GOTTESDIENST 14. FEBRUAR 2021

im Haus der Begegnung in Playa de las Américas
Prädikantin Verena Wache

Predigt Jesaja 58,1-9a

Falsches und rechtes Fasten

1 Rufe laut, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden! 2 Sie suchen mich täglich und wollen gerne meine Wege wissen, als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte. Sie fordern von mir Recht, sie wollen, dass Gott ihnen nahe sei. 3 »Warum fasten wir und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib und du willst's nicht wissen?« Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter. 4 Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein. Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll. 5 Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit oder seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der HERR Wohlgefallen hat? 6 Ist nicht das ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! 7 Heißt das nicht: Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! 8 Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. 9 Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich. 



Liebe Gemeinde,

wenn wir heute den Sonntag Estomihi feiern, dann haben wir ein Zwischenziel erreicht. Wir kommen von Weihnachten her über die Epiphaniastage, und der Countdown läuft über Aschermittwoch auf die Passionszeit zu mit dem Ziel Jerusalem. So wie es in dem Wochenspruch heißt: Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles erfüllt werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn. Ab nächsten Sonntag folgen wir Jesus dahin, wo am Ende Verrat, Folter und Tod warten. Das alles ist schwer zu verstehen und schwer zu verdauen. Sollte man nicht lieber all dies überspringen und gleich bei Ostern ankommen? In manchen Vorbereitungen der Kinderkirche und Kinderbibeltagen wurde das schon ernsthaft diskutiert. Es wäre schlimm genug, dass die Kinder immer den Gefolterten am Kreuz sehen müssen. 

Oder wollen wir doch lieber zurück in den Stall, der so friedlich erscheint? Sich lieber einreihen in die Schar der Hirten und Weisen und “o du fröhliche” singen?  Doch das Kirchenjahr lässt uns keine Wahl. Wir müssen mit, hinauf nach Jerusalem, um in tiefe Abgründe zu blicken. 

Wie gehen wir diesen Weg – lustlos, motiviert, gebeugt,
 in Sack und Asche, fern aller Lebensfreude? Oder so wie Wanderer, die wissen, dass sich oben angelangt ein sensationeller Ausblick auftun wird? 

An diesem Sonntag Estomihi wäre noch einmal Zeit, Luft zu holen. Spaß zu haben, die Narrenkappe aufzusetzen, ein paar Gläschen Wein zu trinken. Aber der Predigttext ist nicht wirklich erholsam oder gar lustig.

Jesaja schreibt im 58. Kapitel:

So spricht Gott zum Propheten:
Rufe getrost, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden!
Sie suchen mich täglich und begehren meine Wege zu wissen, als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte. Sie fordern von mir Recht, sie begehren, dass Gott sich nahe. „Warum fasten wir und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib und du willst es nicht wissen?“
Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter. Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein. Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll. Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit, wenn ein Mensch seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der HERR Wohlgefallen hat?

Das aber ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.

Jesaja erhält einen klaren Auftrag. In Gottes Namen soll er eine Ansage machen, klar, laut und deutlich, damit es alle hören und auch der letzte begreift: „So kann es nicht weitergehen!“ Schluss mit der Halbherzigkeit, der Selbstgerechtigkeit, der Heuchelei. Gott erträgt das nicht mehr. Menschen, die seinen Namen anrufen und ihm erklären, was sie alles Frommes getan haben. Gefastet, sich gar kasteit und zwar so, dass alle es mitbekommen und sehen, welch vorbildliche Gläubige sie doch sind. 

Im Judentum gibt es tatsächlich drei festgelegte Fastenzeiten: vor Jom Kippur, dem Versöhnungsfest mit Gott, dem höchsten jüdischen Feiertag, vor Purim, dem Gedenken daran, dass sich Ester beim König gegen die Ermordung der Juden durch Haman einsetzte und sie letztendlich verhinderte. Gefastet wird nach dem Motto: Faste nie länger als 25 Stunden am Stück, denn die Gesundheit geht vor. Gefastet wird auch vor dem Pessach-Fest: Sieben Tage lang wird auf gesäuerte Speisen verzichtet. 

Fasten gehört in den meisten Religionen – nicht nur in der jüdischen – zum geistlichen Leben. In der evangelischen Kirche kennen wir die Fastenaktion „7 Wochen ohne“. Angefangen hatte es mit dem Verzicht auf Zigaretten, Alkohol, Süßigkeiten, dem Verzicht auf Ausreden und die diesjährige hat das Motto „7 Wochen ohne Blockaden“ – was auch immer damit gemeint ist. Manche verzichten in der Passionszeit auf Fleisch – außer sonntags. 

Fasten hat in der Gegenwart Hochkonjunktur. Die Werbung für Produkte wie Almased und Du darfst kennt jeder. Auch bei Umweltschützern steht fasten auf der Agenda. Da wird der Verzicht auf Autofahren und Flugreisen, auf Plastik und alle Nicht-Öko-Produkte propagiert. Was ,an davon umsetzen will und kann, ist jedem selbst überlassen. Aber all das ist weltlich und hat nichts mit Gott zu tun. Allein der einzelne Mensch und sein Handeln steht im Mittelpunkt. 

Ich könnte mir vorstellen, dass die Israeliten ziemlich entsetzt waren, als sie die krassen Vorwürfe an ihrem Fasten erfuhren. In ihren Augen taten sie doch den Willen Gottes, fasteten, hielten Gottesdienste, opferten Gott ihre kostbare Zeit und verzichteten in ihren Augen auf so manche Annehmlichkeiten. Ein solches Bemühen muss Gott doch anerkennen! Seine Nähe und sein Beistand sollten doch mindestens dafür herausspringen.

