Predigt am 10.September
Liebe Gemeinde,
meine Frau und ich kommen – wie mittlerweile hinlänglich
bekannt ist – aus Bremen. In den letzten Monaten sind wir immer wieder gefragt
worden, ob wir – wenn die Dienstzeit in 6 Jahren vorbei ist – wieder nach
Bremen zurückkehren werden. In meiner letzten Gemeinde wurden wir gefragt, ob
wir denn 2023 wieder nach Massenbach zurückkehren könnten.Hier auf der Insel
werden wir immer wieder angesprochen, ob wir denn nach 6 Jahren auf der Insel
bleiben werden. Wo gehören wir eigentlich hin? Mir ist das manchmal gar nicht
so klar. Wer oder was bestimmt unser Dasein? Wir sind Deutsche, Schweizer,
Niederländer, Spanier – je nach dem, was in unserem Pass steht. Aber wie ist
das bei denen, die eine doppelte Staatsbürgerschaft haben? Wie ist das mit
denen, die dauernd hier als Ausländer auf der Insel leben. Sind die Deutsche?
Spanier? Deutschkanaren? Wir sind Urlauber, Residenten, Semiresidenten…Wer bin
ich? Wer sind Sie? Wo gehören wir hin?
Noch bedeutsamer als die Frage der Nationalität ist oft die
Frage nach unserem Familienstatus. Die Finanzämter fragen danach und viele
Veranstaltungen sind auf Paare oder Paare mit Kindern zugeschnitten. Familie
ist das Wichtigste, haben meine Jugendlichen in der Gemeinde immer gesagt.
Manche Familien waren dabei allerdings sehr belastet. Die Eltern hatten sich
nichts mehr zu sagen, oder die Kinder wurden in der Pubertät unerträglich. Und
trotzdem bedeutete Familie für die Kinder, dass sie wussten, zu wem sie
gehörten. Was die Familie bedeutet, merkt man vielleicht am meisten, wenn man
keine hat. Oder nicht mehr hat, weil die Kinder aus dem Haus sind, weil wir von
unseren Partnern getrennt leben oder weil einer bereits gestorben ist. Hier auf
den Tenriffa können viele davon ein Lied singen.
Wo gehören wir hin?
Die Frage ist uralt. Schon das vierte Gebot lehrt, dass wir
eine Familie haben, sogar wenn wir Kinder erwachsen geworden sind. Das 4.Gebot
mahnt an, dass wir Vater und Mutter ehren sollen. Es steht da allerdings noch
ein Zusatz: Auf dass es Dir wohl ergehe und du lange lebest auf Erden. (So hat
Martin Luther übersetzt). Gemeint war damit, dass die Familie auch die Aufgabe
hat füreinander da zu sein, vor allem bei allen Fragen der Versorgung, denn zur
Zeit der Bibel gab es ja keine Rentenkasse und kein Sozialamt. Das männliche
Familienoberhaupt hatte dafür zu sorgen, dass alle gesichert leben konnten. Deshalb
wurden Mädchen auch verheiratet. Mit Liebe hatte das nichts zu tun; nur mit
Versorgtsein. Die Familien war immer schon wichtig, aber die Familie hatte aus
heutiger Sicht manchmal auch sehr unbarmherzige Charakterzüge.
Warum wir von Josef, dem Vater von Jesus, außer bei der
Geburtsgeschichte Jesu nichts erfahren, wissen wir nicht. Wir wissen aber, dass
Jesus und seine Mutter Maria manchmal heftig aneinander geraten sind. Maria
scheint Jesus als das Familienoberhaupt anzusehen, der sich um die Angelegenheiten
für die Mutter und die Geschwister zu kümmern hat. Es gibt eine ganze Reihe von
Geschichten, in denen wir merken: Jesus lehnt diese Rolle ab und zwar ziemlich
heftig. Es scheint so, als ob die Familie und die der Nationalität nicht
besonders wichtig sind. Im heutigen Predigttext aus dem Markusevangelium wird
das besonders deutlich. (Ich weiß noch, dass meine Mutter an dieser Geschichte
besonders verzweifelt ist und sie am liebsten aus der Bibel gestrichen hätte…)
Mk.3,31-35
Wie Jesus da über seine Mutter und seine Geschwister denkt
und spricht ist schon harter Tobak! Auf den ersten Blick könnte man meinen,
Jesus hat das vierte Gebot vergessen, wenn nicht gar gegen das Gebot - die
Eltern zu ehren - verstoßen. Vielleicht meint er es aber auch ganz anders.
