Lk.18,31-43 Hauptsache gesund?

„Hauptsache: Gesund!“

„Ich wünsche Ihnen zum Geburtstag Glück und Gesundheit!“ sagte der Bürgermeister immer, wenn ich ihn beim Besuch eines 90. Geburtstags traf. Und dann schob er noch nach: „Hauptsache: Gesund. Gesundheit ist das wichtigste!“
Für die Gesundheit können wir viel tun: Sporttreiben, Impfen, auf Alkohol verzichten, nicht rauchen und in der Apothekenumschau lesen, was gesund macht. Hauptsache gesund!
Doch wie wirkt so ein Satz bei kranken Menschen oder Behinderten? Fehlt denen die Hauptsache?

Wer krank ist leidet. Keine Frage. Wer im Bett liegen muss, ist von vielem ausgeschlossen. Und trotzdem können Menschen, auch wenn sie nach unseren Maßstäben nicht gesund sind, oftmals Erstaunliches vollbringen: Im Sport, in der Kunst, aber auch im Beruf. Ich bewundere da den oft vorhandenen Willen zum Leben auch mit Einschränkungen. In einem Teil des heutigen Predigttextes geht es um einen blinden Bettler. Jemanden, der von vielem ausgeschlossen wurde. Ich lese:

Lk. 18,35 – 43
35 Es geschah aber, als er in die Nähe von Jericho kam, da saß ein Blinder am Wege und bettelte.
36 Als er aber die Menge hörte, die vorbeiging, forschte er, was das wäre.
37 Da verkündeten sie ihm, Jesus von Nazareth gehe vorüber.
38 Und er rief: Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!
39 Die aber vornean gingen, fuhren ihn an, er sollte schweigen. Er aber schrie noch viel mehr: Du Sohn Davids, erbarme dich meiner!
40 Jesus aber blieb stehen und befahl, ihn zu sich zu führen. Als er aber näher kam, fragte er ihn:

41 Was willst du, dass ich für dich tun soll? Er sprach: Herr, dass ich sehen kann.
42 Und Jesus sprach zu ihm: Sei sehend! Dein Glaube hat dir geholfen.
43 Und sogleich wurde er sehend und folgte ihm nach und pries Gott. Und alles Volk, das es sah, lobte Gott.

Ein Traum des Bettlers hat sich erfüllt: Gesundwerden, sehen könne, wieder Anteil haben am Leben in der Gesellschaft. Aber es hätte gereicht, wenn dann in der Bibel stünde: Der Blinde kam zu Jesus und der machte ihn gesund. Dann wäre die Hauptsache Gesundheit. Aber da steht eben noch viel mehr. Wir hören von dem energischen Willen des Blinden, Kontakt zu Jesus zu bekommen auch gegen den Unwillen der Menge. Wir hören, wie der Blinde Jesus mit einem alttesta-mentlichen Titel anredet: Du Sohn Davids erbarme Dich meiner. Wir hören, wie Jesus das Gespräch mit dem Blinden aufnimmt, sozusagen auf Augenhöhe. Wir hören, wie Jesus sagt: Dein Glaube hat Dir geholfen. Wir verstehen, dass Gott am Heil eines Menschen gelegen ist und nicht am Unheil. Wir hören, wie die Menschen nun Gott loben und dass der Geheil-te nun selbst Jesus nachfolgt. Da merke ich, dass es um mehr geht als einzig um das Gesundwerden. Das Heil eines Men-schen besteht aus viel mehr als der körperlichen Unversehrt-heit. Es geht um Gottvertrauen. Nicht nur in einer Situation, sondern grundsätzlich um eine Nachfolge, ein Leben mit dem Glauben an Gottes Begleitung. Nicht die Gesunden lehren mich das, sondern der kranke, der gehandicapte, der blinde Bettler von Jericho.

Dieser Geschichte vorangestellt ist ein weiterer Text, die sogenannte dritte Leidensankündigung Jesu. Auch das soll heute gepredigt werden:

Lk. 18,31 -34
31 Er nahm aber zu sich die Zwölf und sprach zu ihnen: Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn.

 32 Denn er wird überantwortet werden den Heiden, und er wird verspottet und misshandelt und angespien werden,
 33 und sie werden ihn geißeln und töten; und am dritten Tage wird er auferstehen.
 34 Sie aber verstanden nichts davon, und der Sinn der Rede war ihnen verborgen, und sie begriffen nicht, was damit gesagt war.

Was für ein Gegensatz: Eben noch hören wir, wie Gott durch Jesus Heilung schafft und nun kündigt Jesus zum dritten Mal an, dass schon die Propheten von dem Leiden des Menschensohnes gesprochen haben. In Jerusalem wird sich das alles erfüllen, nicht irgendwann, sondern die Leidenszeit, die Passionszeit hat schon begonnen. Kein Heil wird es geben, sondern Spott und Misshandlung, Verachtung, Folter und Tod. Der einzige Lichtblick: Auferstehung nach drei Tagen.

