Sehnsucht nach Heiler Welt Predigt zu Eph.4,22-32 am 18.10.20

 Liebe Gemeinde,

Meine letzte Gemeinde war in einem Dorf. Ein Schlafdorf. Es gab schon lange keinen Bäcker mehr, die letzte Gaststätte kannten nur noch die Alten und schließlich machte auch noch die Volksbank dicht und wurde durch einen Automaten ersetzt. Einmal hatte ich junge Leute besucht. Ich habe sie gefragt, was sie denn hier hält. Die Antwort war: Hier ist für uns noch heile Welt. Hier bin ich groß geworden. Hier kennt man sich. Hier hilft man sich.

 

Ich kenne das: Die Sehnsucht nach einem Stück heile Welt. Da wo ich wohne, wünsche ich mir heile Welt. Da will ich keine Angst vor Einbrechern haben. Da will ich in Frieden leben können. Auch in der Familie wünsche ich mir „Heile Welt“. Das bedeutet Ruhe und Sicherheit, Verlässlichkeit und Geborgenheit. Raum zum Aufatmen. Zeit, die die Seele wachsen lässt.

 

Al Pfarrer habe ich natürlich auch die Schattenseiten im Dorf kennengelernt. Da war der völlig überforderte Vater mit seinem Kind; da war die Frau, deren Ehe nie richtig glücklich war; der AFD Abgeordnete, der überall Verschwörung witterte. Es gab viel Gerede hinter dem Rücken anderer. Und etliche Häuser sahen schon reichlich verfallen aus. Unser Dorf war in vielem eine Oase, friedlicher als oft in der Großstadt, aber noch lange keine heile Welt. Vielleicht gibt es das gar nicht: die heile Welt. Aber die Sehnsucht gibt es: nach heil sein oder heil werden. (Das ist das Thema des heutigen Sonntags, wenn man mal alle vorgeschlagenen Texte und Lieder vergleicht.)

 

Manchmal ist die Sehnsucht nach Heil auch so groß, dass Menschen leider irgendwelchen Scharlatanen hinterherlaufen, die ihnen das Heil versprechen. Wir Deutschen wissen das ganz gut, denn hier hat man einst für einen Führer "Heil" geschrien und damit entsetzliches Unheil gesät und schließlich selbst geerntet. Die Scientology-Sekte hat eine Zeitlang Menschen angelockt, indem man ihnen versprochen hatte, dass immer mehr Defizite in ihrer Persönlichkeit beseitigt werden könnten, sodass man am Ende der perfekte, ganz-heile Mensch wäre. Viele standen dafür am Ende ohne Vermögen und waren der Sekte völlig ausgeliefert.

 

Das ist die Gefahr, wenn man der Sehnsucht nach heiler Welt blind folgt. Religiöse Versprechen beinhalten auch ganz oft so eine Gefahr. Die Bibel erzählt gerade deswegen, dass Menschen in der Nähe Jesu das Heil ohne Zwang spüren konnten: Kranke wurden tatsächlich geheilt (wie eben in der Lesung gehört: Mk.2,1ff) , böse Geister vertrieben, Ausgestoßene erfuhren wieder Gemeinschaft. Die Sehnsucht nach Heil fand in der Begegnung mit dem Glauben an Jesus Christus Erfüllung. So entstanden die ersten christlichen Gemeinden. Einige davon durch den Apostel Paulus in der heutigen Türkei. Zum Beispiel in Ephesus. Eine heile Welt in Ephesus? Kirche, eine heile und heilende Gemeinschaft?

 

Man mag es kaum glauben, dass es wirklich so gewesen ist. Denn überall, wo Menschen zusammen kommen, auch in der Kirche, da "menschelt" es. Da gibt es Leute, die man mag und solche, die man weniger mag. Da gibt es Getratsche, jeder weiß was, viele wissen sogar alles besser als andere. Manchmal platzt einem in der Kirche auch der Kragen. Das schlechte Gewissen allerdings kommt gleich hinterher, denn: Wir sagen immer: Jeder darf so kommen wie er oder wie sie eben ist. Wir sagen so oft: Gott nimmt Dich so an, wie Du bist. Und mit den Worten einer Halbfettmargarinewerbung antworten wir nur all zu gerne: „Ich will so bleiben wie ich bin!“ und hoffen auf die göttliche Erwiderung: „Du darfst….“ Aufatmen in der heilen Welt. 

