Exaudi: Zuhören! Predigt zu 1.Samuel 3,1-10

Samuels Berufung1 Und zu der Zeit, als der Knabe Samuel dem HERRN diente unter Eli, war des HERRN Wort selten, und es gab kaum noch Offenbarung. 2 Und es begab sich zur selben Zeit, dass Eli lag an seinem Ort, und seine Augen fingen an, schwach zu werden, sodass er nicht mehr sehen konnte. 3 Die Lampe Gottes war noch nicht verloschen. Und Samuel hatte sich gelegt im Tempel des HERRN, wo die Lade Gottes war. 4 Und der HERR rief Samuel. Er aber antwortete: Siehe, hier bin ich!, 5 und lief zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hast mich gerufen. Er aber sprach: Ich habe nicht gerufen; geh wieder hin und lege dich schlafen. Und er ging hin und legte sich schlafen. 6 Der HERR rief abermals: Samuel! Und Samuel stand auf und ging zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hast mich gerufen. Er aber sprach: Ich habe nicht gerufen, mein Sohn; geh wieder hin und lege dich schlafen. 7 Aber Samuel kannte den HERRN noch nicht, und des HERRN Wort war ihm noch nicht offenbart. 8 Und der HERR rief Samuel wieder, zum dritten Mal. Und er stand auf und ging zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hast mich gerufen. Da merkte Eli, dass der HERR den Knaben rief. 9 Und Eli sprach zu Samuel: Geh wieder hin und lege dich schlafen; und wenn du gerufen wirst, so sprich: Rede, HERR, denn dein Knecht hört. Samuel ging hin und legte sich an seinen Ort. 10 Da kam der HERR und trat herzu und rief wie vorher: Samuel, Samuel! Und Samuel sprach: Rede, denn dein Knecht hört.  

Lied: The wind of change (Scorpions, 1990)

 

Liebe Gemeinde,

ich habe es mitgepfiffen: Dieses Intro von „the Wind of Change“ von der Rockgruppe Scorpions aus Hannover. Und ehrlich: Seid ich dache, das Lied ist der passende Einstieg in die Predigt heute, geht es mir nicht mehr aus dem Kopf. 1990 ist es herausgekommen und sofort ein Hit geworden: weltweit!

Ich folgte der Moskwa bis zum Gorki Park, hörte auf den Wind der Wechselzeit…

Hättest Du je gedacht, dass wir so nahe beieinander wären wie Geschwister? Zukunft liegt in der Luft, ich kann es überall spüren. Sie weht mit dem Wind, der den Wechsel bedeutet. Nimm mich mit in den Zauber dieses Moments, in einer ruhmvollen Nacht, in der die Kinder von Morgen ihren Träumen folgen, im Wind, der den Wechsel bedeutet…

Wenn ich auf der Straße gehe, sind die Erinnerungen an früher weit weg und begraben in der Vergangenheit: für immer…

 

Peristroika, Mauerfall: Die Zeit der Feindschaft zwischen Ost und West war in der Vergangenheit begraben für immer. Die Wiedervereinigung Deutschlands stand kurz bevor. Umgeben von Freunden hieß es und die Bundeswehr wurde abgerüstet. Die Ukraine verzichtete damals auf atomare Raketen und durfte dafür unabhängig werden. The wind of change. Ein Hit und fast jeder und jede hat es mitgepfiffen. In Berlin, in Kiev und in Moskau. Die Zeit des Wechsels damals schien doch so eindeutig. So eindeutig gut und voller Hoffnung, als ob Jesus sagen würde: Friede sei mit Euch! Fürchtet Euch nicht.

 

Und nun sind wir aufgewacht. Der Wind hat gedreht. Die ruhige Ballade passt nicht mehr in die Zeit. Ost und West stehen sich gegenüber, schlimmer als in den Zeiten des kalten Krieges. Zu schnell den Hit mitgepfiffen? Zu wenig nachgedacht? Zu euphorisch gewesen? Zu sicher geglaubt? Zu wenig auf die leisen Töne gehört? Zu sehr gedacht, der wind of change wird zukünftig nur in eine Richtung wehen?

