Predigt Hebräer 11,1-2; 12,1-3 Prädikantin Verena Wache, Las Américas/Teneriffa

 Predigt Hebräer 11,1-2; 12,1-3

Prädikantin Verena Wache, Las Américas/Teneriffa

Liebe Gemeinde,

unser Leben ist ein einziger Lauf. Mal läuft man schneller, mal geht es langsam und manchmal kommt der Lauf auch zum Stillstand. Mal gibt es Kurven, Sackgassen, Steilstücke und manchmal eben auch gerade Strecken, auf denen wir das Gefühl haben, mehr zu schweben als zu laufen. Mal laufen wir enthusiastisch, mal schleppen wir uns müde dahin. Mal ist es ein Kurzstreckenlauf, mal ein Marathon. Auf jeden Fall sportlich. Diese Disziplin  heißt: “Lebenslauf”. 

Lebensläufe gibt es nicht nur für Menschen, sondern auch für Gemeinden. An eine Gemeinde, die gerade langsamer läuft, die vielleicht sogar mutlos wird und glaubt, das Ziel nicht mehr erreichen zu können, bekommt Post. Da schreibt jemand einen Brief, von dem man nicht weiß, wer es ist. Und der Empfänger ist ebenfalls unbekannt. Trotzdem hat der Brief es bis in unsere Bibel geschafft und ist der Predigttext für den heutigen Sonntag: der Brief an die Hebräer.

Der Absender schreibt:
Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht. Durch diesen Glauben haben die Vorfahren Gottes Zeugnis empfangen. 

Darum auch wir: Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns ständig umstrickt, und lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist, und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes. Gedenkt an den, der so viel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, damit ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst.

Ja, es wird sportlich. „Lasst uns laufen … in dem Kampf, der uns bestimmt ist…“ Alle sind gemeint, nicht nur die besonders Sportlichen unter uns. Diejenigen, die dreimal in der Woche wandern, diejenigen, die täglich am Strand lang joggen oder Langstrecken schwimmen. Die sowieso trainiert sind, die auch die steilsten Passagen am Berg noch munter plaudern hinaufgehen. 

Heute nehmen wir alle mit. Auch dich und dich, die ihr gerade so gemütlich auf den Stühlen sitzt! Lauft, es geht um einen wichtigen Kampf! Den wollt ihr doch schließlich gewinnen oder? Vielleicht denkt ihr jetzt: Och nöö, ich möchte doch lieber sitzen bleiben. Was will die eigentlich von uns? Wir sind doch nicht im Sportverein!

Da habt ihr Recht. Das Bild des sportlichen Wettkampfs wird in dem Brief benutzt als Vorstellung für ein Leben als Christ. Ein langer Lauf, der Christen viel abverlangt. Von den Sportlern können wir dabei lernen, nicht aufzugeben, ans Ziel kommen zu wollen und natürlich auch dabei gewinnen. Das erfordert Beharrlichkeit nach dem Motto: „Sich selbst bekriegen ist der schwerste Krieg; sich selbst besiegen ist der schönste Sieg.“ 

Schaut man den Hebräerbrief an, dann hat der Schreiber eine Gemeinde am Ende des 1. Jahrhunderts vor Augen. Die besteht aus Menschen, die an Jesus Christus glauben und die die Bibel der Juden, das Alte Testament, kennen. Wir würden sie heute „Judenchristen“ nennen, aber es sind auch viele Heidenchristen hinzugekommen. 

Sie haben die ersten Christenverfolgungen erlebt, denn sie leben nicht – wie der Name des Briefes vermuten ließe – in Israel, sondern wahrscheinlich in Italien, in Rom. Und sie leben zwei Generationen nach Jesu Tod und Auferstehung. Keiner ist unter ihnen, der Jesus noch selbst gekannt hat. Man erzählt die Geschichten von Jesus, man kennt die Geschichten des Alten Testaments, die von der jüdischen Gemeinde übernommen wurde. 

Und wie jede Gemeinde trifft man sich zum Gottesdienst und anderen Begegnungen. Diese Gemeinde hat sich längst eingerichtet in der Welt. Die Hoffnung auf die schnelle Wiederkehr Jesu schwindet von Jahr zu Jahr. Im Laufe der Zeit sind sie müde und matt geworden,  haben nicht mehr das Feuer der ersten Christen. Manche verlieren den Glauben, kommen nicht mehr zu den Zusammenkünften in der Gemeinde. Sie müssen neu gewonnen werden, brauchen Motivation für den Kampf des Glaubens. Oder eine Mischung aus Ermutigung und Ermahnung, so wie es der Hebräerbrief versucht. 

Das finde ich spannend, denn heute ergeht es uns doch ähnlich. Wo ist unser Feuer, wo brennen wir für unseren Glauben? Warum kann die Euphorie von Kirchentagen nicht mitgenommen werden in den Alltag? All die spannenden Bibelarbeiten, die mitreißende Musik, das fröhliche Zusammensein von Jung und Alt, von Christen aus aller Welt? 

Oft wirft man der „Kirche“ doch vor, nicht lebendig genug zu sein. In manchen Gemeinden ist es ein Strukturproblem, denn wenn man von Pfarrerinnen und Pfarrern erwartet, dass sie sich mit den Finanzen, den Baumaßnahmen, dem Datenschutz und jeder Menge Bürokratie in und um die Gemeinde beschäftigen, dann bleibt für so manche Kernaufgaben wenig Platz. 

Seit über einem Jahr kommen nun auch noch die Hygienepläne wegen Corona hinzu. Auch ein Tag für die Amtsträger hat nur 24 Stunden. Wir sorgen uns um die Zukunft unserer Gemeinde, aber auch der Kirche schlechthin. Das macht auch uns manchmal müde. 

