Steh auf und geh! Predigt zu Apg.3,1-10 am 12. Sonntag nach Trinitatis

Die Heilung des Gelähmten

1 Petrus aber und Johannes gingen hinauf in den Tempel um die neunte Stunde, zur Gebetszeit.
2 Und es wurde ein Mann herbeigetragen, der war gelähmt von Mutterleibe an; den setzte man täglich vor das Tor des Tempels, das da heißt das Schöne, damit er um Almosen bettelte bei denen, die in den Tempel gingen. 
3 Als er nun Petrus und Johannes sah, wie sie in den Tempel hineingehen wollten, bat er um ein Almosen. 
4 Petrus aber blickte ihn an mit Johannes und sprach: Sieh uns an! 
5 Und er sah sie an und wartete darauf, dass er etwas von ihnen empfinge.
6 Petrus aber sprach: Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth steh auf und geh umher! 
7 Und er ergriff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf. Sogleich wurden seine Füße und Knöchel fest, 
8 er sprang auf, konnte stehen und gehen und ging mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott. 
9 Und es sah ihn alles Volk umhergehen und Gott loben. 
10 Sie erkannten ihn auch, dass er es war, der vor dem Schönen Tor des Tempels gesessen und um Almosen gebettelt hatte; und Verwunderung und Entsetzen erfüllte sie über das, was ihm widerfahren war.

Liebe Gemeinde, 
diese biblische Geschichte berührt mich ganz persönlich und deshalb möchte ich auch persönlich von mir erzählen: Im Predigttext wird berichtet, dass der Mann vor dem Tempeltor von Mutterleib an gelähmt sei. Das trifft für mich auch zu. Ich habe von Geburt an eine Lähmung im linken Bein. Als kleiner Junge bin ich immer auf dem Hacken gelaufen. Mit drei Jahren wurde ich von einem der damals berühmtesten Kinderchirurgen Deutschlands operiert. Er wollte ein neues Verfahren probieren, Lähmungen zu heilen. Bei mir ging das kolossal schief. Er bekam zwar das Bundesverdienstkreuz, aber eine Entschädigung haben wir Experimentierkinder nie gesehen. Statt eines Heilungswunders war alles noch viel schlimmer als zuvor. Manchmal habe ich gehadert. Manchmal habe ich auf ein Wunder gehofft. Manchmal gab es auch die Gefahr, dass die Lähmung im Kopf ankommt und man das Gefühl bekommt: Du kannst vieles nicht, also gehörst du auch nicht zu den „Normalen“ dazu. Aber ich habe gelernt, trotzdem viele Dinge zu tun, die im wahrsten Sinne des Wortes eigentlich nicht gehen. Oft habe ich dann als Folge Schmerzen. Und dann berichtet die Bibel von einem Heilungswunder.
Nach nunmehr 9 Operationen, von denen einige völlig daneben gingen,  und einer mittlerweile fast vollständigen Lähmung des linken Beines, glaube ich weder an Wunder durch Ärzte noch durch irgendetwas Übernatürliches.

Trotzdem mag ich diese biblische Geschichte. Nicht wegen der Heilung, sondern, weil gesagt wird: Steh auf und geh! Vielleicht bin ich unbarmherzig, aber ich spüre oft großen Unmut in mir, wenn ich andere bettelnd  an der Straßenecke sitzen sehe. Sie stehen auf Mitleid anstatt auf eigenen Füßen (wie symbolisch unsere Sprache stehen und gehen gebrauchen kann!). Warum stehen die nicht auf und gehen und machen etwas aus ihrem Leben? Es gibt einige, da ist die Behinderung viel schlimmer als bei mir und das Leben arg eingeschränkt. Trotzdem glaube ich (auch wenn es vielleicht nicht immer stimmt: Irgendetwas geht immer. Ich hab´s doch auch gepackt! Denke ich ….

In einer deutschen Fernsehsendung wurde letzten Sonntag ein Querschnittsgelähmter vorgestellt. Nach einem Motorradunfall war er vollständig gelähmt. Aber er hatte es geschafft, nach 2 Jahren wieder einige Schritte selbstständig zu gehen. Er trainiert täglich hart. Körperlich und mental. Er will nicht dasitzen und betteln und abhängig sein von anderen. Er will aufstehen und gehen. Noch funktioniert das nur mit einer Gehhilfe. Aber sein Ziel ist es, nur mit einem Stock in der Hand wieder selbständig laufen zu können.

Wenn ich Leute an der Ecke dasitzen sehe, gehe ich - nicht immer - aber oft einfach vorbei. Manchmal gebe ich Geld, aber meistens ärgere ich mich mehr, als dass mein Almosen von Herzen kommt. Trotzdem ist dann das Gewissen ein wenig beruhigter. Petrus und Johannes aber bleiben stehen, als sie den Gelähmten sehen. Sie machen das, was ich eigentlich auch gerne täte, aber mich oft nicht traue:
Sie reden mit dem Behinderten. Sie geben ihm kein Geld, sondern sagen: Steh auf und geh!