 

Aber so ist das eben nicht! Hört selbst, was im heutigen Predigttext im sogenannten Epheserbrief steht: Eph. 4,22 – 32

 

Legt von euch ab den alten Menschen mit seinem früheren Wandel, der sich durch trügerische Begierden zugrunde richtet. 23 Erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn 24 und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.25 Darum legt die Lüge ab und redet die Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten, weil wir untereinander Glieder sind. 26 Zürnt ihr, so sündigt nicht; lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen 27 und gebt nicht Raum dem Teufel. 28 Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr, sondern arbeite und schaffe mit eigenen Händen das nötige Gut, damit er dem Bedürftigen abgeben kann. 29 Lasst kein faules Geschwätz aus eurem Mund gehen, sondern redet, was gut ist, was erbaut und was notwendig ist, damit es Gnade bringe denen, die es hören. 30 Und betrübt nicht den Heiligen Geist Gottes, mit dem ihr versiegelt seid für den Tag der Erlösung. 31 Alle Bitterkeit und Grimm und Zorn und Geschrei und Lästerung seien fern von euch samt aller Bosheit. 32 Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.

 

Vielleicht wollen wir dem gerne zustimmen: Kein Zorn in der Kirche, kein Getratsche, keine Lüge. Wir erarbeiten unser Geld und vergessen die Armen trotzdem nicht usw. Ein neuer veränderter Mensch sind wir also nicht. Trotzdem scheinen die Forderungen sehr ideal gedacht. Je länger man über diesen Ethik und Moralkatalog nachdenkt, desto mehr fallen die Defizite bei mir selbst und in den eigenen Reihen auf: Das man nicht stehlen soll ist ja klar. Aber ist das nicht auch ein Stehlen, wenn wir auf Kosten anderer leben, wenn wir versuchen bei der Steuer zu tricksen; wenn wir immer alles ganz billig haben wollen und irgendjemand mit einem Hungerlohn dafür bezahlen muss? Könnte es sein, dass auch unter uns manches Geschwätz aus unserem Mund geht, das weder erbaut noch notwendig ist und vor allem keine Gnade bringt, denen die es hören? Und wie oft nehmen wir einen Ärger mit in die Nacht und bekommen deswegen keinen Schlaf? „Lass die Sonne nicht über deinem Zorn untergehen!“ Ein wohl treffendes Bild. Wir leben nicht in einer heilen Welt. Doch die Sehnsucht bleibt...

 

Weder in Ephesus noch bei uns ist alles so, wie der Apostel es fordert. Die Bibel erinnert uns immer wieder daran, dass wir ein Ebenbild Gottes sind oder zumindest sein sollten. Von uns Christen darf man mehr erwarten als fehlerhafte Menschlichkeiten. Fehlverhalten – und da ist z.B. Kindesmissbrauch nur eines, - tritt leider nicht nur in der Kirche auf. Aber dass so etwas auch in der Kirche passiert tut doppelt weh. Dann ist es wichtig, dass die Lüge abgelegt wird und die Wahrheit gesprochen wird. Getuschelt wird vor allem im Dorf oder auf einer Insel (egal wie groß und wie der Name heißt) vor allem hinter dem Rücken anderer. Der Epheserbrief fordert dagegen: Redet das, was dem anderen zur Gnade dient. Seid untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem anderen, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.

 

Die heile Welt gibt es leider nicht.  Aber in der Kirche soll gerade deshalb Raum und Zeit sein zum Aufatmen, zum Kraft schöpfen, zum Heilen. Hier ist der Ort, wo Wahrheit und nicht die Lüge regiert. In der Kirche soll durch uns sichtbar werden können, dass Gott uns ein neues Kleid gewebt hat. Darum: Zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit. Amen!

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