Singt! Predigt Kantate 2019 über Apostelgeschichte 16, 23-34

Liebe Gemeinde,
beim Lesen des heutigen Predigttextes fällt mir Ralf ein:
Ralf, so sagte man mir, sei bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Ungebremst und unangeschnallt ist er mit hohem Tempo gegen einen Baum gefahren. Es war Selbstmord. Ralf kannte ich ziemlich gut. Wir hatten viele Gespräche geführt. Er erzählte von seiner kaputten Ehe und wir sprachen über sein Alkoholproblem. Ich weiß nicht, was zuerst da war: Die kaputte Ehe und deshalb der Alkohol, oder umgekehrt: erst der Alkohol und deshalb die kaputte Ehe. In jedem Fall ist es um Ralf immer dunkler geworden. Er nahm auch keinen Kontakt mehr mit mir auf. Er war wie gefangen. Und dann wusste er wohl keinen Ausweg mehr. Er wollte lieber tot sein.

Beim Lesen des Predigttextes ist mir auch Horst eingefallen:
Horst will die AfD wählen. Er ist kein Rechter. Er wählt aus Protest, sagt er. „Die da oben machen ja sowieso, was sie wollen!“ murmelt er. Ich frage ihn, was ihm denn nicht passe. „Weiß auch nicht! Kann man ja sowieso nichts machen!“ Horst ist auch gefangen: in seinem Frust. Es nützt auch nichts, dass ich ihm sage: „Pro-test bedeutet eigentlich für etwas einstehen. Für was stehst Du denn ein, Horst?“ Er schweigt. Er ist nicht nur gefangen. Sein Herz schlägt für nichts mehr. Geistiger Selbstmord!

Jeder kennt Situationen, in denen man keinen Ausweg mehr weiß. (Auch wenn es nicht zum Äußersten gekommen ist!) Was hilft einem bloß aus solchen Gefängnissen herauszukommen?

Es gibt wohl kein Patentrezept, aber es gibt Geschichten, die von der Befreiung aus aussichtslosen Situationen erzählen. Ich lese gleich die Geschichte von Paulus und seinem Gefährten Silas in der Stadt Philippi. Paulus redet in Philippi mit einigen Frauen über den Glauben. Eine von ihnen, Lydia, lässt sich taufen. Kurz darauf vertreibt Paulus einen bösen Geist aus einer angeblichen Wahrsagerin. Das gibt ordentlich Ärger, weil einige Männer die besessene Frau losschickten, um mit ihrer Wahrsagerei Geld zu verdienen. Paulus und Silas werden verhaftet und öffentlich verprügelt. Nun die weitere Geschichte….

Apostelgeschichte 16,23-34


Nachdem man sie hartgeschlagen hatte, warf man sie ins Gefängnis und befahl dem Kerkermeister, sie gut zu bewachen. 
24 Als er diesen Befehl empfangen hatte, warf er sie in das innerste Gefängnis und legte ihre Füße in den Block. 
25 Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobten Gott. Und es hörten sie die Gefangenen. 
26 Plötzlich aber geschah ein großes Erdbeben, sodass die Grundmauern des Gefängnisses wankten. Und sogleich öffneten sich alle Türen und von allen fielen die Fesseln ab. 
27 Als aber der Kerkermeister aus dem Schlaf auffuhr und sah die Türen des Gefängnisses offen stehen, zog er das Schwert und wollte sich selbst töten; denn er meinte, die Gefangenen wären entflohen. 
28 Paulus aber rief laut: Tu dir nichts an; denn wir sind alle hier! 
29 Der aber forderte ein Licht und stürzte hinein und fiel zitternd Paulus und Silas zu Füßen. 
30 Und er führte sie heraus und sprach: Ihr Herren, was muss ich tun, dass ich gerettet werde? 
31 Sie sprachen: Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus selig!
32 Und sie sagten ihm das Wort des Herrn und allen, die in seinem Hause waren. 
33 Und er nahm sie zu sich in derselben Stunde der Nacht und wusch ihnen die Striemen. Und er ließ sich und alle die Seinen sogleich taufen 
34 und führte sie in sein Haus und bereitete ihnen den Tisch und freute sich mit seinem ganzen Hause, dass er zum Glauben an Gott gekommen war. 


Die Lage war aussichtslos schreibt die Apostelgeschichte sehr eindeutig: Innerstes Gefängnis; Füße im Block und der Kerkermeister hat den Befehl, besonders auf die beiden aufzupassen. Es gibt genug Grund zu verzweifeln!

Aber um Mitternacht beteten Paulus und Silas und lobten Gott!
Sie taten das nicht nur leise, sondern sie sangen wohl so laut, dass auch die Mitgefangenen es hörten. Welche Lieder sie anstimmten, wissen wir nicht. Ob es schön geklungen hat? Keine Ahnung. Aber sie lobten Gott. Psalmen wurden damals in den Gottesdiensten gesungen. Sogar Klagepsalmen enden immer mit einem hoffnungsvollen Gotteslob. (Gotteslob heißt übrigens auch das katholische Gesangbuch). Der 13.Psalm beginnt z.B. mit der Klage: Herr, wie lange willst du mich so ganz vergessen?Und er endet mit dem Satz: Ich traue darauf, dass Du so gnädig bist; mein Herz freut sich, dass du so gerne hilfst. Ich will dem Herrn singen, dass er so wohl an mir tut.
So eine Wendung wünscht man sich doch!