Ganz oft haben uns unsere Familiengeschichten geprägt: Wir
sind evangelisch oder katholisch, weil unsere Eltern auch evangelisch oder
katholisch waren. Wir übernehmen Traditionen, Blickwinkel, Sozialstatus oder
Bildungsstatus oft von unseren Eltern. Arbeiterkinder sind seltener an
Universitäten, als Familien mit starker Bildung. Das sagen die Statistiken. Oft
schenkt die Familie nicht nur Geborgenheit, sondern gibt eben auch Grenzen.
Besonders fällt mir das auf, wenn Kinder ihre kranken Eltern pflegen. Um es
gleich zu sagen: Ich bewundere die, die das mit viel Liebe und Hingabe tun.
Manchmal merke ich aber auch, wie das eigene Leben darunter leidet, wie
Partnerschaften belastet werden und Freundschaften wegbrechen. Man meint die
Eltern pflegen zu müssen, komme was wolle. Nur dieser kleine Nachsatz: „auf
dass es Dir wohlergehe und Du lange lebest auf Erden“, kommt dann nicht mehr
vor.
Früher konnte die Familie möglicherweise besser – nicht leichter – aber besser füreinander sorgen, weil die Familie groß war und mehrere Generationen zusammen wohnten und die Lasten verteilen konnten. Wenn wir von Familie reden, dann ist das ja nur ein kümmerlicher Rest dessen, was Jesus vor Augen hatte.
Früher konnte die Familie möglicherweise besser – nicht leichter – aber besser füreinander sorgen, weil die Familie groß war und mehrere Generationen zusammen wohnten und die Lasten verteilen konnten. Wenn wir von Familie reden, dann ist das ja nur ein kümmerlicher Rest dessen, was Jesus vor Augen hatte.
Aber Jesus ist offenbar sogar eine Großfamilie zu eng. Denn
er bezeichnet das Volk ( in der Bibel steht wörtlich: Der Haufen) um sich als
Mutter oder Schwester oder Bruder, also nicht die leibliche Familie. Andere
werden für ihn zur Familie, wenn diese, die
Jesu Worte hören, darin Gottes Willen erkennen, diesen annehmen und ihn
dann auch tatsächlich praktizieren: Jesus sagt: wer Gottes Willen tut, der ist
mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter. Nicht die leibliche Familie
muss alleine die Last und Aufgabe der Versorgung leisten, sondern, und das ist
neu: Die Gemeinde, die sich in Gottes Namen versammelt.
Wo gehören wir hin? Klar: zu der Nation, zu der wir uns
bekennen. Zu der Familie, die wir unser eigen nennen, aber eben nicht nur. Wir
haben unseren Ort auch und vor allem unter den Kindern Gottes, wenn wir an Gott
glauben. (wobei die Kinder Gottes ja manchmal mehr an Kain und Abel erinnern,
als an Geschwister, die die Nähe zu schätzen wissen) Als Christen sind wir
weniger an Grenzen gebunden, als andere uns das manchmal weis machen wollen.
Christen schotten sich nicht ab. Christen verweigern nicht die Aufnahme von
anderen Menschen. Christen haben kein Interesse am Bau von Mauern oder
Grenzzäunen. Jedenfalls nicht, wenn sie die Worte Jesu ernst nehmen. Wir leben in der Ökumene. Ökumene heißt übersetzt
nicht etwa nur Evangelisch und Katholisch, sondern heißt „Weltkreis“. Manchmal
wundern wir uns, wie Christen aus anderen Ländern denken. Fremde Gepflogenheiten
sind oft schon sehr gewöhnungsbedürftig, und doch gehören wir zusammen. Und
zusammen sollen wir Gottes Willen tun: In unseren Ländern, in unseren Familien,
in unseren Kirchengemeinden. Ich kenn mich noch zu wenig hier aus, aber ich
glaube, dass unsere Gemeinde hier auf Teneriffa beispielhaft ist für das, was
Jesus meinte: Hier zählt nicht Deine Familie, hier zählt nicht Deine Nation,
wir sprechen hier deutsch, ja – aber wir gehören zusammen, weil wir an Gott
glauben und ihm vertrauen. Und so versuchen wir füreinander da zu sein wie gute
Geschwister, wie gute Eltern.
Und wenn uns einer fragt: Wo gehörst Du hin? Dann gibt es
meistens mehrere Antworten. Und das ist gut so! Amen!
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