Wie passt das zusammen? Die Jünger verstehen das nicht. Ich verstehe das auch nicht: Warum sind Menschen bereit, andere zu töten? Warum Spott, Verachtung und hohntriefende Gewalt gegen andere? Hat Gott nicht jedem Menschen Ver-stand und auch Anstand mit in die Gene gelegt? Wie kalt muss ein Herz sein, einen anderen ans Kreuz zu bringen? Befehl hin oder her! Wie kalt kann ein Mensch sein, 10 Menschen in Hanau zu erschießen? Ein Psychologe könnte vielleicht etwas erklären, aber verstehen kann man das trotzdem nicht. Am Anfang der Schöpfung war doch alles gut. Gott könnte doch die Schöpfung reparieren, das Kranke heilen, so wie die Blindheit des Mannes bei Jericho. Die Jünger Jesu begreifen das nicht, aber sie sind nicht dumm. Sie ziehen weiter mit Jesus nach Jerusalem, weil sie den Glauben an einen guten und gütigen Gott nicht aufgeben wollen. Und da bin ich ganz bei ihnen!

Warum muss Jesus diesen Weg gehen? Warum wird er den Heiden überantwortet werden? Warum läuft er nicht weg vor der Gefahr? Warum geht er an die Seite derer, die ihn ausmerzen wollen?
In der Krankenhausseelsorge lernt man: Gehe als Seelsorger nicht weiter als dein Gegenüber gerade gehen kann! Das ist manchmal gar nicht so einfach, weil man vielleicht weiß, was der andere braucht. Man liefert sich dem anderen aus. Das birgt auch ein Risiko. Mal betritt man gemeinsam einen Weg eines Heilungsprozesses, mal bleibt man stecken in Depres-sion oder Zorn. Es gibt Menschen, in denen bleibt das Herz kalt wie Stein. Und trotzdem begleitet man sie so gut es geht.

In der Leidensankündigung Jesu merke ich, dass Gott sich wie ein Seelsorger auf die Menschen einlässt, sich ihnen eben auch ausliefert. Den Blinden fragt Jesus: was willst Du, dass ich für Dich tun soll? Der Blinde hätte auch sagen können: Verurteile diejenigen, die mich bisher ausgeschlossen haben. Oder frage Gott, warum ich das alles erleiden muss! Gott sei Dank will er aber Heil werden und traut Jesus das auch zu.
Im Lukasevangelium liefert sich Jesus den Heiden aus. Er stellt sich auch und gerade an die Seite derjenigen, die noch keinen Zugang zu Gott haben und stattdessen erst einmal nur Hohn und Spott übrighaben. 
Es gibt sie, die Menschen voll Selbstüberheblichkeit, voll Gewaltphantasien, voll Hass oder Neid. Vor denen läuft Jesus nicht weg. Die Propheten haben es geschrieben und Jesus weiß, dass er der Menschensohn sein wird, der den Heiden ausgeliefert ist. Sie werden alle eigenen Ängste, Machtgelüste und Gewalt an ihm auslassen. In diesem Bibeltext redet kein Dogma von der Sündenvergebung diesen Weg zum Kreuz schön. Wie sollen die Jünger, wie sollen wir da verstehen?

Hüten wir uns davor, zu sagen: Wir begreifen immer, was Gott will. Aber vertrauen wir darauf, dass Gott auch in den unverständlichen Situationen des Lebens, bei Krankheiten und schlimmen Nachrichten diese Welt nicht verlassen hat. Jesus geht den unverständlichen Weg ans Kreuz. Er geht den Weg mit den Menschen. Er lässt sich verspotten und lässt sich töten. Er heilt aber auch und bewirkt Leben. Am dritten Tage wird Jesus auferstehen. Es geht um den Aufstand zum Leben. Der Blinde von Jericho glaubte daran, dass der Aufstand zum Leben nicht nur nach dem Tod, sondern jetzt schon beginnen kann. Und es liegt an uns, wie groß unsere Schritte sind. Wie groß unser Vertrauen ist. Wie weit der Glaube für den näch-sten Schritt zur Nachfolge reicht. Ich ahne, dass Gott mitgeht, auf Augenhöhe. Er begleitet Dich und mich, sogar durch Lei-den und Tod hindurch. Die Hauptsache ist nicht Gesundheit. Die Hauptsache ist Glauben und Vertrauen. Und das kann Wunden an Körper und Seele heilen. Das kann Wege aufzeigen, wie Menschen mit Krankheiten oder Behinderungen, mit Ängsten oder Enttäuschungen umgehen können. Wir können Unheil nicht verhindern, aber wir können wie die Jünger oder der Blinde von Jericho Jesus nachfolgen und zur Heilung dieser manchmal unheilvollen Welt beitragen. 

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, segne und bewahre unsere Herzen in Jesus Christus Amen!

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