 

Der Predigttext für den heutigen Sonntag Exaudi berichtet auch von einer Zeit des Wechsels. Der Prophet Eli ist Priester am Tempel des Herrn. Er gilt als Autorität und steht für Stabilität des Volkes Israel.  Doch die Augen von Eli werden schwach. Mit der Autorität von Eli ist es nicht mehr viel. Seine Söhne waren korrupt. Eli hat das nicht gut geheißen, aber er hat das Mißverhalten seiner Söhne auch nicht in aller Schärfe verurteilt. Zu sicher geglaubt, zu einfach mitgepfiffen…Nur selten offenbarte sich Gott noch, aber die Lampe Gottes war noch nicht verloschen. So beschreibt die Bibel die Wechselzeit. Im Haus des Herrn schläft schon ein Nachfolger: Samuel. Zeit des Übergangs…

Die Bibel erzählt in diesem Zusammenhang auch vom Wechsel Israels von einem lockeren Stammesverbund hin zu einem ersten Königreich. Noch ist es nicht soweit, doch der Wind of Change liegt in der Luft.

 

Übergänge gehören zum Leben. Und Übergänge sind immer Zeiten, in denen man entscheiden muss, in welche Richtung es gehen soll:

In wenigen Wochen gehe ich zum Beispiel in den Ruhestand. Ich kann mich entscheiden, die Füße dann hoch zu legen und auf das Ende meines Lebens zu warten oder ich kann die neue Zeit als Chance begreifen.

Diese Gemeinde wird in Zukunft keinen hauptamtlichen Pfarrer mehr bekommen. Viele haben mir gesagt, dass sowieso alles den Bach runter gehen wird. Andere haben Verantwortung übernommen und versuchen die Zukunft zu gestalten. Ja auch die Gemeinde Teneriffa Süd spürt, dass der Wind sich ändert.

Übergänge sind Zeiten, in denen man sich entscheiden muss. Aber wie soll man sich entscheiden? Ja oder nein? Für oder gegen? Oder gibt es noch etwas dazwischen? Ich habe den Eindruck, dass in unserer Gesellschaft ganz schnell und sehr laut über die Beurteilung von Übergängen gesprochen wird. Entweder oder. Beurteilungen brauchen Zeit. Kluge Entscheidungen setzen auch immer ein Hören voraus. Ein Zuhören. Vorurteile sind nicht hilfreich. Die Abwägung von Argumenten schon.

Am vergangenen Sonntag wurde in meiner Geburtsstadt Bremen gewählt. Der alte Bürgermeister wird auch der neue werden. Er scheint gute Arbeit in den Augen von immerhin 30 % der Wähler gemacht zu haben. Aber immerhin etwa 10% haben die Bürger in Wut gewählt. Allein der Name spricht für laute Empörung gegen was auch immer. Argumente? Fehlanzeige!

Und so geht das immer weiter: Energiewende: Ja! Aber sofort kommen ganz viele laute Neins.

Es wird viel geredet und oft genug auch laut und schnell gebrüllt. Der Bibeltext von heute schlägt in der Zeit des Übergangs dagegen nicht den schnellen und lauten Ton an, sondern beschreibt das Hören; auch das Hören auf die leisen Rufe; Hier geht es nicht um die Empörung, dass andere zu wenig für mich tun. Es geht auch um die Bereitschaft selbst Verantwortung zu übernehmen. Samuel sagt bei jedem Hören: Herr hier bin ich. Und dann kommt die Frage: Was hast du mit mir vor?