Gott sieht das völlig anders. Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter. Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein.

Ihr fastet und macht gleichzeitig Geschäfte. Ihr fastet und beutet eure Arbeiter aus. Ihr fastet und seid streitsüchtig und übt gar Gewalt aus. Was hat das mit mir zu tun?

Die so Gescholtenen wollten das nicht hören. Warum geht Gott mit ihnen so hart ins Gericht? War es ihre Schuld, dass sie Israel bei ihrer Rückkehr aus dem babylonischen Exil nicht so vorfanden, wie sie es sich erhofft hatten und wie die Alten es immer erzählten? Es sollte doch ein Land sein, in dem Milch und Honig fließen. Doch davon war nichts mehr übrig. Nein, wirklich nicht. Sie standen inmitten von Trümmern, auch den Trümmern ihrer Träume. Niemand hatte ihnen gesagt, was sie wirklich erwartete.

Sicherlich fragten sie sich auch, warum sie ihr angenehmes Leben im Exil aufgegeben hatten.
Jetzt mussten die Ärmel hochgekrempelt werden, um Zerstörtes wieder aufzubauen. Dass es dabei zu Verletzungen von Recht und Gerechtigkeit kam, ist unschwer nachzuvollziehen. Jeder wollte so bald wie möglich im eigenen Heim sorglos und gut leben können. Dass dabei ein paar Arbeiterrechte verletzt wurden, liegt nun mal in der Natur der Sache. Trotzdem feierten sie ihre Gottesdienste, sie fasteten und wollten dafür belohnt werden. 

Doch Gott stellt klar: Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll.
Alles, was ihr tut, ist einzig und allein auf Euch und Eure Wohlbefinden ausgerichtet. Nimm dich selbst einmal zurück, schau dich um, sieh deine Umwelt an, nimm wahr, was außerhalb deiner Bedürfnisse da ist. 

Und da gibt es so Vieles zu tun! So viel, dass man sich am liebsten abwenden möchte, sich überfordert fühlt, geradezu machtlos. „Der weiteste Weg fängt an mit dem ersten Schritt“. Ja so ist es. Jede und jeder kann kleine Schritte tun, eine Lebensmittelspende für die Nonnen in Vilaflor machen, für die Diakonie-Katastrophenhilfe spenden, sich in der Nachbarschaftshilfe engagieren. Aufmerksam sein, was wo wie gebraucht wird, zu gucken, was kann ich dazu beitragen, dass es besser wird und nicht zu akzeptieren, dass sich jeder selbst der Nächste ist. 

Jesus sagt: Das höchste Gebot ist: Liebe Gott und liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Im Gleichnis vom barmherzigen Samariter macht er dann auch gleich deutlich, wer der Nächste ist. Eine Gesellschaft, die meint, ohne Barmherzigkeit auszukommen, ist auf Dauer nicht überlebensfähig. 

Gott beauftragt Jesaja, seinem Volk klarzumachen, woran er Gefallen hat:

Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!

Das ist auch für uns heute eine bleibende Aufgabe. Unrecht – wo denn nicht auf der Welt? Steht nicht jeder chinesische Wanderarbeiter unter dem Joch der regierenden Wirtschaftsklasse? Sind nicht die Schneider in Sri Lanka und Bangladesh bedrückt und unfrei, bis dahin, dass sie ihre Fabrik nicht verlassen dürfen? Aber wir kaufen T-Shirts für 3 Euro und fragen nicht danach. In der Teppichindustrie Pakistans knüpfen kleine Kinder mit ihren kleinen Händchen die feinen Knoten der Seidenteppiche und werden an die Webstühle gekettet, damit sie nicht weglaufen können! Schaut wirklich jemand beim Teppichkauf genau auf das Lable „Frei von Kinderarbeit“? Kleine Schritte, große Wirkung.

Schauen wir vor unsere eigene Haustür, wo in Fleischfabriken unter menschenunwürdigen Zuständen gearbeitet und gewohnt wird? Wo ich „gewohnt“ in Anführungsstriche setze. Nicht viel besser sieht es bei Osteuropäischen Erntehelferinnen und –helfer aus. Spargelstechen ist eine absolute Knochenarbeit und das Produkt verdient wie alle landwirtschaftlichen Produkte einen fairen Preis, der den Bauern ermöglicht, die Mindestlöhne zu zahlen und für angemessene Unterkünfte zu sorgen.

Lohn verspricht auch Gott. Er sagt, wenn ihr nach meinen Geboten handelt: Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen.

Gerechtigkeit kommt aus dem Glauben, nicht aus Taten. Wenn etwas aus dem Glauben heraus getan wird, dann ist es gut. Gut evangelisch. Was Paulus in seinem Brief an die Römer schreibt, war für Martin Luther wie eine Befreiung. Die Frage, die ihn so quälte: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott“? ist beantwortet: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch allein gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.“

Wer das verinnerlicht, der braucht keine Fastenzeit. Wer danach handelt, wird alle Scheinheiligkeit, Selbst-gerechtigkeit und Heuchelei gegenüber Gott und den Menschen unterlassen. Paulus schreibt weiter:
„Wie nun durch die Sünde des Einen die Verdammnis über alle Menschen gekommen ist, so ist auch durch die Gerechtigkeit des Einen für alle Menschen die Rechtfertigung gekommen, die zum Leben führt.“

Der, der uns zum Leben führt, geht nächsten Sonntag hinauf nach Jerusalem. Er nimmt Verrat, Folter und Tod auf sich, damit wir von unseren Sünden befreit leben können. Leben im geschenkten Glauben an Jesus Christus und Gott, seinen und unseren Vater, der uns verspricht: Wenn du schreist, werde ich sagen: Siehe, hier bin ich.Amen.

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