Jahreslosung 2021: " Seid barmherzig wie euer Vater auch barmherzig ist!" Lk.6,36 1. So. n. Epiphanias

 Liebe Gemeinde,

Zum Jahreswechsel bin ich nahezu überschwemmt worden mit digitalen Neujahrswünschen. Alle wünschen sich, dass das Jahr 2021 ruhiger wird, positiver als das vergangene. Doch es beginnt stürmisch. Nicht nur mit dem windigen und regnerischen Wetter der letzten Tage. Da gab es auch den beängstigenden Sturm auf das Kapitol in Washington. Und leider begleitet uns das Thema Corona auch weiterhin, ja mit der britischen und der südafrikanischen Variante des Virus bekommen wir noch mal einen zusätzlichen Unsicherheitsfaktor.

 

Über die Feiertage haben wir bekanntlich unsere Gottesdienste wegen der Vorsichtsmaßnahmen gegenüber Corona ausgesetzt. Das war eine schwere Entscheidung; genauso, wie sie jetzt wieder zu beginnen. Was ist richtig? 

Ich bekam Anrufe, wieso denn kein Gottesdienst stattfinden würde. Andere würden doch auch Gottesdienste abhalten; das sei ja nicht verboten! Das ist ebenso richtig, wie die Frage berechtigt sein muss, ob alles, was nicht verboten wird auch gut ist. Teneriffa hatte hohe Fallzahlen, auch im Süden. Die Regierung bat, alle Kontakte auf ein Minimum einzuschränken. Darauf haben wir reagiert. Die Fallzahlen müssen runter. Da hängt nicht nur unsere Gesundheit und das hiesige Gesundheitswesen von ab, sondern auch die gesamte wirtschaftliche Zukunft der Kanaren. Wir sind Teil der Gesellschaft hier, auch wenn die meisten von Euch Gäste sind. Wir haben Verantwortung für uns selber, aber auch für die Menschen, die mit uns zusammenleben. Den Schutz von Menschen obenan zu stellen und liebgewordene Traditionen zweitrangig zu betrachten sei ein Akt der Nächstenliebe und Barmherzigkeit, hat ein leitender Theologe in Deutschland vor kurzem gesagt und ich stimme ihm zu.

Gleichzeitig weiß ich, dass unsere Gottesdienste nicht nur religiöse, sondern auch soziale Veranstaltungen sind: Man sieht sich. Man redet miteinander; man vereinsamt nicht. Es war für etliche von uns beinahe unbarmherzig, dass wir uns nun einige Wochen nicht gesehen haben.

 

Ich mag dieses Wort „Barmherzigkeit“. Es beinhaltet Wärme und Einfühlungsvermögen. Ich glaube, dass wir in diesem neuen Jahr „Barmherzigkeit“ nötiger denn je haben, um den Problemen und Sorgen  verantwortungsvoll und kreativ zu begegnen. Dabei ist das Wort so ungebräuchlich geworden. Sucht in den Nachrichten einmal einen Satz, in dem das Wort "barmherzig" vorkommt. Ich bin mir fast sicher, dass das Wort da vergessen und deshalb so gut wie ausgestorben ist. Berichtet wird über harte Maßnahmen, empathielose Aufrufe zur Gewalt, andererseits über Solidarität oder Zusammenhalt. Aber "barmherzig"? Ist das ungenutzte Wort deshalb heutzutage unbrauchbar?

 

Der im Dezember verabschiedete Tagesschausprecher Jan Hofer, hat in einem Interview gesagt, dass früher ein Hasskommentar geschrieben werden musste, dann in einen Briefumschlag gesteckt wurde, frankiert und irgendwann einmal den Adressaten erreicht hat. Vor allem brauchte es einen namentlichen Absender. Anonyme Briefe wurden schlichtweg nicht zur Kenntnis genommen. Da hat man sich einige Male überlegt, was man da tut und was man da sagt. Heute reicht ein Tweed in den sozialen Medien und ratzfaz gibt es einen Shitstorm oder eine Coronaparty, oder irgendetwas anderes; man kann ja anonym bleiben und hat nichts zu befürchten. Barmherzigkeit ist genau das Gegenteil. Man fühlt mit, teilt Leid oder versucht gemeinsam Wege aus der Krise zu finden. Man gibt sich einem anderen menschen zu erkennen. Wer hartherzig ist, denkt nur an sich, verurteilt schnell andere. Wer barmherzig ist, sieht sich an der Seite von anderen Menschen. 

Ich finde es hartherzig, wenn Menschen Corona leugnen oder nur auf ihre eigene Freiheit pochen. Ich wünsche mir vielmehr eine Barmherzigkeit, die mitfühlt: mit den Kranken, Toten und Angehörigen, den Ärzten und Pflegern, die sich am Ende ihrer Kräfte sehen und übrigens auch der Politiker, die einiges aushalten müssen. Es wurden und werden Fehler gemacht. Aber gibt das einem das Recht unbarmherzig über andere herzufallen? Wir haben Gemeindeglieder in Deutschland die an Corona erkrankt sind, auch schwer. Eine Frau sagte mir am Telefon, was sie auf der Intensivstation erlebt habe, will sie nie, nie wieder durchmachen. Und dann fügt sie zu: "Wer immer noch Corona leugnet und Schutzmaßnahmen ablehnt, dem würde sie am liebsten…" Ihr wisst schon!

 

Barmherzigkeit brauchen wir, auch wenn es das Wort kaum noch gibt. - Ein Satz aus der Bibel soll uns dieses Jahr begleiten: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist! Er steht im 6. Kapitel des Lukasevangeliums und ist die Jahreslosung für 2021. Ausgesucht lange vor Corona. Und doch so wichtig gerade jetzt! Der Abschnitt ist überschrieben mit „Umgang mit dem Nächsten“. 

 

Ich habe am Anfang gesagt, dass wir mit uns wegen der Gottesdienste gerungen haben. Was ist richtig und was ist falsch. Die Jahreslosung gibt uns eine Richtung, einen Maßstab für unser Miteinander, unser Handeln, sowohl im privaten wie im gesellschaftlichen Handeln. Barmherzigkeit wird uns auf die Frage was richtig oder falsch ist nicht immer eine eindeutige Hilfe sein. Vielleicht gibt es die richtige oder einzige Lösung auch gar nicht. Aber ohne Barmherzigkeit ist jede Entscheidung und jede Meinungsäußerung eben unbarmherzig. Die Bibel lehrt uns: Nur mit Barmherzigkeit gibt es eine gemeinsame Zukunft.

 

Die Jahreslosung beinhaltet noch einen wichtigen Zusatz: Seid barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist. Gott, der Vater im Himmel, vergibt uns, wenn wir uns um das Richtige bemühen und vielleicht doch das Falsche entscheiden. Das ist doch auch wichtig, dass wir irgendwann "ja!" sagen oder "nein!"; nach bestem Wissen und Gewissen. Und wenn wir dann daneben liegen, dann wird uns nicht der Kopf abgerissen, sondern wir dürfen auf Vergebung und Barmherzigkeit zumindest von Gott glauben. Wie gut täte das uns allen, wenn es weniger Hasskommentare, Gerüchte und üble Nachrede gäbe und stattdessen Barmherzigkeit? Die Jahreslosung traut es uns zu, etwas dazu beizutragen. Also:

Seid barmherzig, wie euer Vater auch barmherzig ist! (Lk. 6,36)             Amen

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Adios!

Regenbogen-Noah und wir. kurze Predigt zu 1.Mose 8,18-9,17

Lukas 21,25-33 Gegen den Weltuntergang