Singen jedenfalls bewirkt etwas. Das erzählt auch unsere biblische Geschichte: In Philippi geschieht plötzlich ein großes Erdbeben: Die Mauern des Gefängnisses wanken, die Türen springen auf und die Fesseln der Gefangenen auch. Beachtet die Reihenfolge: Nicht jetzt, nach dem Wunder wird Lob gesungen, sondern umgekehrt: Singen hat ein Wunder bewirkt.Singt dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder! (Ps.98)

Wenn jemand in großer Bedrängnis ist, dann singt man meistens eher nicht, aber man hofft auf ein Wunder, hofft darauf, dass alles Einengende mit einem Mal nicht mehr da sein möge. Eigentlich könnte die Geschichte hier enden. Tut sie aber nicht. Sie wendet sich nur ganz und gar:

Denn der Kerkermeister wird nun selbst zum Gefangenen - seiner Angst. Die Türen des Kerkers sind alle offen. Die Gefangenen werden weg sein. Man wird ihn bestrafen. Sein Ruf ist ruiniert. Der Job ist sicherlich weg. Er sieht keinen Ausweg mehr. Gefangen in seiner Angst! Er will sich selbst töten!

Es gibt immer einen Weg!
Das haben Paulus und Silas gerade erfahren. Darum sagt Paulus auch zum Kerkermeister: Tu dir nichts an! Paulus übernimmt Verantwortung für sich und für seinen Nächsten, auch wenn der gerade noch ein Gegner war. Das gehört ja zusammen: Freiheit und Verantwortung. Ich weiß nicht, ob ich in der Situation so wie Paulus Nerven gehabt und wie er gehandelt hätte. Aber ich merke: So ist es richtig. Falsch ist es, wenn man sagt: Mir hat keiner was vorzuschreiben. Ich kann tun und lassen, was ich will. Christen wissen, dass nicht sie die Herren sind, sondern einzig und allein Gott.

Der Kerkermeister fragt seine Gefangenen: „Ihr Herren, was muss ich tun, dass ich gerettet werde?“ Paulus wehrt den Ehrentitel ab: „Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du gerettet werden!“                                                     

Eigentlich gibt uns diese Geschichte schon genug Hinweise, was aus aussichtslosen Lagen heraus helfen könnte:
Beten, Singen, Gott loben, hoffen, dass ein Wunder geschieht und sich doch noch eine Tür öffnet, Verantwortung für sich und andere übernehmen. Das wäre zumindest ein möglicher Weg.

Mein Freund Ralf hat mit mir im Kirchenchor gesungen und er war auch immer im Gottesdienst. Und doch hat ihn sein Glaube im Innersten seines Gefängnisses am Tag seines Selbstmordes nicht tragen können. Er fand keine Lieder, die am Ende mit Lob endeten.

Horst hat noch nie gesungen. „Ich kann nicht singen“, sagt er. Ich wünschte, er würde das Singen zumindest leise mal versuchen, anstatt die hässlichen und lauten Parolen der von ihm gewählten Partei nachzuplappern. Und an Gott glauben tut er schon lange nicht mehr.

Ralf und Horst: Beide tun mir leid. Ich weiß auch, dass Singen und Beten kein Patentrezept für einen neuen Weg und eine offene Tür sind. Aber ich weiß, dass es gut ist, Lieder und Texte zu kennen, sie wie einen Schatz hervorzuholen, zum Leuchten zu bringen, gerade wenn alles sonst Dunkel und stumm ist. Wir Christen haben mit der Bibel einen riesigen Schatz an Mut machenden und befreienden Geschichten. In unserem Gesangbuch stehen viele schwierige Lieder und über Qualität (des Singens oder der richtigen Begleitung) kann man streiten, aber es gibt genug Lieder zur Auswahl. Man kann, aber man muss nicht, alles neu erfinden. Es reicht manchmal sogar, einen Liedtext zu lesen, wenn einem nicht nach Singen zumute ist:
„Befiehl Du Deine Wege und was Dein Herzen kränkt der aller treusten Pflege dem, der den Himmel lenkt!“(Ev. Gesangbuch 361)
Der heutige Sonntag hat den Namen „Kantate“: Singt!
Wir werden an den Schatz aus der Bibel und der Kirchenmusik erinnert. Wir singen nicht nur für uns, sondern auch für andere. Wir erzählen nicht, wie toll wir sind, weil wir meinen vor anderen glänzen zu müssen. (Auch in der Eitelkeit kann man ja gefangen sein!) Wir singen und erzählen von Gott und am Ende loben wir ihn.

Jetzt müsste das Amen kommen, nicht wahr?
Der Bibeltext hat aber noch ein Bonbon zum Schluss:
Der Kerkermeister lässt sich und die Seinen taufen. Er wäscht und versorgt die Wunden nach den Schlägen. Es gibt ein Fest, an dem alle teilnehmen: Der Kerkermeister, seine Familie, Mitarbeitende und die vorher Gefangenen. Keiner erhebt oder erniedrigt sich gegenüber den anderen. Keiner muss fliehen. Christen brauchen gute Gemeinschaft - mit Gott und untereinander. Diese Gemeinschaft ist kein geschlossener Zirkel. Es dürfen Menschen dazu kommen. Egal ob sie Ralf, Horst oder ganz anders heißen. Der Weg nach draußen führt zum Leben, miteinander! Die Türen sind offen. Singen und ins Leben gehen müssen wir selber. Gott hilft uns dabei!
darum jetzt: Singt! Kantate und Amen!

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