Manchmal braucht es so einen frechen Tritt in den Hintern, damit man sich nicht lahm danieder lässt. In der Zeit der Bibel wurden Behinderte von vielem ausgeschlossen. Unsere biblische Geschichte erzählt davon. Kranke und Behinderte durften z.B. nicht in den Tempel hinein. Sie waren ja unheil und damit auch unheimlich. Da gab es ein Tor, das die Gesunden von den Kranken trennte. Exklusion statt Inklusion. Wenn man so aufwächst, dass eine Behinderung einen minderwertig sein lässt, ja dass man eine Behinderung sogar als Strafe Gottes bezeichnet, wenn man gesagt bekommt, dass man eine Belastung für andere sei, dann fällt es viel schwerer Selbstbewusstsein zu bekommen, als das vielleicht heute möglich ist. Immerhin hat der Gelähmte (Wieso hat der keinen Namen?) Freunde oder Familie, die ihn jeden Morgen am Tempel ablegen und am Abend wieder zurücktragen.

Petrus und Johannes also machen dem Gelähmten Mut: oder soll ich sagen: Sie „machen ihm Beine“? „Steh auf und geh!“ Aber nicht nur das: Petrus sagt: „Im Namen Jesu von Nazareth sage ich Dir: Steh auf und geh umher!“ Petrus und Johannes sind keine besseren Ärzte. Aber sie erinnern sich und uns an Jesus, von dem sie glauben, dass er vieles möglich machen konnte und immer noch machen kann. Jesus nimmt Leiden ernst und will, das Menschen Heil werden und sich nicht ausgegrenzt fühlen oder werden. Zumindest damals war das eine ganz neue Botschaft.

Vieles ist bei uns heute viel besser: viele Einrichtungen sind behindertengerecht. Und trotzdem lohnt es sich immer wieder hinzuschauen, ob Behinderte aus ihrem Leben etwas machen können; ob Türen und Kanten, Bordsteine oder Einstiege zu bewältigen sind oder eben nicht; ob der Behindertenparkplatz sinngemäß belegt wird oder aber von dem Gehfähigen, dem der Weg zum Supermarkteingang zu weit ist.
Und noch etwas mag ich an dieser biblischen Geschichte, auch wenn mir der Glaube an Heilungswunder schwer fällt. Es geht ja auch nicht darum, an Wunder zu glauben, sondern an Gott und damit an Jesus Christus.
Die Apostelgeschichte ist ja die Erzählung von den ersten Christen, die ohne die körperliche Gegenwart Jesu, trotzdem den Glauben leben. Aus den Evangelien vorher erfahren wir auch von Heilungen durch Jesus Christus, auch von Heilungen an Gelähmten. In den Evangelien denke ich immer: Klar, Jesus kann das. Er ist ja Gottes Sohn.
Und nun lesen wir, dass Christen auch im wahrsten Sinne des Wortes etwas in Bewegung bringen können. Die Geschichte eines wirkungsvollen Gottvertrauens geht weiter bis in unsere Tage. „Gold und Silber habe ich nicht“, sagt Petrus, „aber was ich habe, gebe ich Dir.“
Wie oft sagen wir, Gold und Silber haben wir nicht und deshalb sind viele Dinge auch nicht möglich. Geld zu haben ist wichtig, aber ist es das einzige? Gerade in der Kirche wird über wegbrechende Kirchensteuermittel geklagt, über sinkende Mitgliederzahlen und dass Glaube und Religion am Boden liegen.
Ich weiß, dass man in dem riesigen Apparat von Gemeinden, Gebäuden und vor allem Mitarbeitenden Geld braucht. Auch ich freue mich über ein Gehalt.
Trotzdem mag ich diese Geschichte vor allem, weil Gold und Silber nicht alles ist, was wir besitzen oder gerne besitzen würden. Doch ohne das Engagement und die Talente von Ehrenamtlichen wäre die Kirche nur eine dröge Behörde.

Was für ein Schatz ist der Glaube, dass jeder Mensch Gottes Kind und darum lebenswert ist? Darum geht es doch: Petrus und Johannes bewegen etwas auch ohne Geld. Sie geben das andere, was sie haben: Glauben, Einfühlungsvermögen, Zuwendung. Sie verbreiten Mitmenschlichkeit und Hoffnung. Wenn Menschen so miteinander umgehen, dann braucht es nicht immer ein Heilungswunder. Dann können auch Behinderte vollständiger Teil unserer Gesellschaft sein. Ich sage nicht, dass das immer leicht ist: weder für Behinderte, noch für Angehörige oder Pflegende und auch nicht für die, die finanziellen Kosten aufbringen müssen. Doch ich glaube fest daran, dass Barmherzigkeit sich letztlich auszahlt. Das Reich Gottes bricht mit Jesus schon jetzt an und es ist mit Gold und Silber nicht zu bezahlen. Und es braucht Menschen im Glauben, die aufstehen, umhergehen und Gott loben, im Tempel aber auch davor! Amen!

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