Samuel also, der Schüler vom alten Propheten Eli, legt sich im Tempel schlafen. Gott ruft ihn und Samuel sagt: Hier bin ich. Doch er läuft zu seinem Lehrer Eli. Wer sollte ihn auch sonst gerufen haben? Doch Eli war es nicht. „Lege dich wieder schlafen!“ sagt Eli zu Samuel. Dreimal geht das so. Nach dem dritten Mal hat Eli die Idee, dass offenbar Gott mit Samuel redet. „Wenn du wieder etwas hörst, dann laufe nicht zu mir, sondern sage: Rede, denn dein Knecht hört!“

Nicht selbst reden, sondern hören, was der andere zu sagen hat. Gerade in Zeiten des Übergangs scheint mir das wichtig zu sein. Wir sind so schnell überschwänglich oder so schnell verzweifelt. Wenn wir aber schnell und oft genug ja auch vorschnell Dinge, Zeiten oder gar Menschen beurteilen, bleibt für das andere kein Raum. Auch kein Raum und keine Zeit für Gott.

Ich finde den jungen Samuel sympathisch. Er ist im Tempel von allen religiösen Utensilien umgeben. Er stellt sich in den Dienst des Priesters. Aber mit Gottes direkter Anrede rechnet er nicht. Die Bibel berichtet ständig von Menschen, die Offenbarungen, Visionen oder göttliche Zeichen sehen: Adam und Mose, die Propheten und Könige. Und dann das Damskuserlebnis von Saulus der zum Paulus wird. Die katholische Kirche zählt unzählige Heilige, die Gott gehört oder seine Zeichen gesehen haben. Mir ist das alles irgendwie protestantisch fremd und suspekt geblieben. Vielleicht werde ich deshalb immer unruhig, wenn mir fromme Menschen von ihren Gottesoffenbarungen berichten. Und ebenso unruhig werde ich, wenn Menschen mir sagen, dass es Gott nicht geben würde, sonst hätte er der Welt ja etwas zu sagen.

In Zeiten des Wechsels braucht es Entscheidungen. Auch ein Ja oder ein Nein. Aber zuvor möchte ich immer Samuels Satz nachsprechen: Herr, rede, denn dein Knecht hört.

Ich wünschte, mein Ja oder mein Nein würde immer einhergehen mit der Bereitschaft, mich in den Dienst Gottes zu stellen. Wo werde ich gebraucht? Wo kann ich etwas tun oder lassen, was Gott und seiner Schöpfung dient? Wo werde ich gefordert aber nicht überfordert? Wann ruft mich Gott, um meine Trägheit zu überwinden? Und wann bremst er meine Euphorie und Selbstherrlichkeit? Und wann muss ich mein Ja oder mein Nein überdenken? Wir sollen Gott ja nicht versuchen in einem Bild festzuhalten, nicht in einer Ideologie. Gott ist kein Gedanke ohne Leben. Nichts in unserer Zeit ist ewig. Wechsel gehören zum Leben.

In der Zeit der Wende, im Wind of Change, hat man in der ehemaligen DDR an runden Tischen vor allem in kirchlichen Räumen zusammengesessen und aufeinander gehört. Davon ist nicht viel geblieben. Weder vom aufeinanderhören noch von den Kirchen als Ort für das Hören und als Ort für Entscheidungen. In dieser Zeit sind meines Erachtens nach viele Fehler gemacht worden. Es ist still geworden um Gott sagt die biblische Geschichte und die Geschichte von heute: Das Wort Gottes geschah selten. Aber die Lampe Gottes war noch nicht verloschen. Da ist immer noch Licht in allem Dunkel. Daran möchte ich glauben.

Die Kirchen spielen schon lange nicht mehr die erste Geige in der Gesellschaft. Andere sagen, was richtig ist oder falsch. Rattenfänger sind dabei und ehrlich besorgte. Jedoch sind auch wir Christen wichtig, wenn wir eben nicht nur reden, sondern auch hören. Zuhören: Auf das, was uns Mitmenschen und was uns Gott zu sagen hat. Exaudi: Höre! Listening - to the wind of change! Amen!

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