskia zeigt, dass der Faden schon in der besten Lebensphase abgeschnitten werden kann. Im Leben also sollen wir Gott danken für das, was uns geschenkt ist und ihn loben. Und wir sollen uns an Gott erinnern und zu ihm beten, wenn es uns einmal dreckig geht. Wir dürfen gewiss sein, dass Gott kein Gebet überhört und dass es Gott nicht egal ist, wenn wir voll Sorge sind, Angst haben oder weinen. Hiskias Geschichte ist eine Mutmachgeschichte. Nicht immer wird es gut werden. Damit dürfen wir nicht rechnen. Aber weinen und beten und glauben, dass Gott unsere Tränen nicht egal sind und darauf vertrauen, dass Gott unser Gebet hört, auch das Stammeln, auch wenn uns die Worte fehlen.

Hiskia gibt Lebensunterricht. Er zeigt aus eigener Erfahrung, wie man die Ernsthaftigkeit des Lebens akzeptieren und trotzdem zuversichtlich leben kann mit Singen und Spielen. Hiskia singt und spielt nicht alleine. Er lädt andere ein, sich über seine und andere Heilungsgeschichten zu freuen. Vom „ich“ zum „wir“: Der Herr hat mir geholfen, darum wollen wir singen und spielen, solange wir leben im Hause des Herrn! Zur Heilung trägt auch bei, wenn wir füreinander ein offenes Ohr und ein sehendes Auge und ein fühlendes Herz haben; wenn wir miteinander Traurigkeit tragen und wiedergefundenes Leben zusammen feiern. 

Amen!

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