Damit geht es uns ähnlich wie der bröckelnden Gemeinde damals. Immer mehr wenden sich heutzutage vom christlichen Glauben ab, halten nicht mehr durch, finden es nicht mehr reizvoll, Teil der Kirche und der Glaubensfamilie zu sein. Prognosen deuten darauf hin, dass die beiden großen Kirchen in Deutschland sich in den nächsten 30 Jahren halbieren werden. Wir werden dann nur noch die Hälfte der Mitglieder, die Hälfte der Mitarbeitenden, die Hälfte der Finanzen und Gebäude haben. Und wir fragen uns: Was können wir tun, außer hilflos zuzusehen? 

Auch der Schreiber des Hebräerbriefes hat Angst, dass immer mehr auf der Strecke bleiben. Gibt es irgendwelche Tipps, die wir uns für heute abschauen können? Wie kann unser Glaubensleben aussehen? Wie schaffen wir es durchzuhalten? Wie gelingt es, dass wir gut und reibungslos laufen? Welcher Trainer kann uns ein paar Tricks verraten? 

In der Tat, es gibt Tipps, genau genommen drei. 

Der erste Tipp: Ablegen, was beschwert
„Lasst uns ablegen alles, was uns beschwert und die Sünde, die uns umstrickt.“ Damit haben wir im Gottesdienst Erfahrung. Wir kennen es aus der liturgischen Form. Am Anfang steht ein Gebet, die Besinnung, das klassische Sündenbekenntnis. Wenn die lutherische Liturgie nicht zum Tragen kommt, dann trifft dieses aber auf jeden Fall für das Abendmahl zu. 

Aber nicht nur im Gottesdienst. Auch wir evangelischen Christen dürfen zur Beichte gehen, wenn uns danach ist, was viele gar nicht wissen. Wir legen bei Gott alles ab, was uns beschäftigt, was uns beschwert, was uns am Leben und Glauben hindert. Wir bringen es vor Gott und bitten ihn um Erbarmen. Dann erfolgt der Gnadenzuspruch: Du darfst erleichtert weiterleben, unbeschwert sein, frei von Sünde. 

Das ist für mich ein ganz wichtiges Ritual und eine großartige Funktion des Glaubens: Vergebung, Versöhnung, Befreiung zu ermöglichen, immer wieder. Weil wir ablegen können, was uns zu schaffen macht. Jesus lädt uns doch ein: „Alle Sorge werft auf mich“.  Wenn wir das wirklich ernsthaft tun, welche Erleichterung, welche Gnade ist das! Mir tun die Menschen echt leid, die dies nicht glauben können; sie werden ihre Beschwernisse noch nie los, nein, sie stapeln sogar immer neue drauf. 

Der zweite Tipp: Geduldig sein
„Lasst uns laufen mit Geduld“
Von Sportlern können wir lernen: nicht von heute auf morgen schafft man es, erfolgreich zu sein. Stetes Training, oft jahrelang und ohne Pausen ist nötig. Manchmal macht es keinen Spaß, vor allem wenn die Erfolge ausbleiben. Aber ohne Geduld und Beharrlichkeit kommt man nicht weit.

Wenn der schnelle Erfolg ausbleibt, ist man frustriert. Da hat es der Junge nicht geschafft, die in Jugendmannschaft der Fußballmannschaft aufzusteigen – macht nichts, dann probiert er es mit Tennis. Wird eine Beziehung kritisch – macht nichts, andere Mütter haben auch schöne Töchter/Söhne. Das Studium ist zu schwierig – macht nichts, dann versucht man es eben mit Psychologie. Mama und Papa zahlen. 

Lange nicht in der Kirche gewesen? Es ist noch so langweilig wie früher. Das Gebet hat auch nicht geholfen. Macht nichts – trete ich eben aus der Kirche aus und habe damit das Geld für mein Fitness-Studio. 

Auch ein Läufer hat mal Phasen, wo er nicht mehr kann, fast zusammenbricht. Wenn er diese Phase nicht überwindet, kommt er nie ans Ziel. Durchhalten ist wichtig im Leben und im Glauben. Deswegen lasst uns laufen mit Geduld! Geduld: In diesem Wort steckt für mich Beharrlichkeit, Durchhaltevermögen, Beständigkeit. Seien wir geduldig oder versuchen wir es wenigstens. Wer kämpft, kann verlieren; wer nicht kämpft, hat schon verloren.

Der dritte Tipp: Schauen, wie die anderen es vor uns gemacht haben, besonders Jesus. Zu ihm aufsehen, von ihm lernen.
„Darum auch wir: Weil wir eine Wolke von Zeugen um uns haben, lasst uns … aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens.“

Die „Wolke von Zeugen“ – der Briefeschreiber nennt sie alle, von Abel, Noah, Abraham und den Propheten bis hin zu Jesus. Er legt ihnen deren Glaubenskraft ans Herz zur Ermutigung, nicht schlapp zu machen. 

Die „Wolke von Zeugen“ - wir alle leben mit ihr, mit den Vorbildern des Glaubens. Wer war mein Vorbild? Meine Oma, meine Mutter, mein Pfarrer, Dietrich Bonhoeffer, Nelson Mandela? Wer es auch immer war, dieser Mensch ist kostbar, weil er mein Durchhaltevermögen rausgekitzelt hat, mich geduldig machte, auch wenn ich auf dem Lebenslauf gestrauchelt bin. Weiter, immer weiter! Mit Gottes Hilfe kommen wir ans Ziel. Jesus wartet schon auf uns. Wenn das kein Zuspruch ist! 

Ich wünsche mir und euch einen guten Lauf und hoffe, alle kommen mit und alle kommen an! Dranbleiben! Es lohnt sich!

Amen.

 

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